Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
4.1 Sachverhalt
Unternehmer E aus Essen erhält den Auftrag von seinem Kunden K aus Karlsruhe, 200 Schaltkästen zu liefern, die eine bestimmte, von K benötigte Verdrahtung aufweisen sollen. E bestellt die Schaltkästen bei seinem Zulieferer, der Z-AG aus Zürich (Schweiz). Die Z-AG besorgte die Schaltkästen, verdrahtete diese entsprechend den Angaben des E und übergab sie einem von ihr (der Z-AG) beauftragten Frachtführer, der die Schaltkästen direkt zu K nach Karlsruhe transportierte. Die Ware wird in einem verplombten Container nach Deutschland transportiert und erst nach Übergabe durch den Frachtführer von K im Inland in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt; entsprechend entrichtet K die Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der Zollverwaltung.
4.2 Fragestellung
Die beteiligten Unternehmer möchten wissen, wie die Leistungen untereinander abzurechnen sind. Darüber hinaus möchte E wissen, welche Veränderungen sich ergeben, wenn die spezielle Verdrahtung erst durch Mitarbeiter seines Unternehmens bei dem Kunden in Karlsruhe erfolgt und die Schaltkästen dann dort auch von ihm eingebaut werden.
4.3 Lösung
Alle Beteiligten sind Unternehmer, die selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig sind; dass es sich teilweise um ausländische Unternehmer handelt, ist dabei ohne Auswirkung. Alle Unternehmer handeln im Rahmen ihres Unternehmens.
E erhält die Gegenstände im Rahmen einer Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStG, da Verfügungsmacht an den für E hergestellten Schaltkästen verschafft wird.
Werklieferung setzt Bearbeitung eines einem anderen gehörenden Gegenstands voraus
Früher wurde in einem solchen Fall aufgrund der individuellen Anfertigung des Gegenstands für den Auftraggeber von einer Werklieferung ausgegangen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Werklieferung aber eine Be- oder Verarbeitung eines nicht dem leistenden Unternehmers gehörenden Gegenstands voraus. Im vorliegenden Fall verwendet die Z-AG aber ausschließlich ihr gehörende Materialien.
Da die Schaltkästen von der Z-AG direkt zu seinem Abnehmer K transportiert werden, liegt ein Reihengeschäft nach § 3 Abs. 6a Satz 1 UStG vor. Gegenstand der Lieferungen sind jeweils dieselben Wirtschaftsgüter, da E die Schaltkästen nicht noch bearbeitet oder verarbeitet. Da die Schaltkästen von der Z-AG transportiert werden, ist die Beförderungslieferung der Lieferung der Z-AG an E zuzuordnen. Diese Beförderungslieferung ist nach § 3 Abs. 5a i. V. m. Abs. 6 UStG in der Schweiz ausgeführt und damit in Deutschland nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar.
Verlagerung des Orts in Abhängigkeit von der Schuldnerschaft der EUSt
Eine Verlagerung des Orts der Lieferung nach § 3 Abs. 8 UStG kommt hier nicht in Betracht, da nicht der Lieferer (Z-AG) der Schuldner der bei der Einfuhr zu entrichtenden Einfuhrumsatzsteuer ist.
Die Lieferung des E an K ist eine Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStG, die E als Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens gegen Entgelt ausführt. Der Ort der Lieferung (= ruhende Lieferung im Rahmen des Reihengeschäfts) ist nach § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 UStG in Deutschland ausgeführt, da sich dort die Gegenstände am Ende der Beförderung befinden. Die Lieferungen sind damit in Deutschland nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar. Die Lieferungen sind aber nach § 4 Nr. 4b UStG steuerfrei. Die Ware wird erst von dem Erwerber K in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr gebracht. Damit erfolgt die Lieferung von E an K vor der Einfuhr im Inland.
Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 4b UStG von Einfuhrbedingungen abhängig
Wäre der Gegenstand der Einfuhr gleich beim Gelangen des Gegenstands in das Inland zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abgefertigt worden, wäre zu diesem Zeitpunkt E noch der Verfügungsberechtigte über die Ware gewesen. Damit wäre die Einfuhr für ihn vorgenommen worden und es könnte sich keine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 4b UStG ergeben.
Da es sich um einen steuerfreien Umsatz handelt, entsteht für die Leistung des E keine Umsatzsteuer. Er hat gegenüber K eine Rechnung ohne gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer auszustellen.
Würde E die Verdrahtung der Schaltkästen selbst übernehmen und diese Verdrahtung erst bei seinem Kunden K in Karlsruhe vornehmen, würde es sich nicht mehr um ein Reihengeschäft nach § 3 Abs. 6a Satz 1 UStG handeln.
Die Leistung der Z-AG würde eine Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStG darstellen, da sie E die Verfügungsmacht über die Gegenstände verschafft. Der Ort der Lieferung wäre nach § 3 Abs. 5a i. V. m. Abs. 6 UStG dort, wo die Beförderung beginnt – in diesem Fall in der Schweiz. Die Lieferung der Z-AG wäre damit in Deutschland nicht steuerbar.
Steuerschuldnerschaft für EUSt prüfen
Zu prüfen wäre in diesem Fall, wer der Schuldner der in Deutschland zu entrichtenden Einfuhrumsatzsteuer wäre. Würde die Z-AG die Ware in Deutschland zum freien Verkehr abfertigen, würde sich der Ort ihrer Lieferung nach § 3 Abs. 8 UStG nach Deutschland verlagern – sie hätte dann gegenüber E eine im Inland steuerbare und steuerpflichtige Liefer...