Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wann sind die Einkünfte eines Arztvertreters solche aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit?
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3, § 18/1/1, § 18/2, § 19
Tatbestand
Die Ehefrau des Beschwerdeführers (Bf.) ist Augenärztin; sie hat im Jahre 1949 mehrfach einen erkrankten anderen Augenarzt vertreten und dafür 1.325 DM erhalten. Sie selbst übt keine Praxis aus und ist auch nicht anderweit als angestellte ärztin tätig. Streitig ist, ob es sich um Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit handelt. Das Finanzamt hat ersteres angenommen. Das Finanzgericht ist dem beigetreten. Es hat seine Auffassung wie folgt begründet:
Die Vertretung eines erkrankten Arztes durch einen anderen sei im allgemeinen eine selbständige Tätigkeit im Sinne der §§ 2 Abs. 3 Ziff. 3, 18 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Verkehrsauffassung sehe im Hinblick auf die soziale Stellung des Arztes auch in Vertretungsfällen seine Tätigkeit als freiberufliche, unabhängige Berufsausübung an; die Berufsverantwortung gehe auf den Vertreter über; dieser entscheide über die Behandlungsmethoden selbständig. Es komme nicht auf die Art der Vergütung an, insbesondere nicht darauf, ob der Vertreter am Ertrag der Praxis beteiligt oder nach festen Sätzen honoriert werde. Die Annahme einer selbständigen Tätigkeit werde auch nicht dadurch beeinflußt, daß der Arztvertreter sich in die Gepflogenheiten der Arztpraxis einordne; so seien es nur äußerlichkeiten, wenn der Vertreter sich an die bestehenden Sprechstunden halte und gegenüber Privatpatienten kein selbständiges Liquidationsrecht ausübe. Ein Arbeitnehmerverhältnis sei nur dann gegeben, wenn der Vertreter in den Organismus derart eingegliedert sei, daß er nach der Verkehrsauffassung als in abhängiger Stellung befindlich anzusehen sei (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1603 vom 3. Februar 1929, Reichssteuerblatt - RStBl - 1929 S. 226; VI A 413/34 vom 8. Juni 1934, RStBl S. 1041, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1934 Nr. 492). Entscheidend sei die selbstverantwortliche Tätigkeit; die Benutzung der Hilfsmittel der Praxis (Instrumente, Sprechzimmer, Hilfeleistung des Personals) sei von untergeordneter Bedeutung. Eine unselbständige Tätigkeit könne dann angenommen werden, wenn der Vertreter bereits, abgesehen von der Vertretungstätigkeit, in einem Dienstverhältnis stehe, wenn also der Vertreter vor der übernahme der Vertretung bereits Arbeitnehmer sei, wie es z. B. für einen Assistenzarzt, einen Beamten oder dergleichen zutreffe (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1702/31 vom 16. September 1931, RStBl 1931 S. 923; VI A 1236/29 vom 9. Oktober 1929, RStBl 1929 S. 598). Bestehe zur Zeit der Vertretungsübernahme kein Arbeitsverhältnis, so komme nur eine selbständige Tätigkeit in Betracht (Urteil des Reichsfinanzhofs IV 133/37 vom 18. November 1937, RStBl 1937 S. 1243). Da die Ehefrau des Bf. unbestritten vor und während der Vertretung in keinem Dienstverhältnis gestanden habe, so müßten die Einkünfte als solche aus selbständiger Arbeit angesehen werden mit der Folge, daß sie mit den Einkünften des Bf. zusammen zu veranlagen seien.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) bezeichnet die Ausführungen der Vorentscheidung als nicht folgerichtig. Wenn die selbständige Betätigung der Ehefrau damit begründet werde, daß die Berufsverantwortung auf den Vertreter übergehe, weil er die Heilmethode vorschreibe und entscheide, ob eine Operation von ihm selbst vorzunehmen, oder der Patient einem Facharzt zuzuweisen sei, so treffe das gleiche auch für den Chefarzt eines Krankenhauses, für den Knappschaftsarzt und den einen Chefarzt vertretenden Assistenzarzt zu; diese würden aber als Arbeitnehmer behandelt. Ebenso wie der Chefarzt eines Krankenhauses bediene sich auch der Vertreter eines freiberuflich tätigen Arztes der Hilfsmittel des letzteren. Im Gegensatz zum Chefarzt eines Krankenhauses, der in der Regel die Sprechstunden nach seinem Ermessen festsetze, sei der Vertreter eines frei praktizierenden Arztes an die Sprechstunden und sonstigen Gewohnheiten des von ihm vertretenen Arztes gebunden. Es könne der Auffassung des Reichsfinanzhofs vom 8. Juni 1934 nicht zugestimmt werden, wenn es einer ärztlichen Praxis den Charakter eines selbständig arbeitenden wirtschaftlichen Organismus abspreche; die Patienten suchten nicht den vertretenden Arzt, vielmehr die Praxis des vertretenen Arztes auf. Aber selbst wenn eine unterschiedliche Behandlung zwischen dem Chefarzt eines Krankenhauses und einem frei praktizierenden Arzt vorgenommen werde, so müsse im Streitfall berücksichtigt werden, daß die Ehefrau des Bf. eine eigene Praxis nicht ausübe und nur gelegentlich Vertretungen übernehme. Die Tätigkeit eines Arztes werde nur deshalb den freien Berufen zugerechnet, weil er in der Regel selbständig eine eigene Praxis betreibe. Wer aber eine solche nicht besitze und sich nur gelegentlich als Vertreter betätige, sei unselbständig. Zu den freien Berufen könne ein Arzt, der wegen fehlender Mittel eine eigene Praxis nicht habe und deshalb Assistenzarzttätigkeit ausübe, nicht gerechnet werden. Er sei einem Vertragsarzt (Hilfsarzt) gleichzustellen, der mangels einer eigenen Praxis nur als Hilfsarzt tätig sei. Aus den gleichen Erwägungen müsse auch die Ehefrau als Arbeitnehmerin angesehen werden, da sie nicht als selbständige ärztin einen anderen selbständigen Arzt, vielmehr einen solchen als unselbständige ärztin gegen feste Vergütung vertreten habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Soweit der Bf. die Vorentscheidung deshalb beanstandet, daß die für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit der Ehefrau verwerteten Gesichtspunkte auch für den Chefarzt eines Krankenhauses zuträfen, dieser aber als Arbeitnehmer behandelt werde, so liegt darin eine unzureichende Beurteilung. Es wird hierbei davon ausgegangen, daß der Chefarzt eines Krankenhauses stets Arbeitnehmer sei; das ist jedoch keineswegs durchweg so. Die tatsächlichen Verhältnisse sind hier entsprechend den Vertragsbeziehungen zwischen Arzt und Krankenhaus sehr vielgestaltig; sie weichen nicht selten von der Regel ab und sind entsprechend den besonderen Wünschen des einen oder anderen Vertragsteils gestaltet. Hat der Arzt eine eigen Praxis und ist er derart als Krankenhausarzt tätig, daß er für die Behandlung bestimmter Patienten, in der Regel die der ersten und zweiten Klasse und der Selbstzahler der dritten Klasse, für seine ärztlichen Bemühungen eine eigene Liquidationsbefugnis hat, so liegt insgesamt eine selbständige Tätigkeit vor; erhält er in diesem Fall für die Kassenpatienten und die allgemeine Krankenpflege eine feste Vergütung, so kommt es auf die Regelung im einzelnen Fall an, ob insoweit eine freiberufliche oder Arbeitnehmertätigkeit gegeben ist. übt der Krankenhausarzt keine eigene Praxis aus, erhält er eine feste Vergütung, ist aber sonst in den Organismus des Krankenhauses nicht eingegliedert, übernimmt er vielmehr lediglich die Führung und überwachung der gesamten Krankenfürsorge, ggf. auch die Behandlung der Kassenpatienten, wofür ihm Operationssaal, Instrumente usw. zur Verfügung gestellt werden, dann kann unter Umständen ein Dienstvertrag nicht beabsichtigt sein, so daß im ganzen Umfange eine freiberufliche Tätigkeit vorliegen kann. Die vertragliche Gestaltung kann jedoch auch derart sein, daß es sich um einen Dienstvertrag handelt. Eine unselbständige Tätigkeit wird in der Regel anzusehen sein, wenn ein festes Anstellungsverhältnis besteht, durch daß der Krankenhausarzt wie ein sonstiger Arbeitnehmer in den Betrieb des Krankenhauses eingeordnet ist. Auf weitere Gestaltungsmöglichkeiten braucht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen zu werden, es genügt die Feststellung, daß die Auffassung des Bf., der Chefarzt eines Krankenhauses sei in jedem Falle Arbeitnehmer, in dieser Allgemeinheit nicht richtig ist. Es können daher aus der steuerlichen Behandlung eines Krankenhausarztes, eines Knappschaftsarztes usw. keine für die Beurteilung des Streitfalles entscheidenden Gesichtspunkte gewonnen werden. Das würde übrigens auch dann nicht der Fall sein, wenn tatsächlich Krankenhausärzte in der Regel Arbeitnehmer wären.
Die zutreffende Eingruppierung der Einkünfte eines Arztvertreters muß vielmehr aus allgemeinen Grundsätzen hergeleitet werden. Nach § 2 Abs. 3 letzter Satz EStG wird diese nach den §§ 13 bis 24 EStG bestimmt. Kann diesen Vorschriften keine eindeutige Einreihung in eine bestimmte Einkunftsart entnommen werden, so ist im Zweifel die Verkehrsauffassung maßgebend. Aus den gleichen Erwägungen hat die in der Vorentscheidung angeführte Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs für den Regelfall in der Vertretertätigkeit eine selbständige gesehen, wenn ein Arzt mit eigener Praxis einen anderen freiberuflich tätigen gegen eine feste Vergütung vertritt. Diese Auffassung entspräche der sozialen Stellung, der besonderen Natur der ärztlichen Tätigkeit und der vorübergehenden Dauer der Vertretungstätigkeit, alles Umstände, die der Annahme eines Angestelltenverhältnisses zu dem vertretenen Arzt zuwiderliefen. Diese Beurteilung hat der Reichsfinanzhof auch dem Fall zuteil werden lassen, in dem der Vertreter bei der übernahme der Vertretung selbst eine Praxis nicht ausübt (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1225/31 vom 1. Juli 1931, RStBl 1931 S. 668, Kartei, EStG 1925 § 35 Abs. 1 Nr. 2 Rechtsspruch 10). Es besteht kein Anlaß, von diesen, eine zutreffende Auslegung des Gesetzes darstellenden Grundsätzen abzuweichen. Der Bf. meint, die Tätigkeit der ärzte gehöre nach der Verkehrsauffassung nur deshalb zu den freien Berufen, weil der Arzt eine eigene Praxis ausübe. Das ist nicht richtig. Mit dieser Begründung könnte auch das Vorliegen eines Gewerbebetriebes angenommen werden, da ihnen als gemeinsames Merkmal das Tätigwerden auf eigene Rechnung und Verantwortung und damit ein eigenes Unternehmerrisiko eigen ist. Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied. Bei der freien Berufstätigkeit sind das geistige Vermögen und die eigene Arbeitskraft die tragenden Fundamente, sie findet im Gegensatz zur gewerblichen Betätigung in den natürlichen Gegebenheiten des geistigen Vermögens und der menschlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen ihre Begrenzung. Der Arzt muß zwar bei der Ausübung seines Berufes auch materielle Güter einsetzen (Praxiseinrichtung usw.), er kann auch der einen oder anderen Hilfskraft bedürfen, der Einsatz seines geistigen Vermögens und seiner eigenen Arbeitskraft steht jedoch beherrschend im Vordergrund. Darauf beruht es auch, daß die Patienten nicht etwa in die "Praxis" des Arztes gehen, sie gehen vielmehr zu dem Arzt ihres Vertrauens, das sich auf die rein persönliche Tüchtigkeit desselben gründet. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Reichsfinanzhof in dem Urteil VI A 413/34 vom 8. Juni 1934, RStBl 1934 S. 1041, nicht zu weit geht, wenn er der Praxis eines Arztes einen selbständig arbeitenden wirtschaftlichen Organismus ganz abspricht, zum mindesten ist ein im Sinne des Bewertungsgesetzes zu wertendes, wirtschaftlich selbständiges Betriebsvermögen vorhanden; hieraus kann jedoch für die hierzu entscheidende Frage kein zwingender Schluß gezogen werden. Dieses Betriebsvermögen gibt nur den äußeren Rahmen ab. Ihm kommt die gleiche Bedeutung zu, wie dem Fall, in dem ein Arzt eine private Krankenanstalt (Privatklinik, Sanatorium) nur als notwendiges Hilfsmittel für die eigene ärztliche Berufstätigkeit betreibt. Ebensowenig wie hierin eine Beeinträchtigung der freien Berufstätigkeit gesehen wird, ebensowenig ist das Vorhandensein des Betriebsvermögens ein maßgebendes Merkmal dafür, ob eine selbständige Betätigung im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 2 EStG vorliegt. Hierfür ist vielmehr entscheidend, ob der für die Annahme eines freien Berufes charakteristische Einsatz der eigenen Arbeitskraft die Grundlage für die ärztliche Betätigung darstellt, und zwar so, daß er diese kraft eigener Verantwortung und ohne Bindung an Weisungen Dritter ausübt. Dieser Gesichtspunkt ist entscheidend, ob ein Arzt als selbständig anzusehen ist oder nicht, ohne Rücksicht darauf, ob er eine eigene Praxis ausübt oder nicht; im ersteren Fall kann die Beurteilung nicht zweifelhaft sein. Sie ist aber im anderen Fall grundsätzlich nicht anders. Auch ein Vertreter übt die von ihm betreute Praxis unter dem Einsatz seiner geistigen Fähigkeiten und seiner eigenen Arbeitskraft aus; er beurteilt alle Fälle kraft seines Könnens und Wissens, unabhängig von dem Vertretenen, mögen auch in bezug auf äußerlichkeiten (Sprechstunden, Benutzung der sachlichen und personellen Hilfsmittel) Weisungen bestehen; sie sind nur von unwesentlicher Bedeutung. Es ist deshalb, wenigstens in dieser Allgemeinheit, nicht zutreffend, daß die Patienten regelmäßig nur die "Praxis" des vertretenen Arztes aufsuchen; sie suchen vielmehr den "Arzt" auf. Haben sie zu dem Vertreter nicht das gleiche Vertrauen, so gehen sie zu einem anderen Arzt. Die "Praxis" des vertretenen Arztes spielt dabei keine Rolle. Die Tatsache, daß das unter Umständen bei Kassenpatienten anders ist, ändert daran nichts; es beruht in erster Linie auf der durch die Versicherung bei einer Krankenkasse und der durch den Krankenschein bestehenden Bindung. Welches Gewicht auf die persönlichen Eigenschaften eines Arztes gelegt wird, beweist der Umstand, daß viele eine Krankenversicherung bevorzugen, bei der freie Arztwahl gestattet ist. d. h. daß nicht nur zugelassene Kassenärzte aufgesucht werden dürfen. Die vom Bf. vertretene Auffassung, daß jeder Arzt ohne Praxis bei Vertretungsfällen Arbeitnehmer sei, würde zu einer Entpersönlichung der freien Berufstätigkeit führen. Selbständigkeit eines Arztes liegt nur dann nicht vor, wenn der Vertreter in einem festen Anstellungsverhältnis zu dem Vertretenen steht, kraft dessen er nicht nur in bezug auf die äußerlichen Gewohnheiten der zu betreuenden Praxis, sondern auch hinsichtlich der Verwendung seiner Arbeitskraft derart in diese eingegliedert ist, daß er auch in bezug auf die Behandlungsmethode den Weisungen des Praxisinhabers zu folgen hat, wie es z. B. für jeden Angestellten, Verwaltungsbeamten oder auf ärztlichem Gebiet für den angestellten Assistenzarzt gilt. Dieser hat zwar auch seine eigene Arbeitskraft einzusetzen, er ist aber in ihrer Anwendung nicht frei, sondern hat die Behandlung der Patienten vorzunehmen, wie es den Intentionen seines Arbeitgebers, z. B. seines Chefarztes, entspricht.
Bei Anwendung des Gesagten auf die Tätigkeit der Ehefrau des Bf. wird es nicht zweifelhaft sein können, daß die aus ihrer Vertretertätigkeit erzielten Einkünfte solche aus selbständiger Tätigkeit sind. Ein festes Anstellungsverhältnis mit einer derartigen Eingliederung in die zu betreuende Praxis, daß sie auch bezüglich ihrer ärztlichen Betätigung den Anweisungen des Vertretenen zu folgen hatte, hat nicht bestanden. Sie hat in eigener Machtvollkommenheit ihre ärztliche Kunst ausgeübt, in bezug auf den Arbeitserfolg bestanden keine Bindungen. Ihre Arbeitskraft stand nicht als solche dem Vertretenen zur Verfügung; nicht nach seinem Willen, sondern nach ihrer eigenen Einsicht traf sie die jeweils notwendigen ärztlichen Anordnungen. Bei dieser Sachlage sieht die Verkehrsauffassung in Beachtung der sozialen Stellung und der in bezug auf die Verwendung des ärztlichen Wissens und Könnens nach keiner Richtung hin beschränkten ärztlichen Tätigkeit auch bei einem Vertreter die Ausübung einer freien Berufstätigkeit. Der Vorentscheidung ist daher beizutreten.
Fundstellen
Haufe-Index 407637 |
BStBl III 1953, 142 |
BFHE 1954, 361 |
BFHE 57, 361 |