Leitsatz

1. Einfuhren, die zum Entstehen der Einfuhrumsatzsteuerschuld führen, sowie die Verwendung von Energieerzeugnissen zur gekoppelten Erzeugung von Kraft und Wärme unter den einen Steuerentlastungsanspruch auslösenden Bedingungen sind jeweils Rechtshandlungen i.S. des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 129 Abs. 1 InsO.

2. Die Herstellung einer Aufrechnungslage durch Rechtshandlungen ist ihrerseits eine Rechtshandlung und selbständig anfechtbar.

3. Der für die Anfechtbarkeit wesentliche Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung ist (sinngemäß) nach § 140 InsO zu bestimmen. Dabei ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet worden ist.

4. Da eine Steuerentlastung nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG 2011 nur gewährt wird, wenn die Anlage, in der das Energieerzeugnis verwendet wird, einen Nutzungsgrad von mindestens 70 % bezogen auf den jeweiligen Zeitabschnitt erreicht, entsteht der materiell-rechtliche Anspruch nicht bereits mit der vorschriftsgemäßen Verwendung nachweislich versteuerter Energieerzeugnisse, sondern erst, wenn zusätzlich feststeht, dass der entlastungserhebliche Nutzungsgrad im jeweiligen Zeitabschnitt erreicht und eingehalten wurde.

5. Der Zeitpunkt der Antragstellung ist für die Frage, wann das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet worden ist, irrelevant, weil die Stellung des Entlastungsantrags lediglich eine formelle Voraussetzung des Steuerentlastungsanspruchs ist.

 

Normenkette

§ 96 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 129, § 140 InsO, § 95 Abs. 1 Satz 3, § 218, § 226 AO, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG 2011, §§ 387 ff. BGB, § 21 Abs. 2 UStG, Art. 201 Abs. 2 ZK

 

Sachverhalt

In der Sache wendet sich der Kläger als Insolvenzverwalter der C gegen eine Aufrechnung und den dazu gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO ergangenen Abrechnungsbescheid des HZA.

Die C verheizte im Jahr 2011 in ihrem Blockheizkraftwerk Erdgas zur gekoppelten Erzeugung von Kraft und Wärme und erwirtschaftete dabei einen Anspruch gegen das HZA auf Steuerentlastung gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG 2011 in Höhe von 53.437,30 EUR.

Außerdem entstand durch Einfuhren der C vom 17.10.2011 bis zum 14.12.2011 (§ 21 Abs. 2 UStG, Art. 201 Abs. 2 ZK) EUSt i.H.v. 35.105,17 EUR. Davon entfielen 3.086,66 EUR auf Einfuhrvorgänge in der Zeit vom 17.10.2011 bis zum 13.11.2011 und 32.018,51 EUR auf Einfuhrvorgänge in der Zeit vom 14.11.2011 bis zum 14.12.2011. Die C blieb die EUSt und die hierauf angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von 1.080 EUR schuldig, d.h. sie schuldete dem HZA insgesamt 36.185,17 EUR (= 35.105,17 EUR + 1.080 EUR).

Auf den am 14.12.2011 eingegangenen Antrag vom 13.12.2011 wurde am 1.3.2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der C eröffnet. Am 21.12.2012 beantragte der Kläger die Energiesteuerentlastung für 2011 gemäß § 53 EnergieStG 2011.

Das HZA setzte die Steuerentlastung auf 53.437,30 EUR fest, rechnete jedoch zugleich gemäß § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB den Steuerentlastungsbetrag gegen die Einfuhrumsatzsteuerschulden der C nebst Säumniszuschlägen in Höhe von 36.185,17 EUR auf und zahlte 17.252,13 EUR (= 53.437,30 EUR ./. 36.185,17 EUR) an den Kläger aus. Auf Antrag des Klägers erließ es am 16.9.2015 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.

Einspruch und Klage waren erfolglos. Das FG urteilte, der Aufrechnung habe kein Aufrechnungsverbot entgegengestanden (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.7.2018, 1 K 1257/16, EFG 2019, 236, Haufe-Index 14039900). § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO greife nicht, weil der Entlastungsanspruch gemäß § 53 EnergieStG ­materiellrechtlich mit Ablauf des Jahres 2011, also im Kern bereits vor der Insolvenzeröffnung entstanden sei. Auch das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO stehe der vom HZA erklärten Aufrechnung nicht entgegen, weil weder die Einfuhr noch das Entstehen der EUSt zu einer Befriedigung des HZA geführt hätten, die es nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen gehabt habe (vgl. § 131 Abs. 1 InsO). Der Verbrauch des Erdgases durch das Betreiben des Blockheizkraftwerks sei schon keine anfechtbare Rechtshandlung.

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers änderte der BFH das Urteil des FG und den Abrechnungsbescheid aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen und wies die Revision im Übrigen als unbegründet zurück.

 

Hinweis

Im Streitfall ging es nur auf den ersten Blick um Energiesteuer, tatsächlich drehte sich der Fall um einen Abrechnungsbescheid. Das HZA hatte gegen einen Energiesteuerentlastungsanspruch mit Einfuhrumsatzsteuer-Forderungen aufgerechnet. Der BFH musste nun entscheiden, ob diese Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO unzulässig war.

1. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Maßgeblich ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolven...

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