Leitsatz
Liegen bei den Eltern eines Kindes die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nicht vor, wird allein auf Antrag des Elternteils, bei dem das Kind gemeldet ist, der Betreuungsfreibetrag des anderen Elternteils übertragen. Die Übertragung hängt nicht davon ab, dass der andere Elternteil seine Unterhaltspflicht verletzt oder der Übertragung zugestimmt hat.
Normenkette
§ 32 Abs. 6 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist seit 1992 geschieden. Die gemeinsame 1988 geborene Tochter lebte bei der Mutter und war ausschließlich dort melderechtlich erfasst. Das FA berücksichtigte beim Kläger für 2000 keinen Betreuungsfreibetrag, da die geschiedene Ehefrau die Übertragung auf sie beantragt hatte.
Entscheidung
Obwohl der Kläger seinen Unterhaltspflichten nachgekommen war, war – auch ohne seine Zustimmung – wegen der Anknüpfung an das Melderecht allein aufgrund des Antrags der geschiedenen Ehefrau der Betreuungsfreibetrag auf sie zu übertragen.
Hinweis
Die Entscheidung ist zu § 32 Abs. 6 EStG i.d.F. durch das FamFG vom 22.12.1999 ergangen. Die Gesetzesänderung folgte den Vorgaben des BVerfG im Kinderbetreuungskostenbeschluss vom 10.11.1998, 2 BvR 1057/91 u.a. (BStBl II 1999, 182) und führte ab 2000 neben dem Kinderfreibetrag (für das sächliche Existenzminimum) einen Betreuungsfreibetrag von 1.512 DM bei Einzelveranlagung (3.024 DM bei Zusammenveranlagung) ein. Bei nicht zusammen veranlagten Eheleuten stand grundsätzlich jedem Elternteil ein Kinderfreibetrag und ein Betreuungsfreibetrag zu.
Bei einem Elternpaar, das nicht die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung erfüllte, konnte der Freibetrag des einen Elternteils auf den anderen Elternteil übertragen werden. Voraussetzung für die Übertragung des Kinderfreibetrags war und ist bis heute, dass ein Elternteil seine Unterhaltspflicht erfüllt, der andere dagegen nicht. Für den Betreuungsfreibetrag bestimmte § 32 Abs. 6 Satz 7 EStG die Übertragungsvoraussetzungen abweichend hiervon dahin, dass bei getrennt lebenden Eltern der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende Betreuungsfreibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf ihn übertragen werden kann. Die Übertragung des Betreuungsfreibetrags sollte dadurch abweichend vom Kinderfreibetrag ermöglicht werden. Er konnte, auch wenn der eine Elternteil seiner Unterhaltspflicht nachkam, ohne seine Zustimmung ("zwangsweise") auf Antrag auf den anderen Elternteil, bei dem das Kind gemeldet war, übertragen werden.
Gegen diese Regelung wurden verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, weil nach dem Kinderbetreuungskostenbeschluss des BVerfG die betreuungsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit unabhängig von der Art der Betreuung des Kindes und den konkreten Aufwendungen zu berücksichtigen sei und daher die Anknüpfung an die melderechtlichen Verhältnisse nicht sachgerecht sei. Der BFH teilt diese Bedenken nicht. Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass das Kind in dem Haushalt des Elternteils, bei dem es gemeldet ist, aufgenommen ist und von diesem Elternteil umfassend betreut wird. Mit dem Abstellen auf das Melderecht werden Nachweisschwierigkeiten vermieden.
Nach der Änderung des § 32 Abs. 6 EStG durch das 2. FamFG vom 16.8.2001 wird nunmehr ab 2002 neben dem Kinderfreibetrag ein Freibetrag von 1.080 € (2.160 € bei Zusammenveranlagung) für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes abgezogen, der bei minderjährigen Kindern wie bisher auf Antrag demjenigen Elternteil übertragen wird, bei dem das Kind gemeldet ist. Die Frage, ob dieser sog. Sammelfreibetrag gegen den Willen des Elternteils, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, übertragen werden kann, ließ der BFH ausdrücklich offen; für "zwangsweise" Übertragung z.B. Schmidt/Glanegger, EStG, 26. Aufl., § 32 Rz. 56 mit Hinweis auf die 23. Aufl.; a.A. Korn/Greite, EStG, § 32 Rz. 122.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.5.2006, III R 71/04