Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG 1999, § 17a, § 17c UStDV 1999, Art. 28a, Art. 28c der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Antragstellerin ist eine GmbH. Sie lieferte gebrauchte Pkw nach Portugal und erklärte in den Streitjahren 2002 und 2003 steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen.

Nach den Feststellungen der Steuerfahndungsbehörde hatte die Antragstellerin die sich aus § 6a Abs. 3 UStG ergebenden Nachweispflichten nicht erfüllt. Sie hatte für ihre Buchhaltung Rechnungen auf portugiesische Scheinerwerber ausgestellt.

Die Steuerfahndungsbehörde ermittelte die tatsächlichen Abnehmer (ganz überwiegend Händler). Sie stellte fest, dass die Antragstellerin diesen – entweder von vornherein oder sobald diese das jeweilige Fahrzeug verkauft hatten – Rechnungen ausgestellt hatte, die auf den Namen des jeweiligen Privatabnehmers lauteten und den Zusatz enthielten "Diff.-Besteuerung nach § 25a UStG". Diese Vorgehensweise hatte dazu gedient, die Identität der tatsächlichen Erwerber in Portugal zu verschleiern und dadurch die Erwerbsbesteuerung zu verhindern.

Das FA versagte die Steuerfreiheit für diese Lieferungen. Die Antragstellerin legte Einspruch ein. Das FA lehnte die beantragte AdV ab.

Das FG gewährte die AdV und ließ die Beschwerde zum BFH zu (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.03.2009, 1 V 4305/08, Haufe-Index 2151393).

 

Entscheidung

Die Beschwerde des FA hatte keinen Erfolg. Der BFH teilte die Zweifel des FG an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide.

 

Hinweis

1. Eine nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegt gem. § 6a Abs. 1 S. 1 UStG u.a. dann vor, wenn

  • der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,
  • der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat und
  • der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem andern Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt.

Diese Voraussetzungen müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein (§ 6a Abs. 3 S. 1 UStG).

2. Nach dem EuGH-Urteil vom 21.09.2007, C-146/05"Collee" (BFH/NV 2008, Beilage 1, 34) und dem Folgeurteil des BFH vom 06.12.2007, V R 59/03 (BFH/NV 2008, 515, BFH/PR 2008, 209) sind die Nachweispflichten des Unternehmers keine materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung; trotz Nichterfüllung der Nachweispflichten könne die Steuerbefreiung zu gewähren sein, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststehe, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt seien und keine Gefährdung des Steueraufkommens bestehe.

Die Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf eine innergemeinschaftliche Lieferung könne dabei aber nicht als Gefährdung des Steueraufkommens angesehen werden, weil solche Einnahmen nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität dem Mitgliedstaat zustünden, in dem der Endverbrauch erfolge (vgl. Urteil in der Rs. "Collee", Rn. 37, BFH/NV 2008, Beilage 1, 34).

3. Danach ist ernstlich zweifelhaft, ob im Besprechungsfall die Steuerbefreiung zu versagen ist.

Einerseits steht aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndungsbehörde fest, an welche Händler (Name und Adresse) in Portugal die Pkw tatsächlich geliefert wurden. Diese Lieferungen unterliegen in Portugal der Erwerbsbesteuerung, sodass die objektiven Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung i.S.d. § 6a Abs. 1 UStG vorliegen und das Steueraufkommen der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährdet ist.

Andererseits ist noch offen, ob die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung selbst dann zu gewähren ist, wenn der inländische Lieferer daran mitwirkt, die Erwerbsbesteuerung durch seinen Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat zu vermeiden. Denn nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 06.07.2006, C-439/04 und C-440/04"Kittel und Recolta Recycling", BFH/NV 2006, Beilage 4, 454, R. 54 m.w.N.).

4. Der 1. Strafsenat des BGH hat mit Beschluss vom 07.07.2009, 1 StR 41/09 (DStR 2009, 1688) dem EuGH die sich im Streitfall stellenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 29.07.2009 – XI B 24/09

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