Dr. Fabian Schmitz-Herscheidt
Leitsatz
Vor dem 01.08.2022 bestand für eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Bevollmächtigte keine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 52d Satz 1 oder 2 FGO, und zwar auch dann nicht, wenn sie durch einen Rechtsanwalt als Vertreter im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 3 FGO handelte.
Normenkette
§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 52d Sätze 1 und 2 FGO, § 31a, § 31b, § 59c, § 59l BRAO, Art. 19 Abs. 4 GG
Sachverhalt
Der Kläger wandte sich mit einer im Januar 2022 per Telefax erhobenen Klage gegen einen Haftungsbescheid. Dabei war er durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vertreten, für die ein Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht als Prokurist zeichnete.
Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.7.2022, 9 K 9009/22, Haufe-Index 15335392) wies die Klage als unzulässig ab, da die Klage nicht in der gesetzlichen Form gemäß §§ 52d, 52a FGO innerhalb der Klagefrist erhoben worden sei. Die Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hätte innerhalb der Klagefrist einen den Anforderungen des § 52d FGO entsprechenden Schriftsatz elektronisch einreichen müssen.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG Berlin-Brandenburg auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Hinweis
1. Die Pflicht für bestimmte Prozessbevollmächtigte zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs ist in § 52d FGO geregelt.
a) Nach § 52d Satz 1 FGO, der am 1.1.2022 in Kraft getreten ist, sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln.
b) Gleiches gilt gemäß § 52d Satz 2 FGO für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
c) Hinsichtlich der Vertretungsberechtigung unterscheidet § 62 Abs. 2 FGO zwischen bestimmten Berufsträgern einerseits (Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc.) und Gesellschaften i.S.d. § 3 Satz 1 Nr. 2, 3 StBerG andererseits (z.B. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH gemäß § 59c BRAO a.F.).
2. Gemäß § 31b Abs. 1 BRAO n.F. ist für eine solche Gesellschaft ein beA einzurichten, allerdings erst ab dem 1.8.2022. Ebenfalls ab dem 1.8.2022 werden solche Gesellschaften als Berufsausübungsgesellschaft bezeichnet (§§ 59b ff. BRAO n.F.).
3. Der BFH entschied, dass vor dem 1.8.2022 für eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Bevollmächtigte keine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 52d Satz 1 oder 2 FGO bestand.
a) Eine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs ergab sich nicht aus § 52d Satz 2 FGO, da für Rechtsanwaltsgesellschaften (bzw. Berufsausübungsgesellschaften) erst ab dem 1.8.2022 ein sicherer Übermittlungsweg i.S.d. § 52d Satz 2 FGO zur Verfügung stand.
b) Eine Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs ergab sich für Rechtsanwaltsgesellschaften auch nicht aus § 52d Satz 1 FGO. Diese Vorschrift erfasst nach ihrem Wortlaut lediglich Rechtsanwälte, nicht aber Rechtsanwaltsgesellschaften. Dass zwischen Rechtsanwälten und Rechtsanwaltsgesellschaften zu unterscheiden ist, ergibt sich – abgesehen von ihrer unterschiedlichen Rechtsform – aus § 62 Abs. 2 FGO.
c) Eine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs bestand für Rechtsanwaltsgesellschaften vor dem 1.8.2022 auch nicht dann, wenn sie durch einen Rechtsanwalt als Vertreter handelten. Aus dem Umstand, dass für einen Rechtsanwalt seit dem 1.1.2022 nach § 31a BRAO ein beA eingerichtet ist, folgt keine Nutzungspflicht, wenn der Rechtsanwalt als Organ oder Vertreter einer Rechtsanwaltsgesellschaft handelt. Vielmehr ist zwischen der als Prozessbevollmächtigten auftretenden Gesellschaft und dem für diese handelnden Rechtsanwalt zu unterscheiden. Die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs richtet sich nach der Nutzungspflicht der bevollmächtigten Gesellschaft, nicht des für sie handelnden Rechtsanwalts.
d) Im Streitfall war nach Maßgabe dieser Grundlagen eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH bei Einreichung einer Klageschrift im Januar 2022 noch nicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.1.2024 – VII R 34/22