Leitsatz
Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen worden sind.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10 AO, § 9 Art. 97, § 10 EGAO 1977, § 144 RAO, § 4 Nr. 20 Buchst. a, § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1967, UStG 1973, UStG 1980, UStG 1991
Sachverhalt
Eine Ballettschule beantragte unter Hinweis auf nach 2004 erteilte Bescheinigungen für ihren Ballettunterricht nach § 4 Nr. 21 UStG und für Ballettaufführungen nach § 4 Nr. 20 UStG die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide ab 1971. Das FA berief sich für die Zeit bis 1992 auf die Bestandskraft und Verwirkung, Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.9.2010, 16 K 295/09, Haufe-Index 2538040, EFG 2011, 25).
Entscheidung
Die wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Für die Jahre vor Inkrafttreten der AO richtet sich zwar die Korrekturbefugnis von Steuerbescheiden ab dem 1.1.1977 grundsätzlich nach der AO, die Korrekturbefugnis für die Festsetzung von Steuern wie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dagegen nach der RAO und war bei Erlass der Grundlagenbescheide – der Bescheinigungen der ressortfremden Behörde nach § 4 Nr. 20 und Nr. 21 UStG – ebenso wie die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer für 1977 bis 1992 bereits abgelaufen.
Hinweis
Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grundsätzlich unselbstständiger Teil des Steuerbescheides. Der Grundsatz der Einheit des Steuerfestsetzungsverfahrens ist nur durchbrochen, wenn dies gesetzlich geregelt ist. Die Regelungen zur Festsetzungsfrist für Steuerbescheide (§§ 169ff. AO) und die Regelungen für Feststellungsbescheide (§§ 179ff. AO) sind daher aufeinander abgestimmt und berücksichtigen, dass Letztere – verfahrensrechtlich gestuft und abschichtend – die verbindlichen Vorgaben für Steuerbescheide enthalten. § 181 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 AO sowie die Ablaufhemmung nach § 175 Abs. 10 AO stellen die Verzahnung bei der Festsetzungsfrist sicher. Dass für ressortfremde Verwaltungsakte, soweit eine Bindung materiell-rechtlich vorgeschrieben ist, keine § 181 Abs. 1 und Abs. 5 AO entsprechenden Regelungen bestehen und daher eine offensichtliche Regelungslücke vorlag, wurde erst aufgrund der Rechtsprechung zur Bedeutung rückwirkender Bescheinigungen zu § 4 Nrn. 20 und 21 UStG und deren Qualifizierung als Grundlagenbescheide erkennbar. Die im Anwendungsbereich des § 171 Abs. 10 AO bei sog. ressortfremden Grundlagenbescheiden bestehende Regelungslücke hat der BFH nun durch teleologische Reduktion des § 171 Abs. 10 AO geschlossen. Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden begründen daher – ebenso wie die in § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO ausdrücklich geregelten Sachverhalte – nur dann eine Ablaufhemmung, wenn sie noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekannt gegeben worden sind. Die Entscheidung betrifft alle Bescheinigungen ressortfremder Behörden, die Grundlagenbescheide i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.2.2013 – V R 27/11