Leitsatz
Leistungen der Eingliederungshilfe und im Rahmen eines "Individuellen Services für behinderte Menschen", die eine Pflegekraft auf der Grundlage von § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI gegenüber einem auf dem Gebiet der Pflege von Menschen tätigen Verein erbringt, sind umsatzsteuerfrei, wenn die Kosten der Leistungen aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Regelung von einem Träger der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit getragen werden.
Normenkette
§ 2 Abs. 1, § 4 Nr. 14, Nr. 16 Buchst. b, d und e UStG, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g 6. EG-RL (= EWGRL 388/77), Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Der Kläger war in den Streitjahren Mitglied im Verein X e.V. Der X e.V. war Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Der X e.V. hatte mit dem Landschaftsverband Z gemäß dem SGB XI eine Vereinbarung für die Wohnbetreuung schwerstbehinderter Menschen geschlossen. Der X e.V. hatte ferner eine Vereinbarung mit der Stadt C gemäß dem SGB XII getroffen, wonach der X e.V. "andere Verrichtungen" i.S.d. § 61 SGB XII der X e.V. ausführte.
Die Mitglieder des Vereins boten u.a. einen individuellen Service für Menschen mit Behinderungen (ISB) gemäß den Rahmenvereinbarungen des SGB V, XI und XII.
Der Kläger, der keine Ausbildung zur Pflegefachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI besitzt, rechnete gegenüber dem X e.V. u.a. von ihm erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfen (EGH) und ISB-Leistungen ab. Tätig wurde der Kläger dabei aufgrund vertraglicher Beziehungen zwischen den Betreuten und dem X e.V. Vertragliche Beziehungen zwischen dem Kläger und den betreuten Personen bestanden nicht. Der X e.V. stellte die vom Kläger ausgeführten Leistungen den Sozialversicherungsträgern vertragsgemäß in Rechnung.
Das FA vertrat die Auffassung, die Leistungen des Klägers an den X e.V. seien weder nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. noch nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei. Eine Steuerbefreiung könne auch nicht aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG noch aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL abgeleitet werden. Die Vereinsmitglieder seien keine anerkannte soziale Einrichtung i.S.d. Unionsrechts, weil sie nicht Vertragspartner der Sozialhilfeträger seien.
Das FG (FG Münster, Urteil vom 9.12.2014, 15 K 4571/10 U, Haufe-Index 7604144, EFG 2015, 508) gab der Klage – mit der der Kläger außerdem geltend gemacht hatte, er sei kein Unternehmer oder jedenfalls seien alle seine Leistungen umsatzsteuerfrei – nur hinsichtlich der EGH- und ISB-Leistungen statt und wies sie im Übrigen ab.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Der Kläger hatte nämlich die Möglichkeit, Verträge nach § 77 SGB XI mit Pflegekassen abzuschließen.
Der BFH bestätigte außerdem, dass der Kläger Unternehmer sei und eine Steuerbefreiung nach nationalem Recht nicht in Betracht komme.
Hinweis
Unter welchen Voraussetzungen ein Steuerpflichtiger (Unternehmer) eine vom betreffenden Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL ist, beschäftigt den BFH immer wieder.
1. Die Rechtsprechung des EuGH dazu ist relativ klar:
a) Der Begriff "Einrichtung" ist grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen (EuGH, Urteil vom 7.9.1999, C-216/97, Gregg, EU:C:1999:390, UR 1999, 419, Rz. 21) und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht (EuGH, Urteil vom 26.5.2005, C-498/03, Kingscrest Associates und Montecello, EU:C:2005:322, UR 2005, 453, Rz. 35 und 40; EuGH, Urteil vom 28.11.2013, C-319/12, MDDP, EU:C:2013:778, HFR 2014, 177, Rz. 28 und 31) zu erfassen.
b) Es ist Sache des innerstaatlichen Rechts eines jeden Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann (EuGH, Urteil vom 10.9.2002, C-141/00, Kügler, EU:C:2002:473, UR 2002, 513, Rz. 54 und 58; EuGH, Urteil vom 15.11.2012, C-174/11, Zimmermann, EU:C:2012:716, UR 2013, 35, Rz. 26).
Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören
- das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,
- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und
- die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit.
c) Nicht jede Person, die eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausübt, ist eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung; denn es werden nur diejenigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit, die im Unionsrecht einzeln au...