Dipl.-Finanzwirt Arthur Röck
Leitsatz
Der Vorsteuerabzug setzt die Identität zwischen Leistendem und Rechnungsaussteller voraus. Der Vorsteuerabzug kann versagt werden, wenn der Erwerber wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. Wissen oder Wissen müssen setzt (zumindest) Fahrlässigkeit voraus.
Sachverhalt
Nach einer Steuerfahndung versagte das Finanzamt dem Kläger den Vorsteuerabzug 2010 aus Edelmetalleinkäufen. Bei den Rechnungsstellern habe es sich um in ein System zur Umsatzsteuerhinterziehung einbezogene sog. Missing Trader gehandelt, welche nur sogenannte Abdeckrechnungen über nicht erbrachte Lieferungen erstellt hätten. Nach Auffassung des Klägers habe aber keine Beteiligung an einem Kettenbetrugsgeschäft vorgelegen.
Entscheidung
Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen der den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer. Vorliegend scheidet deshalb ein Vorsteuerabzug aus, weil sich der Senat nicht mit der notwendigen Gewissheit davon überzeugen kann, dass die vermeintlichen Lieferer tatsächlich die Lieferungen getätigt haben. Für den Vorsteuerabzug muss der Unternehmer u. a. eine ausgestellte Rechnung mit dem vollständigen Namen des Leistenden besitzen. Dies soll der Steuerverwaltung ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Umsatzsteuer und das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren (BFH, Urteil v. 14.2.2019, V R 47/16, BFH/NV 2019 S. 783). Demnach setzt der Vorsteuerabzug die Identität zwischen leistendem Unternehmer und Rechnungsaussteller voraus – was vorliegend nicht gegeben war. Auch wurde in den Gutschriften nicht der vollständige Name des Leistenden angegeben und es bestehen erhebliche Zweifel an der postalischen Erreichbarkeit des Rechnungsstellers unter der angegebenen Rechnungsanschrift.
Angesichts der von der Steuerfahndung festgestellten Geschehensabläufe hat der Senat erhebliche Zweifel, dass die vermeintlichen "Lieferanten" des Klägers überhaupt in ausreichendem Umfang Altgold bezogen hatten, um es an den Kläger zu liefern. So hätten die vermeintlichen Lieferanten nicht wie übliche Handelsfirmen für sich geworben, hätten nur bei einem Lieferanten Altgold bezogen und auch nur an einen Abnehmer geliefert. Damit der tatsächliche Lieferer ihre Erlöse nicht der Umsatzbesteuerung zu unterwerfen habe, seien von dem vermeintlichen Lieferer Abdeckrechnungen zur Verschleierung der tatsächlichen Herkunft des Edelmetalls ausgestellt worden.
Selbst wenn – unterstellt – die Rechnungsaussteller tatsächlich an den Kläger geliefert haben sollten, steht dem Kläger das Recht auf Vorsteuerabzug nicht zu, da er nach Überzeugung des Senats hätte wissen müssen, dass die betreffenden Umsätze in die insoweit von anderen begangene Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen waren.
Beim Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung, kann der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer dazu verpflichtet sein, über seine potenziellen Lieferanten Auskünfte einzuholen, um sich von deren Zuverlässigkeit zu überzeugen. Das Wissen oder Wissen müssen der Einbeziehung in eine Mehrwertsteuerhinterziehung setzt (zumindest) Fahrlässigkeit voraus (§ 122 Abs. 2 BGB); insoweit müsse nicht grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Ein Steuerpflichtiger handelt danach fahrlässig, wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit und sorgfältigem Handeln die Einbeziehung in eine Mehrwertsteuerhinterziehung hätte erkennen können.
Hätte der Kläger vorliegend mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gehandelt, hätten ihm Zweifel an seinen (vermeintlichen) Lieferanten kommen müssen, da die Lieferanten ihn in exponentieller Art und Weise förmlich mit Altgoldlieferungen überrannten und dabei auch weite Anfahrten in Kauf nahmen, statt Scheideanstalten in räumlicher Nähe aufzusuchen. Die vermeintlichen Lieferanten erbrachten erhebliche Edelmetallmengen ohne jegliche Sicherheiten und ein vermeintlicher Lieferant betrieb zwar einen Mietwagen- und Krankenfahrdienst, lieferte aber trotzdem Altgold in erheblichem Umfang an.
Auch teilte die Creditreform dem Kläger mit, dass den vermeintlichen Lieferern Kredite abgelehnt und deshalb von einer Geschäftsverbindung abgeraten würde. Diese Information hätte dem Kläger Anlass geben müssen, zumindest weitere Erkundigungen gegenüber seinen (angeblichen) Vorlieferanten und über die Herkunft der Edelmetalle einholen zu müssen – was aber nicht erfolgte.
Hinweis
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, Az beim BFH XI R 19/20.
Für nach dem 31.12.2019 endende Besteuerungszeiträume (hier nicht vorliegend), ist die Versagung des Vorsteuerabzugs insoweit nunmehr gesetzlich in § 25f Abs. 1 UStG in Verbindung mit § 27 Abs. 30 UStG normiert. Der bisherige § 25d UStG (Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer) wird infolge aufgehoben.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil v. 04.06.2020, 1 K 2492/19