Leitsatz
1. Für die Frage, ob unter Verletzung der Gestellungspflicht in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Waren noch "bei dem vorschriftswidrigen Verbringen" (Art. 233 Buchst. d ZK) beschlagnahmt worden sind und damit mit der nachfolgenden Einziehung die Zollschuld erloschen ist, kommt es jedenfalls nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Waren in den Wirtschaftskreislauf bzw. ihr "Zur-Ruhe-Kommen" im Anschluss an die grenzüberschreitende Beförderung an. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, zu dem die Waren den Ort, an dem sie hätten ordnungsgemäß gestellt werden müssen, wieder verlassen haben, spätestens aber der Zeitpunkt, zu dem sie ihren (ersten) Bestimmungsort im Zollgebiet erreicht haben. Die Beschlagnahme und Einziehung der Waren nach diesem Zeitpunkt führt nicht mehr zu einem Erlöschen der Zollschuld.
2. Beteiligt am vorschriftswidrigen Verbringen i.S.d. Art. 233 Buchst. d ZK ist auch derjenige, der Räume bereitstellt, in denen die Waren aus dem für das vorschriftswidrige Verbringen benutzten Beförderungsmittel entladen werden können. Maßgeblich ist insoweit nicht das tatsächliche Zur-Verfügung-Stellen der Räume und deren Benutzung für die Entladung, sondern bereits die vorherige Zusage einer späteren Nutzung der Räume.
Normenkette
Art. 32 Abs. 1 Buchst. e, Art. 37, Art. 38 Abs. 1 Buchst. a, Art. 40, Art. 202 Abs. 1, Art. 202 Abs. 3 2. Anstrich, Art. 233 Buchst. d VO Nr. 2913/92 (ZK), Art. 163 VO Nr. 2454/93 (ZKDVO), § 19, § 21 Satz 1 TabStG, § 21 Abs. 2 Satz 1 UStG
Sachverhalt
Hinter einer Tarnladung waren in dem Lastzug unverzollte und unversteuerte Zigaretten versteckt, die nicht zur Einfuhr angemeldet wurden. Stattdessen fuhr der Lkw unerkannt zu einer Halle, deren Besitzer zugesagt hatte, diese für die Entladung der Zigaretten zur Verfügung zu stellen. Dort angekommen, wurde mit der Entladung begonnen; bevor man die Zigaretten erreicht hatte, wurden diese allerdings vom Zoll, der das Geschehen beobachtet hatte, beschlagnahmt und im Strafverfahren eingezogen. Gleichwohl wurde der Hallenbesitzer – neben anderen Gehilfen – vom HZA gesamtschuldnerisch auf Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer, EUSt) in Anspruch genommen.
Entscheidung
Der BFH hat die Inanspruchnahme des Hallenbesitzers gebilligt.
Hinweis
1. Eine Zollschuld entsteht nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK – was nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Halbs.1 UStG auch für die EUSt und nach § 21 Satz 1 TabStG für die Tabaksteuer gilt –, wenn Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, d.h. entgegen Art. 38 Abs. 1 Buchst. a, Art. 40 ZK nicht der Zollbehörde gestellt werden. Bei versteckten Waren gehört zur Gestellung die Mitteilung, dass die betreffenden, zumindest ihrer Art nach zu bezeichnenden Waren gestellt werden sollen.
2. Zoll und EUSt erlöschen jedoch, wenn Waren, für die eine Zollschuld gem. Art. 202 ZK entstanden ist, "bei dem vorschriftswidrigen Verbringen"beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen werden (Art. 233 Buchst. d ZK).
3. Was heißt "bei dem Verbringen"? Wann ist das Verbringen beendet, so dass eine Beschlagnahme nicht mehr zum Erlöschen der Abgabeschuld führen kann? Der Begriff des Verbringens ist im Gemeinschaftsrecht nicht definiert. Mitunter wird so gesprochen, als ob das Verbringen mit dem Überschreiten der Zollgrenze der Gemeinschaft beendet ist. Mitunter greift der Begriff des Verbringens nach den Regelungen des ZK aber auch über diesen Zeitpunkt hinaus.
Nur wenn man von einem solchen weiten Begriff im Rahmen des Art. 233 Buchst. d ZK ausgeht, bleibt für diese Vorschrift ein nennenswerter Anwendungsbereich! Der BFH lässt deshalb das Verbringen insoweit nach dem Überschreiten der Zollgrenze der Gemeinschaft noch bis zum Zeitpunkt und Ort andauern, an dem eine ordnungsgemäße Gestellung noch möglich ist. Mithin ist es erst beendet, wenn die Ware den Amtsplatz der Zollstelle verlassen hat. Im Schrifttum verwendete, noch großzügigere (und begrifflich eindrucksvoll vage) Ansichten, etwa dass es auf den "Eingang in den Wirtschaftskreislauf" oder das "Zur-Ruhe-Kommen" der Ware ankomme, hat der BFH jetzt klar verworfen.
4. Beachten Sie, dass ein Gehilfe des Verbringens nur dann Zollschuldner wird, wenn zur Zeit seines Tatbeitrags das vorschriftswidrige Verbringen noch nicht beendet ist. Die Beteiligungshandlung kann allerdings in der Art "psychischer Beihilfe" auch in der Zusage einer späteren Förderung des Schmuggels liegen – im Besprechungsfall: Zur-Verfügung-Stellen der Halle zum Umladen.
5. Die Erhebung von Einfuhrabgaben für eingezogene Waren ist keine unzulässige Doppelbestrafung. Sie dient vielmehr allein der Sicherung einer ordnungsgemäßen Besteuerung in Fällen, in denen Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht werden. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Fehlens eines gesetzlichen Erlöschenstatbestands bei Beschlagnahme und Einziehung der Waren. Art. 103 Abs. 3 GG enthält kein an den Gesetzgeber gerichtetes Gebot, den Täter von den steuerrechtlichen Folgen seines Tuns deshalb freiz...