Leitsatz

Die Zahlung von Arbeitslohn stellt eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129ff. der Insolvenzordnung dar.

 

Normenkette

§ 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die insolvenzrechtliche Zulässigkeit einer Aufrechnung des FA. Die Klägerin ist die Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Schuldnerin, über deren Vermögen auf Antrag vom 25.3.2015 am 27.3.2015 zunächst die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde. Mit Beschluss vom 1.7.2015 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Schuldnerin meldete am 6.3.2015 für März 2015 LSt-Beträge i.H.v. ca. 64.000 EUR an. Die gesamten Nettolöhne überwies die Schuldnerin am 11.3.2015, die angemeldete LSt beglich sie hingegen nicht.

Mit Bescheid vom 27.5.2016 setzte das FA die KSt für 2014 auf 0 EUR fest. Nach Abzug der im Jahr 2014 geleisteten Vorauszahlungen ergab sich ein KSt- und SolZ-Guthaben i.H.v. ca. 40.000 EUR, welches das FA auf die LSt-Verbindlichkeiten umbuchte. Daraufhin erklärte die Klägerin, dass sie die Aufrechnung für unzulässig halte (§ 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO), und bat um Überweisung des Guthabens nebst Zinsen seit dem 1.7.2015 zur Masse.

Nachdem das FA dies abgelehnt hatte, erging auf Antrag der Klägerin der streitgegenständliche Abrechnungsbescheid gemäß § 218 AO entsprechend der Umbuchungsmitteilung über LSt sowie Nebenabgaben zur LSt für März 2015. Angaben zu Zinsen enthielt der Bescheid nicht.

Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage überwiegend Erfolg. Das FG urteilte, der Aufrechnung stehe § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.9.2019, 8 K 8260/17, Haufe-­Index 16072887, EFG 2020, 824). Das FA habe keinen Anspruch auf Rechtshandlungen, der über die gesetzlichen Regelungen zum LSt-Abzug hinausging. Ohne Zahlung der Arbeitslöhne durch die Schuldnerin wäre keine LSt-Verbindlichkeit entstanden und das FA hätte die KSt-Guthaben an die Masse auskehren müssen. Die Rechtshandlungen im letzten Monat vor Insolvenzantragstellung ermöglichten durch die Existenz der aufschiebend bedingten KSt-Guthaben eine Befriedigung (durch Aufrechnung), auf die das FA keinen Anspruch gehabt habe.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen und auf die Revision der Klägerin die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG hatte bislang keine ausreichenden Feststellungen zu dem geltend gemachten Zinsanspruch getroffen.

 

Hinweis

Der Streitfall befasst sich mit dem Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO und insbesondere mit der Abgrenzung zwischen einer kongruenten Deckung nach § 130 InsO und einer inkongruenten Deckung nach § 131 InsO im Fall der Aufrechnung.

1. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung i.S.v. §§ 129 ff. InsO erlangt hat. Bereits in der Vergangenheit hatte der BFH die Herstellung einer Aufrechnungslage durch Rechtshandlungen als eigenständige Rechtshandlung angesehen (BFH, Urteil vom 18.2.2020, VII R 39/18, BFH/NV 2020, 1183, BStBl II 2023, 224, Rz. 37).

2. Im Streitfall hatte die Überweisung von Arbeitslohn zur Entstehung der LSt und in der weiteren Folge zur Entstehung einer Aufrechnungslage geführt, sodass dem FA eine Möglichkeit zur Befriedigung seiner LSt-Forderung durch Aufrechnung mit einem KSt-Erstattungsanspruch gegeben wurde.

Nach der BGH-Rechtsprechung ist für die Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung entscheidend, ob der Aufrechnende einen Anspruch auf Abschluss der Vereinbarung hatte, welche die Aufrechnungslage entstehen ließ, oder ob dies nicht der Fall war. Dabei stellt der BGH maßgeblich auf das zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger bestehende Rechtsverhältnis ab (BGH, Urteil vom 8.12.2022, IX ZR 175/21, Rz. 7, m.w.N.). Die Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung setzt nicht voraus, dass die Aufrechnung ausdrücklich vereinbart wird, weil es sich bei dieser um ein echtes Erfüllungssurrogat handelt.

3. Der BFH ist von diesen Grundsätzen ausgegangen, obwohl es sich durch die Beteiligung des FA regelmäßig um ein Drei-Personen-Verhältnis handelt.

Der BFH hat maßgeblich darauf abgestellt, dass die Aufrechnungslage dadurch entstanden ist, dass die Schuldnerin die Lohnzahlung an ihre Arbeitnehmer geleistet hat, ohne dass sich dies aus einem Rechtsverhältnis zwischen der Schuldnerin und dem FA ergeben hätte oder das FA darauf auch nur hätte Einfluss nehmen können. Das FA hat die Aufrechnungsmöglichkeit mithin eher zufällig erlangt.

Dem könnte man entgegenhalten, dass das FA unzweifelhaft einen Anspruch auf Erfüllung seiner LSt-Forderung hatte und die Aufrechnung – worauf auch der BGH hinweist – lediglich ein Erfüllungssurrogat darstellt.

Folge dieser Entscheidung dürfte letztlich sein, dass jede Aufrechnung durch das FA mit einer in der kritischen Zeit (im letzten Monat vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung) fällig gewordenen Steuer nach § 131 Abs. 1...

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