Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Wenn der Tag der Aufgabe zur Post feststeht, setzt nicht bereits jedes Bestreiten des Zugangszeitpunkts die Zugangsfiktion außer Kraft.
Sachverhalt
Der Kläger war im Jahr 2020 als selbstständiger Rechtsanwalt in Hamburg tätig und ist wohnhaft in Niedersachsen. Mit Bescheiddatum vom 2.9.2021 stellte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für 2020 für den Kläger gesondert fest. Die Steuerbescheide des Finanzamts werden im sogenannten Zentralversand gedruckt, nach dem Druck der C GmbH übergeben und von dieser an die Deutsche Post AG ausgeliefert.
Gegen den Feststellungsbescheid legte der Kläger am 7.10.2021 über das Portal www.elster.de Einspruch ein. Nach einem Hinweis des Finanzamts auf die Verfristung des Einspruchs trug er vor, der Bescheid sei ihm erst am 7.9.2021 zugegangen. Demnach könne die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach der Bescheid 3 Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt, nicht angewendet werden. Das Finanzamt verwarf den Einspruch wegen Verfristung als unzulässig.
Entscheidung
Das FG hat dem Finanzamt Recht gegeben und entschieden, dass der Bescheid vom 2.9.2021 bestandskräftig geworden ist.
Ein durch die Post übermittelter schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
Steht der Tag der Aufgabe zur Post fest, setzt nicht bereits jedes beliebige Bestreiten des Zugangszeitpunkts die Zugangsfiktion außer Kraft. Dies gilt vielmehr nur dann, wenn der Empfänger im Rahmen des Möglichen substantiiert Tatsachen vorträgt, die schlüssig auf den verspäteten Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen.
Vorliegend stand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Bescheid am Donnerstag, 2.9.2021 zur Post aufgegeben worden ist. Das Datum des Bescheids stimmte insoweit mit dem Datum der Postaufgabe überein. Da der dritte Tag nach Aufgabe des Bescheids zur Post ein Sonntag war, verlängerte sich die Dreitagesfrist auf Montag, den 6.9.2021.
Der Kläger hat die Bekanntgabefiktion am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post nicht erschüttert. Insbesondere wurden nicht substantiiert Tatsachen vortragen, die schlüssig auf einen verspäteten Zugang hindeuteten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründeten.
Hinweis
Im Hinblick darauf, dass der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post im Wissens- und Verantwortungsbereich des Finanzamts liegt, bedarf es insoweit keines substantiierten Bestreitens durch den Steuerpflichtigen. Vorliegend hat nach der Beweisaufnahme sowie einer Gesamtwürdigung aller vorliegenden Umstände zur Überzeugung des Gerichts allerdings die Aufgabe des Bescheids zur Post am 2.9.2021 festgestanden. Das Datum des Bescheids stimmte insoweit mit dem Datum der Postaufgabe überein.
Der allgemeine Einwand des Klägers auf mögliche Unregelmäßigkeiten beim Finanzamt hat nicht ausgereicht, diese Fiktion zu entkräften. Ebenso wenig begründete allein ein abweichender Vermerk des Klägers in seinem Fristenkalender Zweifel am Zugang des Verwaltungsakts innerhalb des gesetzlich vermuteten Dreitageszeitraums. Vielmehr hätte es dem Kläger oblegen, im Rahmen der Beweisvorsorge den Briefumschlag aufzubewahren und vorzulegen, um dem FG damit eine Überprüfung des Poststempels und eine möglicherweise abweichende Aufgabe zur Post zu ermöglichen.
Link zur Entscheidung
FG Hamburg, Urteil v. 13.04.2023, 5 K 92/22