Leitsatz
1. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG bewirkt nicht, dass eine im Freihafen ansässige Organgesellschaft als im Inland ansässig gilt.
2. Die Beschränkung der Wirkungen der Organschaft auf das Inland verstößt weder gegen Unionsrecht noch gegen Verfassungsrecht.
Normenkette
§ 1 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG, Art. 11 Abs. 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine im Inland ansässige Holding-Gesellschaft, hielt im Streitjahr (2007) u.a. eine Beteiligung an der im Gebiet des – inzwischen durch das Gesetz zur Aufhebung des Freihafens Hamburg vom 24.1.2011 (BGBl I 2011, 50) mit Wirkung zum 1.1.2013 aufgehobenen – Hamburger Freihafens (Freihafen) gelegenen A. A war i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert.
Die Klägerin sah ihre Leistungen sowie die Leistungen anderer Organgesellschaften an die A als nicht steuerbare Innenumsätze an.
Das FA folgte dieser Ansicht nicht und unterwarf die genannten Leistungen der Umsatzsteuer. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos.
Das FG Hamburg (FG Hamburg, Urteil vom 6.8.2014, 2 K 189/13, Haufe-Index 7335077) wies die Klage ab. Es führte aus, die von der Klägerin als Organträgerin sowie ihren Organgesellschaften an A ausgeführten und im Freihafen bewirkten sonstigen Leistungen seien keine Innenumsätze innerhalb eines umsatzsteuerrechtlichen Organkreises.
A sei entgegen den Anforderungen von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG nicht im Inland (§ 1 Abs. 2 UStG) ansässig. Weder Wortlaut, systematische Stellung, gesetzgeberische Intention noch Telos des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG ließen es zu, organschaftliche Regelungen auf eine im Freihafen gelegene Organgesellschaft zu erstrecken.
Eine partielle Organschaft, bei der eine im Freihafen gelegene Organgesellschaft je nachdem, ob ein Umsatz i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG vorliege oder nicht, als unselbstständiger Unternehmensteil oder selbstständiger Unternehmer zu behandeln wäre, sei unionsrechtlich unzulässig. Diese Auslegung verstoße nicht Art. 3 Abs. 1 GG.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen als unbegründet zurück. Auf die unionsrechtlichen Zweifelsfragen (Verstoß des Verbots der grenzüberschreitenden Organschaft gegen Grundfreiheiten, unionsrechtliche Zulässigkeit eines abweichenden nationalen Inlandsbegriffs aufgrund einer Protokollerklärung) konnte er dabei nicht eingehen, weil sich die Klägerin nicht auf das möglicherweise günstigere Unionsrecht berufen hatte.
Hinweis
1. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG sind die Wirkungen einer Organschaft auf Innenleistungen zwischen den im Inland belegenen Unternehmensteilen beschränkt.
a) Dies entspricht seit 1.1.1987 dem Unionsrecht:
Nach Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL – früher: Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 6. EG-RL (= EWG-RL 388/77) – kann ein Mitgliedstaat nur die "in seinem Gebiet ansässigen" Personen unter weiteren Voraussetzungen zusammen als einen Steuerpflichtigen ansehen.
Der deutsche Gesetzgeber hat deshalb auf Klage der EU-Kommission (ABl. EG Nr. C 285 vom 8.11.1995, S. 6; Az. des EuGH: C-298/85) zum o.g. Stichtag die grenzüberschreitende Organschaft abgeschafft.
b) Die Beschränkung der Organschaft auf das Inland ist verfassungsgemäß. Sie wird zwar in neuerer Zeit teilweise als unionsrechtswidrig kritisiert und Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL als insoweit ungültig angesehen (vgl. Reiß, in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rz. 129.4 ff., m.w.N.). Allerdings dient die Bestimmung der Wahrung der territorialen Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 1.3.2017, C-605/15, Aviva, MwStR 2017, 381 Rz. 49).
2. Was Inland ist, wird vom nationalen Recht und vom Unionsrecht unterschiedlich geregelt:
Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG gehören u.a. die Freihäfen (Freizonen des Kontrolltyps I nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Zollverwaltungsgesetzes) nicht zum Inland. In Art. 5 Abs. 2 MwStSystRL oder Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und b MwStSystRL findet sich diese Ausnahme nicht.
Die Zulässigkeit dieser Abweichung des nationalen Rechts vom Unionsrecht, die auf eine Protokollerklärung gestützt wird, ist umstritten (vgl. dazu z.B. Lange, DStZ 1996, 133; Oelmaier,in Sölch/Ringleb, UStG, § 1 Rz. 1a).
3. Fragt man sich danach, ob eine Organschaft vorliegt, wenn ein potentielles Mitglied im Organkreis in einem Freihafen ansässig ist, fällt das Ergebnis unterschiedlich aus:
a) Unionsrechtlich ist die Organschaft möglich, weil der Freihafen zum Inland gehört.
b) Nach nationalem Recht scheitert die Organschaft, weil der Freihafen kein Inland ist.
c) § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG, wonach u.a. bestimmte in Freihäfen bewirkte Umsätze "wie Umsätze im Inland" zu behandeln sind, führt zu keiner anderen Beurteilung.
aa) § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStGbehandelt lediglich für eine im umsatzsteuerrechtlichen Ausland erbrachte Leistung wie eine Leistung ...