Leitsatz
1. Die gegen den Erblasser festgesetzte Einkommensteuer kann auch dann als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden, wenn der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten gegen die Steuerfestsetzung Einspruch eingelegt hat und AdV des angefochtenen Bescheids gewährt wurde.
2. Bei der Ermittlung der Zahl der Beschäftigten einer Holdinggesellschaft sind die Arbeitnehmer von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, nicht einzubeziehen (Rechtslage für Erwerbe bis einschließlich 6. Juni 2013).
Normenkette
§ 13a Abs. 1, § 13a Abs. 4 ErbStG 2009, § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, § 361 AO
Sachverhalt
Der im Jahr 2007 verstorbene Erblasser war u.a. an einer Holding-KG beteiligt; die KG hatte weniger als 20 Beschäftigte. Es bestanden Einkommensteuerschulden des Erblassers, bei denen die Vollziehung ausgesetzt war. Nach verschiedenen Änderungen der Steuerfestsetzung und einer Option der Klägerin (Erbin) zur Anwendung der Regelungen des Erbschaftsteuerreformgesetzes 2009 erkannte das FA die Geltendmachung der von der Vollziehung ausgesetzten Steuerfestsetzungen als Nachlassverbindlichkeiten nicht an. Die Verschonungsregelung nach § 13a ErbStG 2009 wurde teilweise rückgängig gemacht, weil die Lohnsumme nach fünf Jahren seit dem Erbfall 3,77 % weniger als die gesetzlich vorgeschriebenen 400 % betrug.
Die Vorinstanz (FG Köln, Urteil vom 10.6.2015, 9 K 2384/09, Haufe-Index 8331374, EFG 2015, 1618) gab der Klage im Hinblick auf die Nichtanwendbarkeit der Lohnsummenregelung statt, nicht aber im Hinblick auf die Geltendmachung der von der Vollziehung ausgesetzten Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeit.
Entscheidung
Das Urteil der Vorinstanz war schon aus verfahrensrechtlichen Gründen, nämlich wegen des Ergehens eines Änderungsbescheids, aufzuheben. Der BFH konnte aber auch in der Sache selbst entscheiden und hat der Klägerin in vollem Umfang recht gegeben.
Aus den dargestellten Gründen sieht der BFH sowohl in angefochtenen als auch in ausgesetzten Steuerfestsetzungen eine wirtschaftliche Belastung, die i.d.R. einen Abzug nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG rechtfertigt.
Bei der Anwendbarkeit der Lohnsummenregelung zeigt der BFH die Differenzierung zwischen der Regelung in § 13a Abs. 1 und Abs. 4 ErbStG 2009 auf, die bis zur Gesetzesänderung eine Hinzurechnung von Beschäftigten der Tochterunternehmen bei der Mutter ausschließt, soweit es um die Entscheidung über die Anwendbarkeit der Lohnsummenregelung geht.
Hinweis
Im Besprechungsfall geht es – wie schon der Leitsatz zeigt – um zwei Probleme, nämlich zum einen um die wirtschaftliche Belastung durch von der Vollziehung ausgesetzte Steuerfestsetzungen als Nachlassverbindlichkeiten und zum anderen um die Anwendung der sogenannten "Lohnsummenregelung" in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes 2009.
1. Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG können vom Erblasser herrührende Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden. Allerdings müssen diese Schulden tatsächlich auch eine wirtschaftliche Belastung mit sich bringen.
Bereits bei Steuerfestsetzungen, die mit dem Einspruch angegriffen wurden, könnte diese Belastung fraglich sein. Gleichwohl lässt der BFH in diesem Fall den vollen Abzug der Steuerschuld zu, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die auf eine unzutreffende – zu hohe – Festsetzung durch das FA schließen lassen. Vergleichbares gilt im Streitfall, wenn die Steuerfestsetzung von der Vollziehung ausgesetzt wurde.
2. Der zweite Punkt betrifft den schon lange schwelenden Streit um die Anwendung der Lohnsummenregelung in der alten Fassung des Erbschaftsteuergesetzes 2009 (im Streitfall auf Antrag rückwirkend für den Erbfall aus 2007).
Die Lohnsummenregelung dient der Rechtfertigung der Besserstellung von Unternehmern, indem diese verpflichtet werden, durch Einhaltung bestimmter Lohnsummen für mehrere Jahre den Erhalt von Arbeitsplätzen zu garantieren.
Voraussetzung ist aber, dass die Lohnsummenregelung überhaupt Anwendung findet. Denn "kleinere" Betriebe sind hier ausgenommen: Gemäß § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 gilt die Lohnsummenregelung u.a. nicht, wenn der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat.
Streitig ist in diesem Zusammenhang, ob die Beschäftigten von Tochterunternehmen, an denen das Mutterunternehmen wesentlich beteiligt ist, hinzuzurechnen sind.
Für eine Hinzurechnung könnte sprechen, dass bei der Berechnung der Lohnsumme, d.h. der einzuhaltenden "Zahl", gemäß § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG 2009 die Beschäftigten solcher Tochterunternehmen hinzuzurechnen sind. Die Auslassung solcher Beschäftigter in Abs. 1 könnte ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers gewesen sein.
Der BFH hat es aber abgelehnt, die Beschäftigten der Tochterunternehmen für die Frage der Anwendung der Lohnsummenregelung mit einzubeziehen (diese Auslegung wäre auch gegen den Wortlaut der Vorschrift). Der BFH argumentiert, dass sich weder aus der systematischen Stellung der Vorschriften noch aus den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte für eine gleichsam "analoge" Anwendung des Abs. 4 auf den Abs. 1...