Leitsatz
Bestreitet ein Steuerberater, den Steuerbescheid eines Mandanten erhalten zu haben, ist die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auch dann widerlegt, wenn er kein Fristenkontrollbuch führt, sofern nicht weitere Indizien für den Zugang des Bescheids sprechen.
Normenkette
§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, gab für das Streitjahr 1998 keine Steuererklärungen ab. Daraufhin schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen. Den Einspruch gegen den KSt-Bescheid wies das FA am 6.2.2001 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde am selben Tag mit einfachem an die Geschäftsanschrift des Prozessbevollmächtigten adressierten Brief zur Post gegeben.
Mit Bescheid vom 6.6.2001 wies das FA auch den Einspruch gegen den Bescheid über das verwendbare Eigenkapital zum 31.12.1998 als unbegründet zurück. Am 7.6.2001 gingen beim FA die Steuererklärungen für 1998 ein. Der Prozessbevollmächtigte erklärte, die Einspruchsentscheidung vom 6.2.2001 nicht erhalten zu haben. Den Eingang der KSt-Erklärung 1998 wertete das FA als Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung. Nachdem es den Prozessbevollmächtigten vergeblich aufgefordert hatte, das Posteingangsbuch und das Fristenkontrollbuch im Original vorzulegen, lehnte das FA den Antrag unter Hinweis auf die bestandskräftige Einspruchsentscheidung vom 6.2.2001 ab.
Mit dem gegen diese Ablehnung gerichteten Einspruch machte der Prozessbevollmächtigte geltend, anstelle eines Fristenkontrollbuchs werde in seiner Praxis eine Fristenmappe geführt, wodurch die Überwachung von Terminen gewährleistet werde, allerdings auch nur dann, wenn die Schriftstücke ihm tatsächlich zugegangen seien.
Die Klage war erfolgreich (EFG 2005, 85).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG: Es gelten allgemeine Beweisregeln über den Zugang der Einspruchsentscheidung. Scheitere das FA damit, dann sei vom Nichtzugang auszugehen. Das fehlende Original der Kontroll- und Eingangsbücher könne dem Berater nicht entgegengehalten werden.
Hinweis
1. Ein kleines "Fällchen"mit hoher Relevanz für den Praxisbetrieb:
Es stellt sich die Frage, ob ein Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer "härteren Bandagen" als ein "Normalsterblicher" ausgesetzt ist, wenn es um den Nachweis des Erhalts oder Nichterhalts (angeblich) abgesandter Behördenpost in Gestalt von Steuerbescheiden (oder sonstigen Verwaltungsakten) geht. Das, so das eine oder das andere FA, sei so: Denn ein "gemeiner" Berater sei schließlich im Rahmen eines ordnungsgemäßen Bürobetriebs gehalten, ein Fristenkontrollbuch und/oder ein Posteingangsbuch zu führen. Ein solches aber gebe über den Zugang von fristenauslösenden Bescheiden unmissverständlich Auskunft. Verfüge der Berater über derartige Kontrollmechanismen nicht, dann gelte die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, und zwar uneingeschränkt: Der Gegennachweis des Nichtzugangs sei dann misslungen.
2. Das mag man so sehen. Der BFH unterschied indes: Das Fristenkontroll- und Posteingangsbuch sei zwar gemeinhin unverzichtbar, um in den Vorteil einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 56 FGO) bei versäumter Frist zu gelangen. Für den Nachweis des Bescheidzugangs komme ihm jedoch keine Funktion zu. Hier sei der Berater nicht anders zu behandeln als jeder andere auch. Es sei deswegen allein Sache des FA, den Zugang des Bescheids darzutun!
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 31.5.2005, I R 103/04