Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von bisher 25 % auf 10 % in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 und die damit verbundene Erfassung von in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven ist jedenfalls dann verfassungsgemäß, wenn die Veräußerung erst nach dem Gesetzesbeschluss im Bundestag am 4.3.1999 vorgenommen worden ist.
2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns gem. § 17 Abs. 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 sind als Anschaffungskosten die historischen Anschaffungskosten und nicht der gemeine Wert der Anteile am 1.1.1999 anzusetzen.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 , § 17 Abs. 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 , § 17 Abs. 4 Satz 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 , § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Der Kläger war seit 1996 mit 20 % am Stammkapital einer GmbH beteiligt. Am 11.3.1999 veräußerte er davon einen Teilanteil von 10,06 % und erzielte dabei einen Gewinn von 1.494.000 DM. Das FA vertrat die Ansicht, dass dieser Gewinn nach § 17 EStG steuerpflichtig sei. Demgegenüber meinte der Kläger, die Besteuerung sei verfassungswidrig, weil sie in Dispositionen bereits abgelaufener Kalenderjahre eingreife; insoweit müsse sein Vertrauen in die Nichtsteuerbarkeit von Wertsteigerungen unwesentlicher Beteiligungen geschützt werden. Das FG wies die Klage ab (EFG 2004, 105).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil. Die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze verstoße nicht gegen Art. 3 GG. Das Verbot der sog. echten Rückwirkung belastender Steuerrechtsnormen stehe der Gesetzesänderung nicht entgegen, soweit diese nicht Veräußerungen erfasse, die vor dem Gesetzesbeschluss vom 4.3.1999 vorgenommen worden seien. Die sachlichen Gründe für die Rechtsänderung überwögen das Interesse am Fortbestand der bisherigen Lage nicht.
Insbesondere sei die Rechtsprechung des BFH zu § 23 EStG, die eine nachträgliche Änderung der im Zeitpunkt einer steuerrechtlich bedeutsamen Disposition geltenden Rechtslage für unzulässig halte, auf § 17 EStG nicht übertragbar. Anders als z.B. bei Grundstücken sei die Wertsteigerung bei einer unwesentlichen Beteiligung von vornherein steuerrechtlich insoweit verstrickt, als sie im Fall der Aufdeckung und einer Ausschüttung der stillen Reserven der Besteuerung als Beteiligungsertrag unterliege.
Hinweis
In der Zeit vom 1.1.1999 (StEntlG 1999/2000/2002) bis zum 1.1.2002 (StSenkG vom 23.10.2000) war eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft dann wesentlich, wenn sie mindestens 10 % des Nennkapitals einer Kapitalgesellschaft umfasste. Der vom Kläger 1999 veräußerte Teilgeschäftsanteil von 10,06 % am Stammkapital einer GmbH fiel in diesen Zeitraum. Die Frage war, ob die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 25 % auf 10 % verfassungsgemäß war.
Bedenken sind im Schrifttum zunächst aus Art. 3 GG und dem Gebot einer folgerichtigen Umsetzung einer einmal getroffenen Belastungsentscheidung hergeleitet worden. Grundlage dieser Belastungsentscheidung war bei § 17 EStG die Vergleichbarkeit des wesentlich Beteiligten mit einem (Mit-)Unternehmer, und diese Vergleichbarkeit ist möglicherweise bei einem nur mit 10 % beteiligten Gesellschafter nicht mehr vorhanden. Der BFH hat sich auf diese Argumentation aber nicht eingelassen und darauf hingewiesen, dass die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf einem steuerrechtlichen Paradigmenwechsel beruhe und ein Zwischenschritt auf dem Weg der Einbeziehung aller privaten Veräußerungsgewinne in die Steuerpflicht sei (vgl. § 23 EStG n.F.). Mit dieser Begründung hat er auch bereits den nächsten Schritt – die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf 1 % – gerechtfertigt!
Aufwändiger war die Begründung, weshalb die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Legt man die übliche Unterscheidung zwischen echter und – grundsätzlich zulässiger – unechter Rückwirkung zugrunde, so muss man davon ausgehen, dass bis zur Veräußerung der Beteiligung der Tatbestand, an den § 17 EStG die Steuerpflicht knüpft, noch nicht verwirklicht war. Damit ist die Gesetzesänderung jedenfalls insoweit eine unechte Rückwirkung, als Veräußerungen nach dem Gesetzesbeschluss vom 4.3.1999 erfasst werden. Die Erwartung des Steuerpflichtigen, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen (und damit Wertsteigerungen einer früher erworbenen unwesentlichen Beteiligung nicht steuerpflichtig werden), ist nach der ständigen Rechtsprechung auch des BVerfG nicht geschützt.
Zu erwägen war noch, ob der danach zu erfassende Veräußerungsgewinn nicht wenigstens auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Gesetzesänderung geltenden gemeinen Werts der Beteiligung zu ermitteln war. Das aber würde sowohl dem Anschaffungskostenbegriff als auch der bisherigen Rechtsprechung des BFH widersprechen, dass eine unwesentliche Beteiligung, die in eine wesentliche hineingewachsen ist, im Fall ihrer Veräußerung mit den historischen Anschaffungskosten z...