Leitsatz
Die Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung eines Beratervertrags gegen "Schadenersatz" kann eine sonstige Leistung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993 sein.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG , § 3 Abs. 9 UStG , Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Anwaltssozietät, hatte mit einer Gemeinschaftspraxis einen für 5 Jahre unkündbaren Beratervertrag gegen Jahreshonorar vereinbart. Die Gemeinschaftspraxis wollte sich und deshalb auch den Vertrag mit den Anwälten auflösen, und nach Drohungen in beide Richtungen beendeten die Vertragsparteien schließlich einvernehmlich "auf dringenden Wunsch der Gemeinschaftspraxis" den Beratungsvertrag. Für "den entgangenen Gewinn aufgrund der Auflösung des Vertragsverhältnisses" erhielt die Klägerin eine Einmalzahlung. Das FA meinte, das sei ein Leistungsaustausch.
Das FG meinte, dem stehe entgegen, dass dem Zahlenden durch den Verzicht auf die weitere Vertragsdurchführung kein "verbrauchsfähiges Wirtschaftsgut" zugewendet werde.
Entscheidung
Der BFH entschied, die Klägerin habe eine aufgrund ihrer vorausgehenden wirtschaftlichen Tätigkeit erworbene Rechtsposition und die rechtliche Möglichkeit, darüber zu disponieren, zum Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags mit einem identifizierbaren Verbraucher, der Ärztegemeinschaft, gemacht, die durch die vorzeitige Auflösung gegen Entgelt auch einen Vorteil erlangt habe. Das genüge.
Hinweis
1. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus. "Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch i.S.d. gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt", so der EuGH in ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 18.12.1997, Rs. C-384/95 – Landboden –, UVR 1998, 51 m.w. Nachw.).
2. Bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrags (vgl. §§ 320 ff. BGB), durch den sich eine Vertragspartei zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die andere sich hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig erfüllt, falls der leistende Vertragspartner Unternehmer ist. Zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenden Gegenwert besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Der Leistungsempfänger steht aufgrund der vertraglichen Beziehungen zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger fest. Die versprochene Leistung ist der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält.
Bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in gegenseitigen Verträgen verpflichtet haben, liegt der erforderliche Leistungsverbrauch grundsätzlich vor; das versprochene Tun, Dulden oder Unterlassen ist der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält. Ob der Leistungsempfänger die Leistung tatsächlich verwendet oder ggf. zu welchem Zweck, ist grundsätzlich unerheblich.
3. Eine steuerbare Leistung liegt auch vor, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher Grundlage oder vertraglicher Grundlage, zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet. So ist z.B. der entgeltliche Verzicht, ganz oder teilweise eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auszuüben, wie § 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG belegt, eine sonstige Leistung. Als steuerbarer Umsatz wird deshalb z.B. auch beurteilt:
- die vertragliche Auflösung eines Mietvertrags gegen Abfindung (vgl. BFH, Beschluss vom 23.1.2002, V B 161/01, BFH/NV 2002, 553),
- die entgeltliche Übertragung oder Änderung dinglicher Rechte an Grundstücken sowie der Verzicht auf sie,
- der entgeltliche Verzicht eines auf Lebenszeit bestellten Testamentvollstreckers auf die weitere Ausübung seines Testamentvollstreckeramts (BFH, Urteil vom 6.5.2004, V R 40/02, BFH-PR 2004, 445).
4. Ob die angeführten Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist allein nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen; die Bezeichnung – wie z.B. im Besprechungsfall "Schadenersatz" ist nicht von Bedeutung.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.7.2005, V R 34/03