Leitsatz
1. Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trägt die Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH angegebene Sitz tatsächlich bestanden hat.
2. Es besteht eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern.
3. Die Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung sind für alle Unternehmer, unabhängig von der Rechtsform, dieselben.
Normenkette
§ 14, § 15 Abs. 1 UStG 1993, § 68, § 121, § 127 FGO, Art. 1 Nr. 1 der 13. EG-RL
Sachverhalt
Der Kläger, ein Kfz-Händler, erwarb im Streitjahr (1996) aus Italien reimportierte Fahrzeuge. Das FA versagte den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der "Firma W" in N (Deutschland), weil es sich dabei um eine Scheinadresse ohne wirtschaftliche Aktivitäten handelte.
Das FG bestätigte das FA (EFG 2006, 610). Die "Firma W" sei lediglich "papiermäßig" in eine fingierte Lieferkette eingeschaltet gewesen und habe die in Rechnung gestellte Lieferung tatsächlich nicht erbracht. Vielmehr sei -- für den Kläger erkennbar -- als Lieferant der in Italien wohnhafte KW anzusehen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.
Zweifelhaft ist, ob Angaben in der Rechnung einem Gutglaubensschutz zugänglich sein könnten. Die zwei Entscheidungen des EuGH, die den Vertrauensschutz für den Vorsteuerabzug zu treffen scheinen (Optigen und Kittel) betreffen Sachverhalte, in denen die betreffende Finanzverwaltung -- anstatt lediglich die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung zu versagen, weil die Gegenstände tatsächlich im Inland verblieben waren -- das ganze Rechtsgeschäft wegen des (USt-)Betrugs umsatzsteuerrechtlich nicht beachten wollte. Allein deshalb setzt sich der -- EuGH vorlagebedingt -- nur mit der dann zurückzufordernden Vorsteuererstattung auseinander. Daraus den Schluss zu ziehen, fehlende Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug seien durch Vertrauensschutz zu überspielen, ist zweifelhaft.
Im Streitfall konnte der BFH die Frage jedoch offenlassen. Denn der Vertrauensschutz kann allenfalls dann einsetzen, wenn der Unternehmer alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung von USt-Ausfällen getroffen hat. Für den Leistungsempfänger, der Vorsteuer aus Rechnungen seines Geschäftspartners geltend mache, bestehe -- so der BFH -- eine Obliegenheit, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern. Das gelte in verstärktem Maß, wenn der Leistungsempfänger -- wie der Kläger -- deutliche Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Leistenden haben konnte.
Hinweis
Gem. § 14 Abs. 1 UStG 1993 muss die Rechnung u.a. den -- richtigen -- Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten.
1. Der BFH hatte bisher zu Rechnungen einer GmbH entschieden, dass der Abzug der in der Rechnung ausgewiesenen USt nur möglich ist, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat. Der sog. Sofortabzug der Vorsteuer gebiete es, dass der Finanzverwaltung eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglicht werde. Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trage die Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH angegebene Sitz tatsächlich bestanden habe. Die Rechtsformneutralität der USt gebietet es, diese Anforderungen an alle Unternehmer gleichermaßen zu stellen.
2. Der EuGH hat im Urteil vom 28.06.2007, Rs. C-73/06 "Planzer Luxembourg Sarl" (BFH-PR 2007, 354) entschieden, eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine "Strohfirma" charakteristisch sei, sei nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.v. Art. 1 Nr. 1 der 13. EG-RL (RL 86/560/EWG: betr. Erstattung der Vorsteuer an nicht im Inland ansässige Unternehmer) anzusehen. Außerdem sei die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Das bestätigt die Auffassung des BFH, dass die Angabe einer Unternehmensadresse, die nicht die wirtschaftliche Realität widerspiegelt und deshalb auch keine Kontrolle durch die Finanzverwaltung ermöglicht, nicht ausreicht.
3. Ob ein "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit des Unternehmers nach den Umständen des Einzelfalls als hinreichende Adresse des leistenden Unternehmers überhaupt in Betracht kommen kann, hat der BFH offengelassen. Die Angabe eines solchen "Briefkasten-Sitzes" reicht jedenfalls nicht, wenn besondere, detaillierte Feststellungen die Annahme eines "Scheinsitzes" rechtfertigen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 06.12.2007, V R 61/05