Leitsatz
Ist die USt-Festsetzung für das Jahr der Anschaffung oder Herstellung eines gemischt genutzten Gegenstands formell bestandskräftig und hat der Unternehmer oder – bei Fehlen oder Abweichung von der USt-Erklärung – das FA ein i.S.d. § 15 Abs. 4 UStG sachgerechtes Aufteilungsverfahren angewandt, ist dieser Maßstab (auch für die nachfolgenden Kalenderjahre des Berichtigungszeitraums) bindend.
Normenkette
§ 15 Abs. 4 UStG, § 164, § 168 AO
Sachverhalt
Die Klägerin hatte ein Wohn- und Geschäftshaus nach dessen Fertigstellung zum Teil steuerfrei, zum Teil unter Verzicht auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze vermietet und zunächst in ihren USt-Erklärungen die im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes angefallenen Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Nutzflächen aufgeteilt, das FA den Steuererklärungen (1998 und 1999) zugestimmt.
Im Rahmen einer Umsatzsteuerprüfung beantragte sie vergeblich, die Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze. Das FG bestätigte die Auffassung der Klägerin.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen Erfolg.
Hinweis
1. Für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Eingangsleistungen ist maßgebend, ob der Steuerpflichtige die Leistungen für sein Unternehmen bezogen hat und im Jahr des Leistungsbezugs mit den Investitionsausgaben tatsächlich Umsätze ausführt, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist bzw. wenn die tatsächliche Verwendung noch aussteht, die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hatte, mit den Investitionsausgaben Umsätze auszuführen, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist ("Sofortentscheidung").
Ohne die Sofortentscheidung des Unternehmers über die beabsichtigten Verwendungsumsätze kann der Vorsteuerabzugsanspruch dem Grund und der Höhe nach bei der Steuerfestsetzung für den maßgebenden Besteuerungszeitraum nicht beurteilt werden. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht endgültig, sofern die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs nicht auf falscher Erklärung in Fällen von Betrug oder Missbrauch beruht; der Vorsteueranspruch darf nicht aufgrund nachträglicher Ereignisse wieder rückgängig gemacht werden. Auch eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) lässt dies nicht zu.
Entscheidend ist danach grundsätzlich die formelle Bestandskraft des Steuerbescheids für das Jahr des Leistungsbezugs. Unerheblich ist dagegen, dass Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO jederzeit aufgehoben oder geändert werden können. Das gilt zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen.
2. Diese Grundsätze gelten auch für den Umfang des Vorsteuerabzugs, der für den Leistungsbezug festzusetzen ist. Hat deshalb der Steuerpflichtige in der Steueranmeldung einen i.S.d. § 15 Abs. 4 UStG sachgerechten Maßstab für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen, die auf Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallen und der Berichtigung nach § 15a UStG unterliegen, angewandt, ist dieser – soweit er auf zutreffenden Angaben beruht – für den gesamten Berichtigungszeitraum i.S.d. § 15a UStG bindend. Entsprechendes gilt, wenn das FA bei der Steuerfestsetzung (abweichend von der Anmeldung) einen anderen sachgerechten Aufteilungsmaßstab zugrunde legt und die Steuerfestsetzung unanfechtbar wird.
3. Die "Sofortentscheidung" und deren Bedeutung für Entstehen und Umfang des Vorsteuerabzugsrechts ist durch die Rechtsprechung des EuGH vorgegeben. Durch nationale Verfahrensrechte – wie z.B. § 164 Abs. 2 AO – darf der Anspruch nicht verändert werden.
Zweifelhaft ist deshalb auch, ob sich damit die Auffassung vereinbaren lässt, der Verzicht auf die Steuerbefreiung (§ 9 UStG) dürfe bis zur endgültigen Bestandskraft des Steuerbescheids jederzeit erklärt oder widerrufen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 2.3.2006, V R 49/05