Leitsatz
1. Die Entnahme von Bier aus einem Steuerlager mit der Folge der Entstehung der Biersteuer nach § 14 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 des Biersteuergesetzes stellt für sich betrachtet noch keine objektive Pflichtverletzung dar, auf die eine Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH nach § 69 Satz 1 der Abgabenordnung gestützt werden kann.
2. Der Geschäftsführer hat dafür zu sorgen, dass die Biersteuer bei Fälligkeit aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet wird, wobei ihm aufgrund des auf Abwälzung ausgerichteten Verbrauchsteuersystems die Möglichkeit eingeräumt wird, das Bier in Ausübung seiner unternehmerischen Freiheit zu verkaufen und damit Einnahmen zu erzielen.
3. Sofern jedoch bereits bei der Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager für den Geschäftsführer klar erkennbar ist, dass im Zeitpunkt der Fälligkeit der Biersteuer keine Mittel für deren Begleichung vorhanden sein werden, liegt in der Entnahme ein Verstoß gegen die Mittelvorsorgepflicht vor.
Normenkette
§ 191 Abs. 1 Satz 1, § 69 Satz 1, § 34 Abs. 1 Satz 1 AO, § 35 GmbHG, § 14, § 15 Abs. 1 Satz 6 BierStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Liquidator und war im maßgeblichen Haftungszeitraum Geschäftsführer der Produktions-GmbH, die verschiedene Biersorten braute und der eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaber für Bier erteilt war. Zum 30.9.2014 bestanden offene Verbindlichkeiten in sechsstelliger Höhe gegenüber der Stadtwerke-Y-GmbH, von denen die Produktions-GmbH Strom, Gas und Wasser bezog. Im Oktober und Dezember 2014 wurden hierauf Teilzahlungen geleistet.
Die BierSt für September 2014 wurde im Dezember 2014 gezahlt; die BierSt für Oktober 2014 ging verspätet im Dezember 2014 beim HZA ein. Die Löhne wurden bis einschließlich November 2014 bezahlt. Für die Begleichung der im Dezember 2014 fälligen BierSt für November 2014 und der sonstigen noch offenen Verbindlichkeiten waren keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden.
Am 30.12.2014 beantragte die Produktions-GmbH aufgrund von Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Verfahren wurde im März 2015 eröffnet.
Das HZA hat den Kläger für die noch offene BierSt für November 2014 (und für Säumniszuschläge) gemäß § 69 AO in Haftung genommen. Der Einspruch war nur bezüglich der Säumniszuschläge erfolgreich.
Die Klage hatte Erfolg (FG München, Urteil vom 23.7.2020, 14 K 1208/17, Haufe-Index 14045011). Der Kläger habe zwar die Pflicht, die BierSt für den Monat November 2014 bei Fälligkeit zu entrichten, objektiv verletzt. Dies sei ihm aber nicht vorzuwerfen, weil zu diesem Zeitpunkt keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden gewesen seien.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des HZA als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Dieser Haftungsfall betrifft zwar die BierSt, der BFH äußert sich jedoch grundsätzlich zur Mittelvorsorgepflicht eines Geschäftsführers.
1. Die Haftung des Geschäftsführers setzt voraus, dass die Pflichtverletzung kausal für den geltend gemachten Schaden ist. Welches die maßgebliche Handlung beziehungsweise Unterlassung ist, die dem Haftungsschuldner zur Last gelegt wird, ist dem Haftungsbescheid zu entnehmen.
Wird auf die Nichtentrichtung der Steuer abgestellt, müssen der Gesellschaft bei Fälligkeit der Steuerschuld ausreichende Mittel zu ihrer Erfüllung zur Verfügung gestanden haben. Das war im Streitfall nicht gegeben.
2. Der Geschäftsführer handelt nach der ständigen Rechtsprechung ggf. schon dadurch pflichtwidrig, dass er nicht vorausschauend plant und insbesondere in der Krise keine finanziellen Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält (Mittelvorsorgepflicht). An der notwendigen Vorsorge für die fristgerechte Begleichung der Steuerschuld fehlt es insbesondere, wenn er die Gesellschaft durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt ist, zu tilgen. Dies gilt (auch) für Steuerforderungen, mit denen der Geschäftsführer rechnen muss bzw. deren Entstehung absehbar ist (vgl. BFH, Beschluss vom 29.8.2018, XI R 57/17, Rz. 46, BFH/NV 2019, 7).
3. In diesem Zusammenhang hat der BFH sich mit der Frage beschäftigt, ob der Geschäftsführer verpflichtet ist, von der Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager abzusehen, weil die dadurch entstehende Biersteuer voraussichtlich nicht entrichtet werden kann.
Das hat er unter Verweis auf die Rechtsprechung zum USt-Recht verneint. Danach bleibt der Geschäftsführer auch in Krisenzeiten in seinen unternehmerischen Dispositionen und in der Vertragsgestaltung frei (BFH, Urteil vom 28.11.2002, VII R 41/01, BFH/NV 2003, 537, BStBl II 2003, 337, Rz. 15). Würde die Auslagerung von Bier in einer finanziell angespannten Situation als objektive Pflichtverletzung angesehen und infolgedessen der Geschäftsführer des Inhabers des BierSt-Lagers in Haftung genommen werden, käme dies im Ergebnis einer Betriebseinstellung gleich.
Entscheidend ist, dass die steuerliche Pflicht zur Mittelvorsorge all...