Leitsatz
1. Eine am Bilanzstichtag rechtlich entstandene Verbindlichkeit ist unabhängig vom Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung zu passivieren.
2. Es gibt keinen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, der gebietet, Aufwand in das Jahr zu verlagern, in welchem die Erträge erzielt werden, aus denen die Aufwendungen gedeckt werden sollen.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB
Sachverhalt
Die Klägerin betrieb im Rahmen eines Säge- und Spanplattenwerks eine Spänetrocknungsanlage. Ihr war vom Gewerbeaufsichtsamt durch Bescheid vom 20.12.1988 aufgegeben worden, diese Anlage bis zum 1.3.1991 umzurüsten und bestimmte Emissionswerte einzuhalten. Das wurde später im Widerspruchsverfahren noch modifiziert.
Die Klägerin bildete jedenfalls für die Anpassungsverpflichtung in ihrer Bilanz zum 30.9.1989 eine entsprechende Rückstellung, die das FA unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 27.9.1988 (DB 1999, 2279) nicht anerkannte. Die Verpflichtung beziehe sich nicht auf das Betreiben der Anlage vor dem Ablauf der behördlich gesetzten Frist, sondern finde seinen wirtschaftlichen Bezugspunkt erst in der Zukunft. Das FG sah das genauso.
Entscheidung
Anders der BFH. Er unterschied zwischen rechtlich entstandenen und noch nicht entstandenen Verpflichtungen. Im Streitfall handele es sich um Ersteres: Die Anpassungspflicht ergebe sich bereits aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und sie sei überdies – wie bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen vonnöten – infolge des gewerbeaufsichtsbehördlichen Bescheids hinreichend konkretisiert.
Der von der Klägerin dagegen eingelegte Widerspruch ändere daran nichts. Es mangele auch nicht an der Sanktionsandrohung im Fall der Pflichtverletzung. Da die Verpflichtung entstanden sei, komme es nicht darauf an, dass sie wirtschaftlich in der Vergangenheit – vor dem Bilanzstichtag – verursacht worden sei.
Dieses Abgrenzungsmerkmal bedürfe es nur bei noch nicht entstandenen Verpflichtungen. Folglich sei die Anpassungsverpflichtung zu passivieren, und zwar unabhängig davon, ob dadurch erst künftige Aufwendungen "alimentiert" würden. Es gebe keinen Grundsatz, der es gebiete, Ausgaben in jene Zeit zu verlagern, in welcher die Einnahmen zuflössen, und umgekehrt. Das Realisations-, das Imparitäts- und das Going-Concern-Prinzip sowie das Gebot des zutreffenden Vermögensausweises und der Vollständigkeit des Jahresabschlusses geböten es vielmehr, vorhersehbare und hinreichend konkretisierte Risiken bereits mit ihrer Entstehung auszuweisen.
Sei der Klägerin nach allem recht zu geben, so sei indes denkbar, dass es sich bei den fraglichen Aufwendungen um Herstellungsaufwand handele, der zu aktivieren (und sodann abzuschreiben) sei. Deshalb sei die Sache zur weiteren Prüfung an das FG zurückzuverweisen.
Hinweis
Das Urteil ist mit seinen fast lehrbuchartigen Passagen zum Bilanzsteuerrecht für den "eiligen" Leser ein recht schwerer Brocken. Seine tragenden Grundsätze seien deswegen kurz komprimiert:
1. Für den Verbindlichkeitsausweis über eine Rückstellung ist strikt danach zu unterscheiden, ob – erstens – die Verbindlichkeit rechtlich bereits entstanden ist oder – zweitens – noch nicht. Ist sie entstanden und sind nur die Beträge noch ungewiss, dann bedarf es für den Rückstellungsausweis keiner weiteren Voraussetzungen mehr. Ist sie noch nicht entstanden – sind also Grund und Höhe ungewiss –, dann – aber auch nur dann – ist weiter erforderlich, dass die Verbindlichkeit ihre wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit vor dem fraglichen Bilanzstichtag hat. Es ist das Verdienst des Urteils, diese Unterscheidung einmal ganz glasklar herausgestellt zu haben. Sie ist für die Praxis wegweisend!
2. Gemeinhin entscheidet darüber, wann eine Verbindlichkeit rechtlich entstanden ist, die Zivilrechtslage. Bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen bedarf es indes einer entsprechenden Konkretisierung, sei es in Gestalt eines klaren Gesetzesbefehls (woran es so meist mangeln wird) oder aber (und das wird die Regel sein) einer behördlichen Verfügung oder einer verwaltungsrechtlichen Vereinbarung. Und zusätzlich – so die Rechtsprechung – ist eine Sanktionierung für den Fall der Pflichtverletzung erforderlich. Beachten Sie: Die Einlegung eines Widerspruchs gegen die behördliche Verfügung ändert gemeinhin weder etwas an der konkretisierten öffentlich-rechtlichen Pflicht noch an der angedrohten Sanktion.
3.Fallen rechtliche und wirtschaftliche Verursachung auseinander, dann ist für die Passivierung der frühere der beiden Zeitpunkte maßgebend.
4. Es ist für den Passivausweis ohne jede Bedeutung, ob der ausgewiesene Aufwand erst mit künftigen Einnahmen "finanziert" wird. Ebenso ist es umgekehrt – für die Aktivierung – unbeachtlich, ob die ausgewiesenen Einnahmen Ausgaben "alimentieren", die bereits angefallen sind. Aufwendungen und Erträge unterliegen also keinem Gebot wechselseitiger wirtschaftlicher Veranlassung. M.a.W.: Sie brauchen sich, was die Frage des Passivierungszeitpunkts anbelangt, folg...