Prof. Dr. Hans-Friedrich Lange
Leitsatz
Die weitere Lagerung von im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung eingefrorenen Eizellen durch einen Arzt gegen ein vom Patienten gezahltes Entgelt ist umsatzsteuerfrei, wenn damit ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, z.B. zur Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft bei einer andauernden organisch bedingten Sterilität. Auf die ausdrückliche Äußerung eines entsprechenden (weiteren) Kinderwunsches kommt es nicht an.
Normenkette
§ 4 Nr. 14 UStG, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c 6. EG-RL, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL
Sachverhalt
Die Klägerin betrieb eine Arztpraxis, in der künstliche Befruchtungen durchgeführt wurden. Dazu wurden zunächst der Patientin – oftmals nach vorheriger Hormonbehandlung – Eizellen entnommen. Diese Eizellen (regelmäßig nicht mehr als fünf) wurden befruchtet, anschließend in flüssigem Stickstoff bei – 196°C eingefroren (kryokonserviert) und gelagert. Das Einfrieren und die Lagerung erfolgten nur für eigene Patienten mit der Diagnose "Unfruchtbarkeit", d.h. wenn bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner eine organisch bedingte Sterilität vorlag.
Die Klägerin schuldete aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit den Patienten die Aufbereitung der Eizellen für das Einfrieren, das Einfrieren selbst und die erstmalige Lagerung für die Dauer von zwei Jahren (erstmalige Konservierung).
Die Verträge konnten – darum ging es im Streitfall – verlängert werden. Kurz vor Ablauf der Lagerungszeit forderte die Klägerin die Patienten auf, mitzuteilen, ob das gelagerte Material vernichtet oder die Lagerung der Eizellen für ein weiteres Jahr gegen ein bestimmtes Entgelt verlängert werden solle (Vertragsverlängerung). Die Aufforderung wurde danach jährlich wiederholt; eine zeitliche Begrenzung für die Dauer der Lagerung war nicht vorgesehen. Die Abrechnung der Kosten für die Vertragsverlängerung nahm die Klägerin gegenüber den Patienten selbst vor.
Die Klägerin behandelte sämtliche Leistungen als nach § 4 Nr. 14 UStG a.F. steuerfrei. Das FA folgte dem nur hinsichtlich der Leistungen für die erstmalige Konservierung und Lagerung. Die Umsätze der Klägerin aus der verlängerten Lagerung sah es als steuerpflichtig an.
Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 14.3.2013, 5 K 9/11, Haufe-Index 3744348, EFG 2013, 978).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.
Das FG hatte festgestellt, dass die (verlängerte) Lagerung nur in den Fällen erfolgte, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorlag, und hatte dies dahingehend gewürdigt, dass die über den Zeitpunkt der erstmaligen Schwangerschaft hinausgehende Lagerung der Eizellen der Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft und damit weiterhin therapeutischen Zwecken diente. Es hatte u.a. dargelegt, dass ein enger Zusammenhang zwischen der zeitlich vorgelagerten Dienstleistung (Lagerung der befruchteten Eizellen) und der ärztlichen Heilbehandlung (Implementierung derselben zum Zweck einer erneuten Schwangerschaft) bestand.
Diese Würdigung des FG, die nach Vertragsverlängerung vorgenommene Lagerung der Eizellen habe weiterhin therapeutischen Zwecken (Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft) gedient, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wie der BFH im Einzelnen darlegte.
Zur Abgrenzung wies der BFH darauf hin, dass etwa die Lagerung von Eizellen ohne medizinischen Anlass (sog. Social Freezing) nicht steuerfrei wäre.
Hinweis
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt ausgeübt werden, sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei. Dasselbe galt – in anderer Formulierung – nach § 4 Nr. 14 UStG a.F.
Der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" erfasst Leistungen medizinischer Art, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden.
Dagegen sind Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden und keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.7.2015 – XI R 23/13