Leitsatz
1. Das Veranlagungswahlrecht darf zwar bis zur Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung auch während eines Einspruchs- und Klageverfahrens abweichend ausgeübt werden. Wegen der Verschiedenartigkeit der Veranlagungsarten hat das FA jedoch stets ein eigenständiges Veranlagungsverfahren durchzuführen.
2. Wird eine Klage auf Anfechtung eines Zusammenveranlagungsbescheids geändert in eine Klage auf Verpflichtung des FA zur Durchführung einer getrennten Veranlagung, ist die Klageänderung nur zulässig, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO die Sachentscheidungsvoraussetzungen für das Verpflichtungsbegehren erfüllt sind. Dazu gehört insbesondere, dass die Verwaltung zuvor die beantragte Veranlagung durch Bescheid abgelehnt hat oder der Kläger bei Untätigkeit der Behörde einen sog. Untätigkeitseinspruch eingelegt hat.
Normenkette
§ 42 AO , § 118 Satz 1 AO , § 347 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO , § 242 BGB , § 26 EStG , § 26a EStG , § 26b EStG , § 40 Abs. 1 FGO , § 44 Abs. 1 FGO , § 45 Abs. 1 FGO , § 46 Abs. 1 FGO , § 67 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Die – seit 1997 geschiedenen – Kläger beantragten mit ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 1988 die Zusammenveranlagung. Das FA erließ antragsgemäß einen Zusammenveranlagungsbescheid. Den Einspruch der Kläger wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 24.2.1995 als unbegründet zurück. Mit ihrer am 27.2.1995 erhobenen Klage machten die Kläger materielle Fehler der Steuerfestsetzung geltend. Die Kläger beantragten im November 1997 beim FA die getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 bis 1993 mit der Begründung, sie hätten bereits seit Jahren dauernd getrennt gelebt. Das FA forderte sie daraufhin auf, ihre widersprüchlichen Erklärungen über die Zeit des Zusammenlebens zu erläutern. Hieran schloss sich ein Schriftwechsel zwischen dem FA und den Klägern an.
Die Kläger beantragten vor dem FG nunmehr, sie getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen. Ihr Anfechtungsbegehren hielten sie nur noch hilfsweise aufrecht.
Das FG gab der Klage im Hauptantrag statt und verpflichtete das FA, die Kläger für das Streitjahr 1988 getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen. Die Revision führte insoweit zur Klagabweisung.
Entscheidung
Die Verpflichtungsklage auf Durchführung der getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 sei mangels Durchführung eines Vorverfahrens als unzulässig durch Prozessurteil abzuweisen (§ 44 Abs. 1 FGO). Ein Vorverfahren sei im Streitfall auch nicht ausnahmsweise unter den Voraussetzungen einer sog. Sprungverpflichtungsklage entbehrlich, denn eine Sprungklage setze voraus, dass das FA zuvor einen Antrag auf Erlass des begehrten VA durch einen VA abgelehnt habe. Diese Voraussetzung liege nicht vor. Das FA habe über den Antrag der Kläger auf getrennte Veranlagung bisher nicht verbindlich entschieden. Da kein ablehnender VA ergangen sei, sei das Begehren auch nicht als Untätigkeitsklage zulässig.
Hinweis
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann das Veranlagungswahlrecht des § 26 EStG – vorbehaltlich rechtsmissbräuchlicher oder willkürlicher Antragstellung – bis zur Unanfechtbarkeit eines Änderungsbescheids und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem FG anderweitig ausgeübt werden. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, unter denen ein solches Begehren zulässig verfolgt werden kann.
Einzelveranlagung (§ 25 EStG), Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) und getrennte Veranlagung (§ 26a EStG) stellen jeweils wesensverschiedene Veranlagungsverfahren dar. Wird eine Änderung der Veranlagungsart beantragt, so ist das Begehren nicht als Anfechtung der Steuerfestsetzung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten Veranlagungsart gerichtetes Verpflichtungsbegehren. Lehnt dies das FA ab, ist zunächst Einspruch einzulegen. Erst wenn das FA abschlägig über den Einspruch entschieden hat, kann innerhalb eines Monats Verpflichtungsklage erhoben werden.
Entscheidet das FA ohne Mitteilung eines zureichenden Grunds in angemessener Frist nicht, kann auch eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO erhoben werden. Dies setzt jedoch voraus, dass das FA den Antrag auf geänderte Veranlagung abschlägig beschieden hat. Mangelt es schon an einem ablehnenden Verwaltungsakt (VA), muss zunächst Untätigkeitseinspruch eingelegt werden, erst wenn danach wieder keine Reaktion des FA erfolgt, kann Untätigkeitsklage erhoben werden.
Auch die Sprungklage nach § 45 Abs. 1 FGO setzt einen VA voraus, mit dem der Antrag auf geänderte Veranlagung abgelehnt wurde. Sprungklagen und Untätigkeitsklagen, die erhoben werden, ohne dass zuvor ein VA ergangen ist, sind unheilbar unzulässig.
Schreiben des FA, in denen der Steuerpflichtige aufgefordert wird, sein widersprüchliches Verhalten zu erläutern, sind, sofern sie keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, keine ablehnenden VAe, und zwar auch dann nicht, wenn sie mit dem Satz enden "Ihrem Antrag kann daher nicht entsprochen werden", denn aus dem Zusammenhang e...