Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vertrauensschutz bei geplanter aber nicht rechtzeitiger Anteilsveräußerung im Hinblick auf bevorstehende gesetzliche Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze
Leitsatz (amtlich)
Veräußert ein Steuerpflichtiger Gesellschaftsanteile gezielt im Hinblick auf eine bevorstehende gesetzliche Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG und tritt die Gesetzesänderung wie erwartet ein, so kann er sich --beim Scheitern einer rechtzeitigen Anteilsübertragung-- nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Normenkette
AO § 39 Abs. 2 Nr. 1; EStG §§ 17, 52 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Ihr Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 (Streitjahr) wurde zurückgewiesen. Nach Klageerhebung wurde der Einkommensteuerbescheid nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geändert, nachdem dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) bekannt geworden war, dass der Kläger mit notariellen Verträgen vom 18. und 21. Dezember 1998 im Privatvermögen gehaltene Anteile an der X-GmbH, an der er wesentlich beteiligt war, veräußert hatte und das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen laut vertraglicher Regelung mit Wirkung vom 1. Januar 1999 auf die Käufer übergegangen war. Das FA setzte einen entsprechenden Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 1, 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an.
Der Kläger war zunächst zu unter 25 % an der GmbH beteiligt; nach der Anteilsveräußerung vom 18. Dezember 1998 war er zu über 10 % sowie nach der weiteren Anteilsveräußerung vom 21. Dezember 1998 an die Klägerin nur noch zu unter 10 % beteiligt. Im Vertrag vom 21. Dezember 1998 ist --wie auch im Vertrag vom 18. Dezember 1998-- geregelt, dass der Geschäftsanteil mit sofortiger unmittelbarer dinglicher Wirkung übertragen und abgetreten wird (III. Ziff. 2), ferner, dass alle mit dem übertragenen Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Pflichten, insbesondere das Gewinnbezugsrecht, mit Wirkung vom 1. Januar 1999 auf die Erwerberin übergehen, das Gewinnbezugsrecht für das Geschäftsjahr 1998 also beim Veräußerer verbleibt (IV. Ziff. 1). Der jeweilige Kaufpreis für die übertragenen Anteile wurde im Jahr 1998 bezahlt.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 493 veröffentlichten Urteil, dass die Erwerber vor dem 1. Januar 1999 kein wirtschaftliches Eigentum an den übertragenen Anteilen erlangt hätten. Gegen die Anwendung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) --StEntlG 1999/2000/2002-- bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit ihrer Revision machen die Kläger Verfahrensfehler geltend und rügen die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1 EStG, § 39 AO) sowie die Verfassungswidrigkeit der Anwendung von § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002. Insbesondere sei die Veräußerung bereits im Dezember 1998 dinglich vollzogen gewesen. In den notariellen Übertragungsverträgen sei lediglich geregelt, dass der Kläger (Veräußerer) die später für das Kalenderjahr 1998 ausgeschütteten Gewinne dem Erwerber auszuzahlen habe. Dies beeinflusse den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht. Im Übrigen sei bei Übertragung von Geschäftsanteilen zum Jahreswechsel unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden, in welchem Besteuerungszeitraum der Veräußerungsvorgang stattgefunden habe. Demgegenüber habe das FG allein auf die Formulierung "mit Wirkung vom 1.1.1999" abgestellt und den wirtschaftlichen Gehalt der getroffenen Vereinbarung und den Parteiwillen unberücksichtigt gelassen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG aufzuheben, soweit es die Einkommensteuerveranlagung 1999 betrifft, und den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 13. Dezember 2004 dahingehend zu ändern, dass kein Veräußerungsgewinn bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb angesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG die Übertragung der streitbefangenen GmbH-Anteile im Jahr 1998 verneint und im Streitjahr 1999 einen Veräußerungsgewinn des Klägers gemäß § 17 Abs. 1 EStG angesetzt.
1. Die gerügten Verfahrensmängel erachtet der Senat nicht für durchgreifend (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).
2. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war und er die Beteiligung im Privatvermögen hielt. Wesentlich ist eine Beteiligung für Veräußerungsvorgänge ab dem Veranlagungszeitraum 1999 ab einer Quote von 10 % (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002, vgl. Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 82), für Veräußerungsvorgänge davor ab einer Quote von mehr als 25 %. Bei welcher Anteilshöhe eine wesentliche Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG anzunehmen ist, bestimmt sich nach der im Zeitpunkt der Veräußerung geltenden Gesetzeslage (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 2004 VIII B 129/04, BFH/NV 2005, 540; s. auch BFH-Urteil vom 1. März 2005 VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398). Eine Veräußerung i.S. von § 17 EStG wird mit der Übertragung des rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf den Erwerber verwirklicht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398; Blümich/Ebling, a.a.O., Rz 166).
Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht auf einen Erwerber über (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO), wenn der Käufer des Anteils
(1) aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und
(2) die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht; BFH-Urteil vom 18. Dezember 2001 VIII R 5/00, BFH/NV 2002, 640) sowie
(3) das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (vgl. BFH-Urteile vom 10. März 1988 IV R 226/85, BFHE 153, 318, BStBl II 1988, 832; vom 11. Juli 2006 VIII R 32/04, BFHE 214, 326, BStBl II 2007, 296).
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberstellung abweichende Zuordnung eines Wirtschaftsguts kann deshalb auch anzunehmen sein, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Demgemäß ist auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend (BFH-Urteile vom 15. Februar 2001 III R 130/95, BFH/NV 2001, 1041, 1044; in BFHE 214, 326, BStBl II 2007, 296).
3. Nach diesen Grundsätzen ging jedenfalls das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den streitbefangenen GmbH-Anteilen des Klägers erst im Jahr 1999 auf den jeweiligen Erwerber über.
Der Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist davon abhängig, welche Rechtspositionen bzw. faktischen Einflussnahmemöglichkeiten noch im Jahr 1998 übergegangen sind. Um dies festzustellen, sind die Vertragsklauseln (III. Ziff. 2 und IV. Ziff. 1) der notariellen Verträge auszulegen. Das FG hat diese Regelungen so gewürdigt, dass das wirtschaftliche Eigentum erst im Jahr 1999 übergegangen ist, da "alle mit dem übertragenen Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Pflichten, insbesondere das Gewinnbezugsrecht … mit Wirkung zum 1. Januar 1999" übergehen sollten. Die finanzgerichtliche Auslegung, wonach alle mit dem Anteil (Stammrecht) verbundenen Rechte und Pflichten, auch das Gewinnbezugsrecht "also" (IV. Ziff. 1) im Jahr 1998 noch beim Kläger verbleiben sollten, ist jedenfalls möglich und bindet insoweit den erkennenden Senat (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 2003 X R 55/99, BFHE 205, 30, BStBl II 2004, 706).
Die Auslegung des FG verstößt nicht gegen gesetzliche Auslegungsregeln (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 22. November 1994 VIII R 44/92, BFHE 176, 138, BStBl II 1995, 900, unter II. 2. a). Insbesondere verkennt das FG nicht das Verbot der Abspaltung mitgliedschaftlicher Rechte von dem Eigentum an einem GmbH-Anteil, wonach insbesondere das mitgliedschaftliche Gewinnbezugsrecht nicht vom zivilrechtlichen Eigentum am Anteil getrennt werden kann (allgemeine Meinung; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., § 14 Rz 19). Nach der finanzgerichtlichen Würdigung sollte der Anteilserwerber im Jahr 1998 noch keinerlei Einflussnahmemöglichkeit auf das Handeln der GmbH haben. Auf die Differenzierung zwischen dem Anspruch auf Gewinnausschüttung und dem mitgliedschaftlichen Gewinnbezugsrecht (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2004 VIII ZR 349/03, Betriebs-Berater 2004, 1759, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2004, 1713; vgl. auch Weber, GmbH-Rundschau, 1995, 494; Loritz, DStR 1998, 84) kommt es insoweit nicht an.
4. Die Anteilsveräußerungen unterfallen auch der Wesentlichkeitsgrenze von 10 % gemäß § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002, indem diese auf den Veranlagungszeitraum 1998 zurückwirkt (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG). Zu Unrecht berufen sich die Kläger insoweit auf Vertrauensschutz. Denn der Kläger hat seine Anteile gerade im Hinblick auf die sich abzeichnende (vgl. Gesetzentwurf vom 9. November 1998, BTDrucks 14/23) und in der Fachliteratur vielfach besprochene Herabsenkung der Wesentlichkeitsgrenze i.S. von § 17 Abs. 1 EStG veräußert und bei dieser Disposition nicht auf den Fortbestand der ursprünglichen Wesentlichkeitsgrenze vertraut. Vielmehr ist genau die Rechtslage eingetreten, die der Kläger seiner Disposition zugrunde gelegt hat. Dass seine bewusst auf die Gesetzesänderung abgestimmte Gestaltung aus rechtstechnischen Gründen gescheitert ist, ändert daran nichts.
Die Frage, inwieweit die Anwendung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 abgesenkten Wesentlichkeitsgrenze für Veräußerungsvorgänge zwischen dem 1. Januar 1999 und dem Tag des Gesetzesbeschlusses am 4. März 1999 veranlagungszeitraumbezogen zu beurteilen ist (dazu BFH-Beschluss vom 2. August 2006 XI R 34/02, BFHE 214, 386, BStBl II 2006, 887), kann im Streitfall dahinstehen.
Fundstellen
Haufe-Index 2086501 |
BFH/NV 2009, 269 |
BFH/PR 2009, 84 |
BStBl II 2009, 140 |
BFHE 2008, 145 |
DB 2009, 36 |
DStRE 2009, 313 |
HFR 2009, 259 |