Leitsatz
Während eines laufenden Insolvenzverfahrens sind die Einkommensteuer und der Solidaritätszuschlag für alle dem Insolvenzschuldner im Veranlagungszeitraum nach materiellem Steuerrecht zuzuordnenden Einkünfte einheitlich zu ermitteln und zwischen dem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, und dem Insolvenzverwalter als Vertreter der Insolvenzmasse im Verhältnis der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG aufzuteilen.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Satz 1, § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 36 EStG, § 1, § 33, § 43, § 163, § 251, § 270 Satz 1 AO, § 35, § 36, § 55, § 80 InsO, §§ 850a ff., § 850e Nr. 1 ZPO
Sachverhalt
Über das Vermögen des zunächst gewerblich tätigen Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Während des Insolvenzverfahrens begann der Kläger mit einer nichtselbstständigen Tätigkeit, aus der er ca. 17.000 EUR pro Jahr erzielte. In den Streitjahren 2016 und 2017 erlangte die Insolvenzmasse infolge von Anfechtungen gemäß §§ 129 ff. InsO höhere Einnahmen aus Gewerbebetrieb. Das FA ermittelte die Gesamteinkommensteuer einheitlich für die Einkünfte des Klägers und die der Insolvenzmasse und teilte sie dann nach dem Verhältnis der Einkünfte auf den Insolvenzschuldner und die Insolvenzmasse auf. Das FG gab der Klage insoweit statt, als es zur Ermittlung des Aufteilungsmaßstabs von den Einkünften des Klägers zunächst den gesamten Grundfreibetrag abzog (Sächsisches FG, Urteil vom 5.2.2020, 5 K 1387/19, Haufe-Index 13754851, EFG 2020, 729).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg. Der BFH hob das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Die Arbeitskraft des Insolvenzschuldners gehört nicht zur Insolvenzmasse. Der Insolvenzschuldner kann daher nicht zu einer Erwerbstätigkeit gezwungen werden (BGH, Beschluss vom 18.12.2008, IX ZB 249/07, WM 2009, 361). Er kann jedoch jederzeit freiwillig eine nichtselbstständige Tätigkeit aufnehmen und diese wieder beenden. Anders als bei der selbstständigen Tätigkeit (s. dazu § 35 Abs. 2–4 InsO) bedarf es keiner Erklärung des Insolvenzverwalters über die Freigabe der Tätigkeit. Nimmt der Insolvenzschuldner eine nichtselbstständige Tätigkeit auf, fällt der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens als Neuerwerb in die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO).
2. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Der Umstand, dass der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens als Neuerwerb zur Masse gelangt, stellt weder eine Handlung des Insolvenzverwalters dar noch erfüllt er das Tatbestandsmerkmal "in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse" (BFH, Urteil vom 24.2.2011, VI R 21/10, BFH/NV 2011, 1083, Haufe-index 2668722). Daher wird die auf die nichtselbstständigen Einkünfte entfallende ESt-Schuld auch nicht teilweise zu einer Masseverbindlichkeit.
3. Für die Berechnung des pfändbaren Einkommens sind u.a. die Beträge nicht mitzurechnen, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind (§ 36 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 850e Nr. 1 ZPO). Deshalb ist die vom Arbeitgeber zu entrichtende LSt bereits abgezogen, bevor ein pfändbarer Teil des Arbeitseinkommens entstehen kann. Zu den steuerrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen i.S.d. § 850e ZPO gehört jedoch nur die laufende LSt, nicht aber eine auf das Gesamteinkommen zu leistende Abschlusszahlung (BFH, Urteil vom 24.2.2011, VI R 21/10, BFH/NV 2011, 1083, Haufe-index 2668722, m.w.N.).
4. Eine solche Abschlusszahlung kann entstehen, wenn der Steuersatz infolge des Vorliegens weiterer Einkünfte steigt. Im Besprechungsfall war dies der Fall, da der Insolvenzverwalters Anfechtungen durchgeführt hatte, die zu hohen Einkünften aus Gewerbebetrieb führten. Ebenso kann es zu einer Abschlusszahlung kommen, wenn der Insolvenzschuldner "schwarz" gearbeitet hat und kein LSt-Abzug erfolgte.
5. Entfallen die Einkünfte während des Insolvenzverfahrens teilweise auf den Insolvenzschuldner und teilweise auf die Insolvenzmasse, ist die ESt in zwei Schritten zu ermitteln. Im ersten Schritt ist die Jahreseinkommensteuer für alle im jeweiligen VZ angefallenen Einkünfte, deren materiell-rechtlicher Rechtsträger der Insolvenzschuldner ist, nach steuerrechtlichen Vorschriften und Maßstäben einheitlich zu ermitteln. Im zweiten Schritt ist diese Jahreseinkommensteuer aufzuteilen. Der jeweilige Teilbetrag ist in gesonderten ESt-Bescheiden gegenüber dem Insolvenzschuldner und gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Trotz des Vorliegens von zwei ESt-Bescheiden werden der Grundfreibetrag sowie etwaige sonstige Pausch- und Freibeträge nur einmal angesetzt, und zwar bei der im ersten Schritt durchzuführenden Ermittlung der Jahreseinkommensteuer.
6. Die im...