Leitsatz
1. Zum Arbeitslohn gehören auch versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers, die dieser zurückfordern kann.
2. Die Rückzahlung von Arbeitslohn ist erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Abflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 11, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Dem nichtselbstständig tätigen Kläger wurde im Streitjahr 1997 irrtümlich Lohn (einschließlich Sonderzuwendungen) ausgezahlt. Die überzahlten Beträge wurden auf der LSt-Karte bescheinigt. 1998 forderte der Arbeitgeber die Überzahlungen zurück. In der ESt-Erklärung 1997 gab der Kläger – nachdem er die Rückforderung beglichen hatte – nur den gekürzten Lohn an.
Das FA berücksichtigte die Kürzung nicht; die Rückzahlung könne erst 1998 berücksichtigt werden. Die Klage war erfolgreich.
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Nach den (strikt) anzuwendenden Regeln des § 11 EStG könne der Rückfluss des Arbeitslohns erst im Folgejahr 1998 berücksichtigt werden.
Hinweis
1. In der Sache kann auf das zeitgleich ergangene, jedoch früher veröffentlichte Urteil VI R 19/03, BFH-PR 2006, 349 verwiesen werden. Im Verfahren VI R 19/03 war die Zahlung des Arbeitgebers ohne Rechtsgrund, hier versehentlich, erfolgt. Beide Fälle sind gleich zu behandeln.
2. Zum Arbeitslohn: Ein Arbeitnehmer bezieht grundsätzlich Arbeitslohn auch dann, wenn der Arbeitgeber versehentlich zu hohe Zahlungen leistet und diese später wieder zurückfordert. Denn auch im rückforderungsbehafteten Umfang ist eine zugeflossene Zahlung tatsächlich durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst. Das Behaltendürfen ist kein Merkmal einer Einnahme. Folglich liegt ein Zufluss von Arbeitslohn auch dann vor, wenn der Empfänger den Betrag später wieder zurückzahlen muss (vgl. BFH, Urteil vom 22.5.2002, VIII R 74/99, BFH-PR 2002, 445).
3. Die Hauptaussage der Besprechungsentscheidung bezog sich – ebenso wie im Verfahren VI R 19/03 – auf die Frage, ob eine Rückzahlung von Arbeitslohn nach § 11 Abs. 2 EStG im VZ der Rückzahlung oder durch Änderung des ursprünglichen Bescheids des Zuflussjahrs der Vergütung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) steuerlich zu berücksichtigen ist?
Auch hier die eindeutige Antwort des BFH: Ist Arbeitslohn zurückzuzahlen, kann dieser Umstand erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Rückzahlung berücksichtigt werden. Die Rückzahlung des zu viel gezahlten Arbeitslohns stellt insbesondere kein rückwirkendes Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit dar.
4. Der BFH weist zusätzlich darauf hin, es sei hinzunehmen, dass es durch das – strikt anzuwendende – Zu- und Abflussprinzip in § 11 EStG bei einer Zusammenballung von Einnahmen und Ausgaben in einem VZ zu steuerlichen Ergebnissen kommen könne, die als Folge der ESt-Progression oder fehlender tatsächlicher Ausgleichsmöglichkeiten zu steuerlichen Be- oder Entlastungen führen können. Eine zeitabschnittsbezogene Steuerermittlung bewirke typischerweise bei progressiven Steuersätzen Unterschiede der Steuerbelastung zwischen den verschiedenen Abschnitten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.5.2006, VI R 17/03