Leitsatz
1. In Fällen der Entziehung einer Nichtgemeinschaftsware aus der zollamtlichen Überwachung (hier: Entfernung aus dem Zolllager zur Wiederausfuhr ohne unmittelbare Überführung in das externe Versandverfahren) entsteht die Einfuhrzollschuld ohne die Möglichkeit einer Heilung (Anschluss an EuGH, Urteil vom 12.2.2004, Rs. C-337/01).
2. Die zur Entscheidung über einen Erstattungsantrag berufenen Zollbehörden und Gerichte sind von Amts wegen verpflichtet, den Antrag unabhängig von dem geltend gemachten Rechtsgrund umfassend auf alle Erstattungsgründe hin zu überprüfen, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein könnten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmungen, insbesondere die Fristen für die Antragstellung, erfüllt sind.
Normenkette
Nr. 2913/92 VO (EWG) , Art. 37 (ZK) , Art. 91 Abs. 1 Buchst. a (ZK) , Art. 203 Abs. 1 und Abs. 3 Anstrich 4 (ZK) , Art. 204 Abs. 1 (ZK) , Art. 236 Abs. 1 erster Unterabs. (ZK) , Art. 239 (ZK) , Nr. 2454/93 VO (EWG) , Art. 859 (ZKDVO) , Art. 905 Abs. 1 (ZKDVO)
Sachverhalt
Der Inhaber eines Zolllagers (Typ D) entnahm aus dem Lager bestimmte von ihm eingeführte und in das Zolllagerverfahren übergeführte Waren, ohne die Entnahme aus dem Zolllager beim HZA anzumelden. Das HZA setzte deshalb gegen ihn Zoll und Einfuhrumsatzsteuer fest.
Der Lagerinhaber wollte jedoch mit Hilfe der polnischen Verzollungsunterlagen und anderer Nachweise, die er für den Reexport der Waren vorlegen konnte, Erstattung der festgesetzten Abgaben. Ohne Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hatte beim EuGH eine Vorabentscheidung eingeholt (Beschluss vom 17.7.2001, VII R 99/00, BFH-PR 2001, 401). Der EuGH hat entschieden: "Artikel 203 Abs. 1 ZK ist dahin auszulegen, dass in das Zolllager übergeführte und zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmte Nichtgemeinschaftswaren der zollamtlichen Überwachung i.S.d. genannten Bestimmung entzogen worden sind, wenn sie vor dem In-Kraft-Treten der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom 4.5.2001 zur Änderung der ZKDVO ohne vorherige Abfertigung zum externen Versandverfahren aus dem Zolllager entfernt und von dort zur Ausgangszollstelle befördert worden sind und die Zollbehörden, sei es auch nur zeitweise, nicht imstande gewesen sind, die zollamtliche Überwachung dieser Waren sicherzustellen."
Dadurch war die Frage der Zollschuldentstehung an sich geklärt. Doch man sehe, der BFH scheint damit wenig zufrieden und verweist noch einmal auf sein "Bemühen", jedenfalls in Fällen nachgewiesener Wiederausfuhr von Nichtgemeinschaftswaren dem "Wirtschaftszollgedanken ... Geltung zu verschaffen", womit er meint, beim Generalanwalt auch Gehör gefunden zu haben. Nicht so im EuGH-Urteil! Und der BFH war selbstredend an den von ihm selbst ja erfragten Rechtssatz des EuGH gebunden. Es blieb ihm nur die Frage zu entscheiden, ob die Zollschuld erlassen werden könnte. Das hat er mangels eines besonderen Falls – der Lagerinhaber war schlicht nachlässig gewesen – mit Recht kurz und knapp verneint.
Hinweis
1. Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird (Art. 203 Abs. 1 ZK). Solange sich die Nichtgemeinschaftswaren im Zolllagerverfahren befinden (vgl. Art. 98 Abs. 1 Buchst. a ZK), dürfen sie nur vorübergehend aus dem Lager entfernt werden und dies nur nach Bewilligung durch die Zollstelle (Art. 110 ZK). Sollen sie zwecks Wiederausfuhr (Art. 182 Abs. 1 Anstrich 1 ZK) auf Dauer aus dem Zolllager entfernt werden, sind sie zu der vorgesehenen neuen zollrechtlichen Bestimmung (Art. 4 Nr. 15 Buchst. c) anzumelden (Art. 182 Abs. 3 Satz 3 ZK); erst nachdem sie diese Bestimmung erhalten haben, endet das Zolllagerverfahren (Art. 89 Abs. 1 ZK).
Ggf. müssen die betreffenden Waren gem. Art. 91 Abs. 1 Buchst. a ZK von der Ausfuhrzollstelle (beim Lager) zur Ausgangszollstelle (Gemeinschaftsgrenze) im externen Versandverfahren befördert werden. Eine Beförderung im Rahmen des Zolllagerverfahrens ist jetzt jedoch nach ZKDVO-Änderungs-VO (EG) Nr. 993/2001 vom 4.5.2001 (ABlEG Nr. L 141/1) seit 1.7.2001 zulässig (vgl. Art. 91 Abs. 3 ZK n.F.).
2.Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung ist jede Handlung oder Unterlassung, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und der Durchführung der in Art. 37 Abs. 1 ZK vorgesehenen Prüfungen gehindert wird, so der EuGH. Ob die Zollbehörde tatsächlich eine solche Prüfung durchzuführen beabsichtigt hat und ob der Bewilligungsinhaber ggf. dann der Zollbehörde die Waren zu einer solchen Prüfung hätte zur Verfügung stellen können, ist ohne Bedeutung!
3. Eine "Heilung" der Zollschuldentstehung durch Pflichtverletzung nach Art. 203 Abs.1 ZK gem. Art. 204 ZK ist nicht möglich. Allenfalls kommen noch Erlasstatbestände in Betracht.
4. Scheidet eine Erstattung nach Art. 236 Abs. 1 ZK aus, können die betreffenden Abgaben aufgrund von Art. 239 Abs. 1 ZK i.V.m. Art...