Leitsatz
Das Finanzamt muss den Zugang eines Verwaltungsakts auch dann nachweisen, wenn der Zugang durch einen Gesamtrechtsnachfolger bestritten wird.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Stiftung, die Gesamtrechtsnachfolgerin eines verstorbenen Steuerpflichtigen ist. Gegen diesen erließ das Finanzamt für das Jahr 2016 unter dem Datum 23.10.2017 einen Einkommensteuerbescheid. Die Einlieferung zur Post ließ sich hierbei nachvollziehen. Im Jahr 2020 im Rahmen der Haushaltsauflösung des in der Zwischenzeit verstorbenen Steuerpflichtigen stellte die Klägerin fest, dass der Einkommensteuerbescheid 2016 in den Unterlagen des Steuerpflichtigen fehlte. Mit Schreiben vom 17.3.2020 übermittelte das Finanzamt dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Abschrift des Einkommensteuerbescheids 2016. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und verwies auf den fehlenden Zugang des Bescheids 2016 im Jahr 2017. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens legte die Klägerin Unterlagen vor, aus denen ersichtlich war, dass die Einkommensteuerfestsetzung 2016 aufgrund eines Übertragungsfehlers fehlerhaft und deshalb zu ändern war. Das Finanzamt verwarf den Einspruch als unzulässig. Es verwies darauf, dass die Indizien dafürsprachen, dass der Einspruch ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist. Demgemäß sei die Einspruchsfrist abgelaufen. Die Klägerin wandte sich an das zuständige Finanzgericht.
Entscheidung
Das FG Münster gab der Klage statt. Nach Ansicht des Gerichts ist der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 23.10.2017 nicht bekanntgegeben. Den erforderlichen Nachweis des tatsächlichen Zugangs hat das Finanzamt nicht erbracht. Nach der Rechtsprechung des BFH muss der Adressat eines schriftlichen Verwaltungsakts den Zugang nur bestreiten, aber nicht substantiiert vortragen, warum die Sendung ihn nicht erreicht hat. Vielmehr obliegt es dem Finanzamt, den Beweis des Zugangs zu führen. Hierbei kann der Beweis anhand von Indizien erfolgen. Diese Art der Beweislastverteilung gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Zugang durch einen Erben des Steuerpflichtigen bestritten wird.
Hinweis
Die Entscheidung hat Bedeutung in allen Fällen, in denen ein Dritter, also nicht der Steuerpflichtige, sich darauf berufen will, dass ein Verwaltungsakt nicht zugegangen ist. Der Zugang hat hierbei vor allem Bedeutung für die Berechnung einer Rechtsbehelfsfrist. Ist kein Zugang erfolgt, läuft auch keine Frist (§ 355 AO). Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wird hierbei bei einer Versendung per Post eine Bekanntgabe im Inland 3 Tage (ab 2025 4 Tage) nach der Aufgabe zur Post vermutet. Diese Zugangsfiktion kann allerdings erschüttert werden, wenn Zweifel am Zugang bestehen. Ein Bestreiten des Zugangs kann hierbei auch durch einen Dritten erfolgen, dies ist die zentrale Aussage der Entscheidung.
Die Revision zum BFH wurde zugelassen, da bislang noch keine Entscheidung des BFH dazu vorliegt, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Dritter die fehlende Bekanntgabe eines Steuerbescheids geltend machen kann.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 19.04.2024, 4 K 870/21 E