Prof. Dr. Hans-Friedrich Lange
Leitsatz
1. Die mit dem Betrieb eines von einem gewerblichen Unternehmer betriebenen Altenwohnheims eng verbundenen Umsätze sind nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG u.a. dann umsatzsteuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen Kranken und behinderten Menschen zugutegekommen sind, die in einem vom Gesetz näher bestimmten Maß der Hilfe bedürfen. Dass diesen Personen eine Pflegestufe zuerkannt wurde, ist nicht erforderlich.
2. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG darf nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden, die nicht geeignet ist, die Gleichbehandlung sämtlicher unter das Privatrecht fallenden Betreiber von Altenwohnheimen zu gewährleisten.
Normenkette
§ 4 Nr. 16 Buchst. d und Nr. 18 UStG, § 53 Nr. 2 AO, § 68 Abs. 1 BSHG, § 61 Abs. 1 SGB XII, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g 6. EG-RL, Art. 131, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, betrieb ein Altenwohnheim ("Senioren-Wohnstift"). Sie überließ dem jeweiligen Bewohner auf der Grundlage eines Heimvertrages eine abgeschlossene unmöblierte Wohnung. Zu den ferner von der Klägerin erbrachten sog. Grundleistungen gehörte die Überlassung eines Telefons, eine Notruf- und Pflegebereitschaft rund um die Uhr, die regelmäßige Grundreinigung der Wohnung, das Vorhalten der Gemeinschaftsräume und -anlagen, ein tägliches Mittagessen im Speisesaal einschließlich Bedienung sowie die Betreuung und Pflege im Krankheits- und Pflegefall bis zu einer Gesamtdauer von 14 Tagen im Jahr. Für darüber hinaus in Anspruch genommene Pflegeleistungen war ein gesondertes Entgelt zu entrichten.
Das FA versagte die von der Klägerin beanspruchte Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG.
Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG München, Urteil vom 22.4.2010, 14 K 63/07, Haufe-Index 2602416, EFG 2011, 1025).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin war begründet. Der BFH wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Das FG müsse die Prüfung nachholen, ob die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG im Streitfall vorlagen. Dafür sei entgegen der Ansicht des FG nicht erforderlich, dass den in dieser Vorschrift genannten Personen eine Pflegestufe zuerkannt worden sei.
Hinweis
Nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG in der im Streitjahr 2001 geltenden Fassung – die Regelung ist durch das Jahressteuergesetz 2009 vollständig neu gefasst worden – waren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a. "die mit dem Betrieb ... der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime ... eng verbundenen Umsätze, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 vom Hundert der Leistungen den in § 68 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes ... genannten Personen zugutegekommen sind".
Gem. § 68 Abs. 1 BSHG ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege zu gewähren (§ 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Hilfe zur Pflege ist auch Kranken und behinderten Menschen zu gewähren, die voraussichtlich für weniger als 6 Monate der Pflege bedürfen oder einen geringeren Hilfebedarf als nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG haben oder die der Hilfe für andere Verrichtungen als nach § 68 Abs. 5 BSHG bedürfen. Für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung gilt dies nur, wenn es nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich ist, insbesondere ambulante oder teilstationäre Hilfen nicht zumutbar sind oder nicht ausreichen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.3.2013 – XI R 45/10