Leitsatz
1. Der Vorsteuerabzug ist auch dann bei der Organgesellschaft nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen, wenn der Leistende ein (bereits vereinnahmtes) Entgelt an den Organträger zurückzahlt, der die Zahlung erfolgreich angefochten hat (Anschluss an das BFH-Urteil vom 24.08.2023 ‐ V R 29/21).
2. Dieser Vorsteuerberichtigungsanspruch ist keine Masseverbindlichkeit der Organgesellschaft im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, der durch eine Handlung des Insolvenzverwalters der Organgesellschaft begründet worden wäre (Anschluss an das BFH-Urteil vom 24.08.2023 – V R 29/21).
3. Eine in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit der Organgesellschaft i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann vorliegen, falls der Insolvenzmasse der Organgesellschaft aufgrund der erfolgreichen Anfechtung des Organträgers ein Ausgleichsanspruch gegen den Organträger (oder dessen Insolvenzmasse) zusteht.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG, § 35 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 134 Abs. 1, § 144 Abs. 1 InsO
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der S.
S war seit Februar 2010 umsatzsteuerrechtlich Organgesellschaft der Organträgerin T. Während des Bestehens der Organschaft meldete T die USt für den Organkreis an, nahm den Vorsteuerabzug für den Organkreis vor und vereinnahmte entstandene Vorsteuerüberhänge. Da S seit Mai 2010 in Liquiditätsschwierigkeiten war, finanzierte T außerdem seit Juli 2010 Material-, Personal- und sonstige Kosten der S.
Über das Vermögen von S und T wurde 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter der T (Beigeladene) hat daraufhin sämtliche Zahlungen der T an Lieferanten der S erfolgreich gemäß § 134 InsO angefochten, weil S bei Zahlung insolvenzreif gewesen sei.
Das FA setzte aufgrund der erfolgreichen Insolvenzanfechtungen gegenüber dem früheren Insolvenzverwalter über das Vermögen der S die USt 2013 und 2014 höher fest. Die Bescheide führten zu Nachzahlungen, die die Insolvenzmasse der S leisten soll.
Den Einspruch der Klägerin, mit der sie geltend machte, dass die von der Masse der T erlangten Vorteile aus den Insolvenzanfechtungen nicht gegen die Masse der S geltend gemacht werden könnten, wies das FA als unbegründet zurück. Die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG sei gegenüber der Insolvenzmasse der S festzusetzen, weil die Forderungen der Lieferanten gegenüber S wieder aufgelebt seien. Der Berichtigungsbetrag sei eine Masseverbindlichkeit.
Das FG (Sächsisches FG, Urteil vom 29.5.2019, 8 K 1108/17, Haufe-Index 14184768) hat der Klage stattgegeben. Nur der als Masseverbindlichkeit anzusetzende Teil des USt-Anspruchs dürfe durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Verantwortung zur Berichtigung auf die Klägerin übergehen solle, obwohl der Beigeladene die Zahlungen erfolgreich angefochten habe.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des FG zwar in wesentlichen Teilen, verwies den Rechtsstreit aber zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das FG zurück. Das FG muss prüfen, ob der von der Klägerin verwalteten Insolvenzmasse infolge der erfolgreichen Insolvenzanfechtungen durch den Beigeladenen ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die vom Beigeladenen verwaltete Insolvenzmasse zusteht.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil ist in wesentlichen Teilen eine Parallelentscheidung zu BFH, Urteil vom 24.8.2023, V R 29/21, BFH/NV 2024, 350, Haufe-Index 16170691. Auf die Kommentierung in BFH/PR 2024, 113, kann insoweit verwiesen werden.
2. Allerdings lag im Streitfall zwischen dem anfechtenden Dritten und der Klägerin eine Organschaft vor. Deshalb ist es möglich, dass die Anfechtung des Insolvenzverwalters der Organträgerin dazu führt, dass der (Insolvenzmasse der) Organgesellschaft ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die (Insolvenzmasse der) Organträgerin zusteht; denn Organträger und Organgesellschaft werden zivilrechtlich als Gesamtschuldner behandelt und eventuell ein Innenausgleich entsprechend § 426 BGB vorgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 19.1.2012, IX ZR 2/11, BFH/NV 2012, 910, Rz. 27, 28 und 29 und BGH, Urteil vom 29.1.2013, II ZR 91/11, BFH/NV 2013, 893); BFH, Urteil vom 24.5.2023, XI R 45/20, Haufe-Index 15945613, BFH/NV 2023, 1375, BFH/PR 2024, 12). Ob tatsächlich ein solcher Anspruch besteht, muss das FG im zweiten Rechtsgang aufklären.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.12.2023 – XI R 5/20