Leitsatz (amtlich)
1. Einem Kommanditisten, dessen gesellschaftsrechtliche Stellung sich im Innen- und Außenverhältnis nach den Vorschriften des HGB, insbesondere des § 167 Abs. 3 HGB, bestimmt, ist ein Verlustanteil, der nach dem allgemeinen Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel der KG auf ihn entfällt, einkommensteuerrechtlich auch insoweit zuzurechnen, als er in einer den einkommensteuerrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften entsprechenden Bilanz der KG zu einem negativen Kapitalkonto des Kommanditisten führen würde. Dies gilt nicht, soweit bei Aufstellung der Bilanz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt.
2. Beim Wegfall eines durch einkommensteuerrechtliche Verlustzurechnung entstandenen negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten ergibt sich in Höhe dieses negativen Kapitalkontos ein steuerpflichtiger Gewinn des Kommanditisten.
3. Dieser Gewinn entsteht zu dem Zeitpunkt, in dem der Betrieb der KG veräußert oder aufgegeben wird (§ 16 EStG). Soweit jedoch schon früher feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt (Nr. 1 Satz 2), ist dieser Zeitpunkt maßgebend.
4. Dieser Gewinn ist in den Fällen der Nr. 3 Satz 1 ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn (§§ 16, 34 EStG), in den Fällen der Nr. 3 Satz 2 ein laufender Gewinn.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 3, § 34; HGB §§ 163, 167, 169
Verfahrensgang
Tatbestand
A.
Anrufungsbeschluß des IV Senats, Sachverhalt.
I. Der IV Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Beschluß vom 26. April 1979 IV R 134/76 (BFHE 127, 407, BStBl II 1979, 414) dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist einem Kommanditisten, dessen gesellschaftsrechtliche Stellung sich im Innen- und Außenverhältnis nach den Vorschriften des HGB, insbesondere des § 167 Abs. 3 HGB, bestimmt, ein "Verlustanteil", der nach dem allgemeinen Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel der KG auf ihn entfällt, einkommensteuerrechtlich auch insoweit zuzurechnen, als er in einer den einkommensteuerrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften entsprechenden Bilanz der KG zu einem negativen Kapitalkonto des Kommanditisten führen wurde?
2. Sofern die Frage zu 1. zu bejahen sein sollte: Entsteht beim "Wegfall" eines durch einkommensteuerrechtliche Verlustzurechnung entstandenen negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten in Höhe dieses negativen Kapitalkontos ein einkommensteuerrechtlicher Gewinn des Kommanditisten?
3. Sofern die Fragen zu 1. und 2. zu bejahen sein sollten: Entsteht der Gewinn
a) bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die KG ihren Gewerbebetrieb einstellt, sofern die Betriebseinstellung zugleich als Aufgabe des Gewerbebetriebs (i. S. des § 16 EStG) zu werten ist, weil damit feststeht, daß ein gewerblicher Gewinn in Höhe des nach Berücksichtigung des Betriebsaufgabegewinns verbleibenden negativen Kapitalkontos nicht mehr entstehen kann oder
b) erst mit der Vollbeendigung der Gesellschaft (z. B. Beendigung einer Liquidation oder
c) - unabhängig von einer Betriebsaufgabe und einer Vollbeendigung der Gesellschaft - stets zu dem Zeitpunkt, zu dem die Firma der KG im Handelsregister gelöscht wird?
4. Sofern die Fragen zu 1. und 2. zu bejahen und die Frage zu 3. dahin zu beantworten sein sollte, daß der Gewinn im Zeitpunkt einer als Betriebsaufgabe zu wertenden Betriebseinstellung entsteht: Ist der Gewinn tarifbegünstigt nach den §§ 16, 34 EStG oder ein nicht tarifbegünstigter laufender Gewinn?
II. Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war Kommanditistin einer KG. Alleiniger persönlich haftender Gesellschafter der KG war der Bruder der Klägerin, der Beigeladene zu 1. Die Beigeladenen zu 2 bis 6 waren weitere Kommanditisten.
Am 9. Juli l975 beantragte die KG, wegen Zahlungsunfähigkeit über ihr Vermögen das Konkursverfahren zu eröffnen. Mit Beschluß vom 15. Juli 1975 wies das Konkursgericht diesen Antrag mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse ab.
Am 28. November 1975 stellte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin einen "Jahresabschluß 1975" auf und gab eine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns der KG ab. Der Jahresabschluß bestand aus einer Schlußbilanz zum 30. Juni 1975 und einer Gewinn- und Verlustrechnung für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis 30. Juni 1975. In der Schlußbilanz waren als Aktivposten lediglich Forderungen über rd. 900 DM und Grundstücke, bewertet mit 2 200 DM, ausgewiesen. Die Gewinn- und Verlustrechnung ergab einen Verlust von 1 453 810,52 DM.
Wirtschaftsjahr der KG war das Kalenderjahr. Über die Verteilung eines Verlustes war im Gesellschaftsvertrag bestimmt: "Ein aus der Bilanz sich ergebender Verlust wird von den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer sich aus der Vorjahresbilanz ergebenden Kapitalanteile getragen."
Danach entfiel auf die Klägerin ein Verlustanteil von 25 5871,08 DM, wodurch erstmals ein negatives Kapitalkonto von 18 6148 DM entstand. Auch die Kapitalkonten der übrigen Kommanditisten wurden durch die Verlustanteile zum 30. Juni 1975 erstmals negativ.
Am 13. Oktober 1976 wurde von Amts wegen in das Handelsregister eingetragen, daß die KG aufgelöst und die Firma erloschen ist.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rechnete im Feststellungsbescheid 1975 vom 27. Juli 1977 der Klägerin nur einen Verlustanteil von 69 723 DM zu. Das FA vertrat die Auffassung, der erklärte Verlust sei den Kommanditisten nur bis zur Höhe ihrer bisherigen positiven Kapitalkonten, im übrigen aber dem persönlich haftenden Gesellschafter zuzurechnen.
Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
2. Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) unter Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheids und der Einspruchsentscheidung den Verlust der KG anderweit auf die Klägerin und die Beigeladenen verteilt und der Klägerin einen Verlustanteil von 25 5871,08 DM zugerechnet.
Zur Begründung hat das FG, dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 120 (EFG 1979, 120) veröffentlicht ist, ausgeführt, handelsrechtlich sei unbestritten, daß auch Kommanditisten negative Kapitalkonten haben könnten. Diese seien bis zur Auflösung der Gesellschaft auch steuerrechtlich anzuerkennen.
3. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung der Vorschriften über die steuerrechtliche Gewinnermittlung, insbesondere Verletzung der § 5 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EStG, gerügt wird.
Das FA meint, das negative Kapitalkonto des Kommanditisten sei steuerrechtlich allgemein nicht anzuerkennen, weil es weder eine Schuld gegenüber der, Gesellschaft noch eine Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft noch eine sonstige Belastung zum Ausdruck bringe und deshalb keinen wirtschaftlichen Verlust bedeute. Unabhängig davon komme eine Verlustzurechnung im Streitfall nicht in Betracht, weil bei Aufstellung der Bilanz zum 30. Juni 1975 am 28. November 1975 ausreichende Klarheit darüber bestanden habe, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos der Klägerin durch spätere Gewinne nicht mehr stattfinden werde.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
4. a) Der IV. Senat vertritt im Vorlagebeschluß die Auffassung, daß auf der Grundlage der im Streitjahr geltenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes das negative Kapitalkonto des Kommanditisten einkommensteuerrechtlich nicht anzuerkennen sei, d. h., daß ein Verlustanteil, der nach dem allgemeinen Gewinn und Verlustverteilungsschlüssel der KG rechnerisch auf den Kommanditisten entfalle, einkommensteuerrechtlich insoweit nicht dem Kommanditisten, sondern im - Modellfall einer zweigliedrigen KG - dem persönlich haftenden Gesellschafter zuzurechnen sei, als er in einer den einkommensteuerrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften entsprechenden Jahresbilanz der KG zu einem negativen Kapitalkonto des Kommanditisten führen würde. Der IV. Senat begründet diese Auffassung damit, daß sich der wirtschaftliche Gehalt des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten, dessen gesellschaftsrechtliche Stellung sich nach den Vorschriften des HGB richte, in einer "gewinnabhängigen Auffüllungspflicht" erschöpfe. Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten führe weder zu einer unmittelbaren Haftung des Kommanditisten gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft für Gesellschaftsschulden noch zu einer gegenwärtigen oder künftigen Verpflichtung zur Leistung weiterer Einlagen (oder Ausgleichszahlungen an die anderen Gesellschafter). Die einkommensteuerrechtliche Ermittlung und Zurechnung des Gewinns (Verlustes) einer Personengesellschaft habe den Zweck, für die Steuerfestsetzung eine Komponente des "Einkommens" einer natürlichen Person innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu liefern. Sie bilde einen Teil der Bemessungsgrundlage für eine Steuerschuld, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer natürlichen Person innerhalb eines Veranlagungszeitraums erfassen solle. Im Hinblick auf diesen Zweck sei bei der steuerrechtlichen Zurechnung eines Bilanzverlustes, dessen gesellschaftsrechtliche Zuteilung zu einem negativen Kapitalkonto führe, der wirtschaftliche Gehalt eines solchen Verlustanteils zu berücksichtigen. Dieser wirtschaftliche Gehalt des Verlustes, der zu einem negativen Kapitalkonto führe, bestehe, wie dargestellt, ausschließlich in einer "gewinnabhängigen Auffüllungspflicht".
Der IV. Senat verneint damit die Rechtsfrage Nr. 1.
Für den Fall, daß der Große Senat diese Rechtsfrage bejahen sollte, vertritt der IV. Senat die Auffassung, beim Wegfall des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten entstehe ein Gewinn des Kommanditisten (Rechtsfrage Nr. 2).
Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten falle jedenfalls in dem Zeitpunkt weg, zu dem die KG ihren Gewerbebetrieb im ganzen veräußere oder aufgebe, mit der Folge, daß die KG und ihre Mitunternehmer fortan keine gewerblichen E Einkünfte mehr bezögen. Auf den Zeitpunkt der Vollbeendigung der Gesamthandgemeinschaft oder gar der Löschung der Firma im Handelsregister könne es nicht ankommen (Rechtsfrage Nr. 3).
Der durch den Wegfall des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten entstehende Gewinn des Kommanditisten sei zum normalen Tarif zu versteuern (Rechtsfrage Nr. 4).
b) Der IV. Senat hat den Großen Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage angerufen(§ 11 Abs. 4 FGO). Er ist der Auffassung, daß er mit seiner Verneinung der Rechtsfrage Nr. 1 von keiner Entscheidung eines anderen Senats, insbesondere nicht von dem BFH-Urteil vom 13. März 1964 VI 343/61 S (BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359) abweiche. Denn dieses Urteil betreffe nur die Frage, ob dann, wenn steuerrechtlich Verluste zugerechnet worden seien, die zu einem negativen Kapitalkonto führten, der Wegfall des negativen Kapitalkontos durch Ausscheiden des Kommanditisten aus der KG einen steuerpflichtigen Gewinn begründe. Der IV. Senat hat allerdings am 6. Dezember 1979 beschlossen, die Anrufung hilfsweise - für den Fall, daß der Große Senat sich an den Vorlegungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht gebunden fühlen und eine Abweichung von einem Urteil eines anderen Senats annehmen sollte - auf Divergenz (§ 11 Abs. 3 FGO) zu stützen.
5. Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 FGO).
Zur Rechtsfrage Nr. 1 vertritt er die Auffassung, das negative Kapitalkonto des Kommanditisten sei einkommensteuerrechtlich nicht anzuerkennen. Denn ein Kommanditist, der nach Leistung seiner Pflichteinlage keiner Nachschußpflicht unterliege und für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht hafte, werde durch Verlustanteile, die sein Kapitalkonto überstiegen, im Jahr der Entstehung des Verlustes wirtschaftlich nicht belastet. Er erziele daher keinen Verlust im steuerrechtlichen Sinne des § 4 Abs. 1 EStG. Die aufschiebend bedingte Verpflichtung des Kommanditisten, künftige Gewinnanteile nicht zu entnehmen, sondern zur Deckung eines negativen Kapitalkontos zu verwenden, sei einkommensteuerrechtlich keine gegenwärtige Vermögensminderung des Kommanditisten.
Die Rechtsfrage Nr. 2 wird vom BdF bejaht.
Zur Rechtsfrage Nr. 3 vertritt der BdF die Auffassung: Als Zeitpunkt des Entstehens eines Steueranspruchs komme nur die Betriebsaufgabe i. S. des § 16 EStG in Betracht.
Zur Rechtsfrage Nr. 4 meint der BdF, der Wegfall des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten sei im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BFH und die bisherige Praxis wie ein tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn zu behandeln.
Entscheidungsgründe
B.
Entscheidung des Großen Senats zu den Verfahrensfragen.
I.
In seiner Stammbesetzung (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FGO; BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570) und ohne mündliche Verhandlung (Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFH-EntlastG -) hat der Große Senat entschieden, daß außer dem IV. Senat auch der I. Senat einen weiteren Richter zu den Sitzungen des Großen Senats entsenden kann (§ 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO). Denn der Große Senat ist im Streitfall an den Vorlegungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 11 Abs. 4 FGO) nicht gebunden. Er ist weiter der Auffassung, daß der IV. Senat mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung von dem Urteil des VI. Senats in BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359 abweichen würde. Die Zuständigkeit des VI. Senats zur Entscheidung dieses Falles ist auf den I. Senat übergegangen.
1. Durch Beschluß vom 27. Mai 1968 GrS 1/68 (BFHE 92, 188, BStBl II 1968, 473) hat der Große Senat des BFH entschieden, daß der Große Senat von dem Anrufungsgrund des vorlegenden Senats nur abweichen kann, wenn der gewählte Anrufungsgrund auf sachfremden Erwägungen beruht, nicht mehr verständlich oder willkürlich ist. Damit kommt zum Ausdruck, daß der Große Senat an den vom vorlegenden Senat bezeichneten Anrufungsgrund in Ausnahmefällen nicht gebunden ist. Dies ist insofern gerechtfertigt, als die Anrufung wegen Abweichung (§ 11 Abs. 3 FGO) und die Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 11 Abs. 4 FGO) eine unterschiedliche Besetzung der Richterbank des Großen Senats zur Folge haben können (§ 11 Abs. 2 FGO), die Anrufung wegen Abweichung gesetzlichen Vorrang vor der Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung hat (BFHE 92, 188, BStBl II 1968, 473) und die Zuständigkeit des angerufenen Großen Senats die Prüfung und Entscheidung umfaßt, ob und in welcher Besetzung er der gesetzliche Richter ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -). Die Annahme einer solchen Ausnahme erscheint dem Großen Senat jedenfalls dann geboten, wenn ein Senat, wie im vorliegenden Fall, zwar wegen grundsätzlicher Bedeutung den Großen Senat anruft, im Anrufungsbeschluß aber eine Entscheidung eines anderen Senats angibt, von der er mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung nach Auffassung des Großen Senats abweichen würde (vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 7. November 1955 GSSt 2/55, Juristenzeitung 1956 S. 331 - JZ 1956, 331-; Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 21. Juli 1977 GS 1/76, GS 2/76, BSGE 44, 151; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG vom 16. März 1964 GrS 1.63, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 11 VwGO Nr. 6; BFH-Beschluß vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; Beschluß des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 16. März 1962 GS 1/61, - GS 2/61-, BAGE 13, 1). In einem solchen Falle kann der Große Senat die Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung als eine Anrufung wegen Abweichung behandeln, wenn er nach Prüfung des Vorlagebeschlusses zu dem Ergebnis kommt, daß eine Abweichung vorliegt.
2. Der IV. Senat würde mit der von ihm beabsichtigten Verneinung der Rechtsfrage Nr. 1 von dem BFH-
Urteil in BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359 abweichen.
Im damaligen Verfahren war streitig, ob die Kommanditisten bei ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft in Höhe ihrer negativen Kapitalkonten Veräußerungsgewinne i. S. des § 16 EStG erzielten. Der VI. Senat hat diese Frage bejaht und in den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt, handelsrechtlich könnten negative Kapitalkonten der Kommanditisten entstehen. Die Verlustanteile eines Kommanditisten, die zu einem negativen Kapitalkonto führen, hat der VI. Senat auch steuerrechtlich als Verlustanteile angesehen, wenn nicht der persönlich, haftende Gesellschafter laufend den negativen Kapitalanteil des Kommanditisten übernommen habe. Der VI. Senat hat damit die im gegenwärtigen Verfahren streitige Rechtsfrage Nr. 1 bejaht.
Eine Abweichung i. S. des § 11 Abs. 3 FGO liegt allerdings nur vor, wenn die Entscheidung des anderen Senats auf der Rechtsauffassung, von der abgewichen werden soll, beruht (Müller in Staatsbürger und Staatsgewalt Bd. II, 527, 536 f. mit weiteren Nachweisen). Die Rechtsauffassung muß für die Entscheidung des anderen Senats erheblich gewesen sein. Das ist hier der Fall. Faßt man die Gründe des BFH-Urteils in BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359 zusammen, hat der Vl. Senat einen steuerrechtlichen Veräußerungsgewinn des Kommanditisten bejaht, weil die KG die Verlustanteile des Kommanditisten handelsrechtlich und steuerrechtlich als "echte Verluste" behandelt hat und weil dies handelsrechtlich und steuerrechtlich zulässig war. Der IV. Senat würde allerdings auf der Linie seiner neueren Rechtsprechung einen steuerrechtlichen Veräußerungsgewinn nach dem Grundsatz von Treu und Glauben oder nach dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs schon aufgrund der Tatsache bejahen, daß die Verlustanteile des Kommanditisten, die zum negativen Kapitalkonto geführt haben, steuerrechtlich zu Recht oder zu Unrecht - dem Kommanditisten zugerechnet worden sind (BFH-Urteile vom 25. August 1966 IV 307/65, BFHE 87, 130, BStBl III 1967, 69, und vom 8. März 1973 IV R 77/72, BFHE 108, 540, BStBl II 1973, 398). Für die Frage der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsauffassung und damit für die Frage der Abweichung nach § 11 Abs. 3 FGO kommt es aber nicht darauf an, ob der erkennende Senat - wenn auch mit anderer Begründung - zum gleichen Ergebnis kommen würde, sondern allein darauf, ob der Senat, von dessen Rechtsauffassung abgewichen werden soll, ohne diese Rechtsauffassung zum gleichen Ergebnis gekommen wäre (BFH-Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132). Denn es liegt, wie der Große Senat in diesem Beschluß ausgeführt hat, in der Zuständigkeit eines jeden Senats, die übergeordneten Rechtssätze zu bestimmen, aus denen er seine Entscheidung ableitet.
Die Rechtsauffassung des VI. Senats im Urteil in BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359, daß das negative Kapitalkonto des Kommanditisten handelsrechtlich und, wenn es nicht laufend vom, persönlich haftenden Gesellschafter übernommen wird, steuerrechtlich anzuerkennen ist, bildet einen Baustein in den Gründen der Entscheidung. Daher läßt sich nicht sagen, daß der Vl. Senat den Veräußerungsgewinn des Kommanditisten auch bejaht hatte, wenn er das negative Kapitalkonto des Kommanditisten handelsrechtlich und steuerrechtlich nicht anerkannt hätte.
II.
Wegen der Bedeutung der Rechtsfragen, die der IV. Senat dem Großen Senat vorgelegt hat, erschien es dem Großen Senat zweckmäßig, über diese Rechtsfragen - nicht auch über verfahrensrechtliche Vorfragen aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden (§ 11 Abs. 5 FGO, Art. 1 Nr. 2 BFH EntlastG).
c.
Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegten Rechtsfragen.
I Zur Rechtsfrage Nr. 1.
1. Ausgangspunkt für die Prüfung der Rechtsfrage Nr. 1 ist 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Nach dieser Vorschrift sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb auch die " die Gewinnanteile der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft und einer anderen Gesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen ist".
a) "Gewinnanteile" im Sinne dieser Vorschrift sind die Anteile der Gesellschafter am Gewinn der Gesellschaft (BFH-Urteile vom 23. Mai 1979 I R 163/77, BFHE 128, 213, BStBl II 1979, 757, und vom 5. Dezember 1978 VIII R 19/76, BFHE 127, 493, BStBl II 1979, 529).
Diese Auffassung, von der auch der Anrufungsbeschluß des IV. Senats und das BFH-Urteil vom 10. Juli 1980 IV R 136/77 (BFHE 131, 313) ausgehen, wird durch die Geschichte der gesetzlichen Vorschrift bestätigt. In § 13 Abs. 2 Nr. 2 des Preußischen Einkommensteuergesetzes vom 19. Juni 1906 war vorgeschrieben: "Der von einer nicht nach § 1 Nr. 4 bis 6 steuerpflichtigen Erwerbsgesellschaft erzielte Geschäftsgewinn ist den einzelnen Teilhabern nach Maßgabe ihres Anteils anzurechnen." Nach § 29 Nr. 3 EStG 1925 gehörten zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch "bei Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft ... ihr Anteil am Geschäftsgewinne ...". Damit war - ebenso wie früher im Preußischen Einkommensteuergesetz - der Anteil am Geschäftsgewinn der Gesellschaft gemeint (Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925, § 29 Anm. 28).
"Eine andere Bestimmung des Begriffs" Gewinnanteile folgt auch nicht daraus, daß zu den gewerblichen Einkünften der Gesellschafter einer Personengesellschaft auch gehören "die Vergütungen, die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezogen hat" (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG) sowie "Gewinne, die erzielt werden bei der Veräußerung ... des Anteils eines Gesellschafters ..." (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und andere Sonderbetriebseinnahmen der Gesellschafter, die ihre Ursache in der Beteiligung an der Gesellschaft haben. Diese Einkünfte aus Gewerbebetrieb bilden zusammen mit den in § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG an erster Stelle genannten Gewinnanteilen den Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG; vgl. den Rechtssatz des BFH-Urteils vom 5. Dezember 1979 I R 184/76, BFHE 129, 169, BStBl II 1980, 119). Die Anteile der einzelnen Gesellschafter (Mitunternehmer) an diesem Gesamtgewinn können daher nicht mit den "Gewinnanteilen" des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG gleichgesetzt werden.
b) Sind diese Gewinnanteile Anteile am Gewinn der Gesellschaft, so sind auch die Verlustanteile der Gesellschafter Anteile am Verlust der Gesellschaft. Das bedeutet, daß es der Gewinn oder Verlust der Gesellschaft ist, der zur Besteuerung den Gesellschaftern anteilig zuzurechnen ist, ohne daß es eines Zufließens des Gewinnes oder Verlustes beim Gesellschafter selbst bedarf (BFH -Urteil vom 23. April 1975 I R234/74, BFHE 115, 488, BStBl II 1975, 603).
Der Gewinn oder Verlust der Gesellschaft ist durch einen Vermögensvergleich der Gesellschaft und nicht durch Vermögensvergleiche der einzelnen Gesellschafter zu ermitteln. Grundlage dafür - und damit auch für die Ermittlung der Gewinnanteile oder Verlustanteile der Gesellschafter - ist - wie auch der Vertreter des BdF in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat - die aus der Handelsbilanz abgeleitete Steuerbilanz der Gesellschaft (§ 5 EStG) und nicht etwa gedachte oder wirkliche Einzelbilanzen der Gesellschafter (BFH-Urteile in BFHE 128, 213, BStBl II 1979, 757, und vom 21. Dezember 1972 IV R 53/72, BFHE 107, 564, BStBl II 1973, 298).
2. Für die Verteilung des Gewinnes oder Verlustes der Gesellschaft auf die Gesellschafter ist grundsätzlich das Handelsrecht maßgebend.
a) Da der Ausdruck "Gewinnanteile der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft... auf die handelsrechtliche Gewinnverteilung der Personenhandelsgesellschaften verweist und das Steuergesetz darüber allgemein keine Vorschriften enthält, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH der handelsrechtliche Gewinnverteilungsschlüssel maßgebend, selbst für die Verteilung steuerrechtlicher Mehrgewinne (BFH-Urteile in BFHE 115, 488, BStBl II 1975, 603, und vom 31. Oktober 1974 IV R 141/70, BFHE 113, 511, BStBl II 1975, 73).
Handelsrechtlich sind die Anteile der Kommanditisten am Gewinn und Verlust der Gesellschaft in der Regel im Gesellschaftsvertrag bestimmt (§ 163 HGB). Im Streitfall war ein Bilanzverlust von den Gesellschaftern, auch von den Kommanditisten, nach dem Verhältnis ihrer sich aus der Vorjahresbilanz ergebenden Kapitalanteile zu tragen.
b) Zur Verlustverteilung schreibt § 167 Abs. 3 HGB vor, daß der Kommanditist an dem Verlust nur bis zum Betrag seines Kapitalanteils und seiner noch rückständigen Einlage teilnimmt. Diese Vorschrift ist nach der heute herrschenden handelsrechtlichen Auffassung so zu verstehen, daß sie nur für die Verteilung eines sich aus der Liquidationsschlußbilanz der Gesellschaft ergebenden Verlustes gilt. Das bedeutet daß der aus der Jahresbilanz der Gesellschaft sich ergebende Verlust unbeschadet des §167 Abs. 3 HGB nach dem vorgesehenen Verlustverteilungsschlüssel auch auf den Kommanditisten zu verteilen und daß der auf den Kornmanditisten entfallende Verlustanteil von seinem Kapitalanteil abzuschreiben ist, auch wenn dieser dadurch negativ wird (Hüber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, 278, mit weiteren Angaben aus dem Schrifttum). Solange sein Kapitalanteil negativ ist, kann der Kommanditist wie in § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB vorgesehen die Auszahlung künftiger Gewinnanteile nicht fordern, sondern muß diese Gewinnanteile zur Deckung des negativen Kapitalanteils verwenden. Diese "Verlusthaftung mit künftigen Gewinnanteilen (Heymann/Kötter, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl., 1971, 21. Gesamtauflage, § 167 Anm. 3, § 169 Anm. 3) trifft den Kommanditisten bis zur Liquidation unbegrenzt.
3. Gegen die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Verteilung eines Verlustes auf den Kommanditisten, dessen Kapitalkonto dadurch negativ wird, erheben der IV. Senat und der BdF gewichtige Einwendungen, die ihren Grund darin haben, daß der Kommanditist in Höhe des negativen Kapitalkontos weder den Gläubigern der Gesellschaft noch der Gesellschaft noch den übrigen Gesellschaftern gegenüber haftet (s. oben A. II. 4.). Dem IV. Senat und dem BdF ist darin zuzustimmen, daß die steuerrechtliche Anerkennung der handelsrechtlichen Verteilung eines Verlustes der KG auf den Kommanditisten dort ihre Grenze findet, wo es an einer Auswirkung des Verlustanteils auf die rechtliche und wirtschaftliche Stellung des Kommanditisten als Gesellschafter und Mitunternehmer (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG) fehlt. Denn das Steuerrecht knüpft nicht an die äußere Erscheinungsform, sondern an den rechtlichen und wirtschaftlichen Gehalt eines Sachverhalts an. Einen Verlustanteil, der nur auf dem Papier steht, erkennt das Steuerrecht nicht an.
4. a) Andererseits ist zu bedenken, daß sich das Risiko eines Unternehmers (Mitunternehmers) nicht in der Haftung gegenüber den Gläubigern erschöpft. Auch der Zwang, künftige Gewinne zur Deckung früherer Verluste zu verwenden, ist Teil des Unternehmerrisikos. Daher ist auch die Verlusthaftung mit künftigen Gewinnanteilen, auf die sich der rechtliche Gehalt des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten beschränkt, Ausdruck eines Unternehmerrisikos des Kommanditisten. Aus § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB, der nach der herrschenden handelsrechtlichen Auffassung auch für die Auffüllung eines negativen Kapitalkontos des Kommanditisten gilt (Schlegelberger/Gessler, Handelsgesetzbuch, § 167 Tz. 7), ergibt sich, daß es rechtlich künftige Gewinnanteile des Kommanditisten und nicht künftige Gewinnanteile des persönlich haftenden Gesellschafters sind, die zur Deckung früherer Verlustanteile des Kommanditisten und nicht zur Deckung früherer Verlustanteile des persönlich haftenden Gesellschafters zu verwenden sind.
b) Bei der Prüfung des wirtschaftlichen Gehalts dieser Verlusthaftung des Kommanditisten mit seinen künftigen Gewinnanteilen dürfen stille Reserven die im Vermögen der KG vorhanden sind, nicht außer Betracht bleiben. Denn irgendwann sind auch diese stillen Reserven aufzulösen oder lösen sich von selbst auf und führen dadurch zu einem Gewinn der KG und dann auch zu Gewinnanteilen des Kommanditisten, die dieser zur Auffüllung seines negativen Kapitalkontos zu verwenden hat. In einer KG, in der hohe stille Reserven ruhen, kommt daher die Verlusthaftung des Kommanditisten mit künftigen Gewinnanteilen voll zum Zug. Dieser Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die Verluste, die das negative Kapitalkonto des Kommanditisten erzeugt haben, auf hohen steuerrechtlichen Sonderabschreibungen einer sonst gutgehenden KG beruhen. Hier werden in späteren Jahren durch das Fehlen der verbrauchten Abschreibungen die Gewinne der KG entsprechend steigen. Dann greift die Verlusthaftung mit künftigen Gewinnanteilen ein.
In diesen Fällen unterscheidet sich der wirtschaftliche Gehalt des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten nicht vom wirtschaftlichen Gehalt eines negativen Kapitalkontos des persönlich haftenden Gesellschafters. Auch dieser wird seine künftigen Gewinnanteile zur Deckung seines negativen Kapitalkontos verwenden. Mit einer Inanspruchnahme durch die Gläubiger der Gesellschaft braucht er in diesen Fällen nicht zu rechnen.
5. Der Große Senat stimmt dem IV. Senat und dem BdF darin zu, daß Verbindlichkeiten, die nur aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind, handelsrechtlich nicht passiviert werden müssen und daher steuerrechtlich nicht passiviert werden dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 72/76, BFHE 131, 303, BStBl II 1980, 741). Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten ist aber ebensowenig wie ein negatives Kapitalkonto des persönlich haftenden Gesellschafters Ausdruck einer gegenwärtigen Verpflichtung gegenüber den Gläubigern oder gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber den Gesellschaftern (Hüber, a. a. O., 282 f.). Da der Verlustanteil des Kommanditisten sein Anteil am Verlust der Gesellschaft ist und da dieser Verlust der Gesellschaft durch einen Vermögensvergleich der Gesellschaft und nicht durch Vermögensvergleiche der einzelnen Gesellschafter zu ermitteln ist (s. oben C. I. 1. b), stellt sich die Frage nicht, ob der einzelne Gesellschafter in Höhe seines negativen Kapitalkontos mit einer passivierbaren Verpflichtung belastet ist.
6. Aus den bisherigen Ausführungen folgt, daß das Steuerrecht einen Verlustanteil des Kommanditisten bei negativem Kapitalkonto nicht mehr anerkennen kann, soweit bei Aufstellung der Bilanz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt (BFH-Urteil vom 19. November 1964 IV 455/61 U, BFHE 81, 305, BStBl III 1965, 111). Dann sinkt nämlich der rechtliche und wirtschaftliche Gehalt des Verlustanteils des Kommanditisten zur Bedeutungslosigkeit herab (s. oben C. I. 3.). Der Verlust ist in diesem Fall und zu diesem Zeitpunkt auf die persönlich haftenden Gesellschafter und auf die übrigen Kommanditisten - auf diese allerdings nur bis zur Höhe ihrer Kapitalanteile und ihrer noch rückständigen Einlagen nach dem Verhältnis zu verteilen, das dem für die Verteilung eines Jahresverlustes geltenden Schlüssel entspricht (s. unten C. II. 1.).
Hierzu ist klarzustellen, daß die künftigen Gewinnanteile, die der Kommanditist nach § 167 Abs. 3, § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB zur Auffüllung des negativen Kapitalkontos zu verwenden hat, die in § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG an erster Stelle genannten Gewinnanteile sind (s. oben C I 1 a). Diese sind auf der Grundlage einer aus der Handelsbilanz abgeleiteten Steuerbilanz der Gesellschaft zu ermitteln, in der die in § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG an zweiter Stelle genannten Vergütungen und die übrigen im Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters anfallenden Ertrage und Aufwendungen noch nicht berücksichtigt sind (BFH Urteile in BFHE 128, 213, BStBl II 1979, 757; vom 23. Mai 1979 I R 56/77, BFHE 128, 505, BStBl II 1979, 763). Künftige Ertrage im Sonderbetriebsvermögen des Kommanditisten einschließlich der in § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG an zweiter Stelle genannten Vergütungen, bleiben bei der Prüfung, ob es noch zu einer Verlusthaftung des Kommanditisten mit künftigen Gewinnanteilen kommen wird, außer Betracht.
7. Nicht zuletzt spricht die Rücksicht auf die Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit dafür, an der durch das BFH-Urteil in BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359 begründeten und durch das BFH-Urteil in BFHE 81, 305, BStBl III 1965, 111 eingeschränkten ständigen Anerkennung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten festzuhalten. Der BFH hat sich wiederholt zur Stetigkeit der Rechtsprechung als einem Element der Rechtssicherheit bekannt (Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132, mit weiteren Angaben).
Für die Zukunft ist die Frage der steuerrechtlichen Anerkennung des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten durch § 15 a EStG geregelt, der durch das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545, BStBl I 1980, 589) in das Einkommensteuergesetz eingefügt worden ist. § 15a EStG erkennt das negative Kapitalkonto des Kommanditisten an, verleiht ihm aber nur die Wirkung eines Verlustvortrags. Der Gesetzgeber ist damit einen Weg gegangen der insoweit durch das Handelsrecht vorgezeichnet ist, als das negative Kapitalkonto des Kommanditisten auch handelsrechtlich als Verlustvortrag bezeichnet werden kann (Huber, a. a. O., 283).
In der Vergangenheit hat die bisherige Besteuerungspraxis, gestützt auf die BFH-Urteile in BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359 und in BFHE 81, 305, BStBl III 1965, 111 das negative Kapitalkonto der Kommanditisten grundsätzlich anerkannt. Der Gesetzgeber hat diese Anerkennung in den Übergangsvorschriften zu § 15a EStG für Verluste, die nach dem 31. Dezember 1979 (Neuverluste) in einem vor dem 1. Januar 1980 eröffneten Betrieb (Altbetrieb) entstehen, offensichtlich bestätigen wollen (§ 52 Abs. 20a EStG i. d. F. des Gesetzes vom 20. August 1980).
Diese Übergangsvorschriften würden in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn das negative Kapitalkonto der Kommanditisten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des § 15a EStG nicht anerkannt würde. Der Übergang vom alten Recht zum neuen Recht wäre gestört, wenn für eine kurze Zwischenzeit eine dritte Lösung - die Nichtanerkennung des negativen Kapitalkontos der Kommanditisten entsprechend dem Anrufungsbeschluß des IV. Senats - gelten wurde.
II. Rechtsfrage Nr. 2.
1. Im Zuge der Liquidation der Gesellschaft fallt das negative Kapitalkonto des Kommanditisten weg (§ 167 Abs. 3 HGB). An dem Abwicklungsgewinn, der sich aus einem Vergleich der letzten Jahresbilanz mit der Liquidationsschlußbilanz nach Auflösung der stillen Reserven ergibt und der nach dem Schlüssel für die Verteilung des Jahresgewinns auf die Gesellschafter zu verteilen ist (BGH-Urteil vom 17. November 1955 II ZR 42/54, JZ 1956, 219), nimmt auch der Kommanditist teil und hat den auf ihn entfallenden Gewinnanteil zur Deckung seines vorhandenen negativen Kapitakontos zu verwenden (§ 169 Abs. 1 Satz 2 HGB). Ein danach noch verbleibendes negatives Kapitalkonto des Kommanditisten in der Liquidationsschlußbilanz fällt weg, da der Kommanditist an einem aus der Liquidationsschlußbilanz sich ergebenden Verlust nur bis zum Betrag seines Kapitalanteils und seiner noch rückständigen Einlage teilnimmt (§ 167 Abs. 3 HGB). Den übersteigenden Verlust und damit das negative Kapitalkonto des Kommanditisten haben die persönlich haftenden Gesellschafter ohne Beschränkung und die übrigen Kommanditisten bis zum Betrag ihrer Kapitalanteile und ihrer noch rückständigen Einlagen zu tragen. Die Verteilung erfolgt nach dem Verhältnis, das dem für die Verteilung eines Jahresverlustes geltenden Schlüssel entspricht. Die Erwägungen, die den BGH veranlaßt haben, die Verteilung des Abwicklungsgewinns nach dem für die Verteilung des Jahresgewinns geltenden Schlüssel vorzunehmen (BGH-Urteil II ZR 42/54), treffen auch hier zu.
2. Beim Wegfall eines negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten ergibt sich in Höhe dieses Kapitalkontos ein steuerpflichtiger Gewinn des Kommanditisten. Mit der steuerrechtlichen Anerkennung der Verlustverteilung auf den Kommanditisten beim Vorhandensein eines negativen Kapitalkontos ist auch die Entscheidung für die Entstehung eines steuerpflichtigen Gewinns bei Wegfall des negativen Kapitalkontos gefallen. Dieser steuerpflichtige Gewinn ist eine rechtlich notwendige Folge aus der früheren Verlustzurechnung. Für die Gesellschafter, auf die das negative Kapitalkonto zu verteilen ist, bedeutet dies - auch steuerrechtlich - einen Verlust.
Diese Grundsätze gelten nicht nur im Fall der gesellschaftsrechtlichen Auflösung, sondern auch dann, wenn eine Gesellschaft ihre werbende Tätigkeit tatsächlich eingestellt hat.
III. Zur Rechtsfrage Nr. 3.
1. Handelsrechtlich fällt das negative Kapitalkonto des Kommanditisten in dem Zeitpunkt weg, für den die Liquidationsschlußbilanz aufgestellt wird. Da für die Art der Auseinandersetzung nach Auflösung der Gesellschaft weitgehend Vertragsfreiheit herrscht (§§ 145, 158, 161 HGB) und andererseits steuerrechtlich der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn der Gesellschaft zu ermitteln ist (§ 16 EStG), ist, wie der IV. Senat im Anrufungsbeschluß ausführt, steuerrechtlich auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Gesellschaft ihren Gewerbebetrieb im ganzen veräußert oder aufgibt. Die auf diesen Zeitpunkt aufzustellende Schlußbilanz zur Ermittlung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns tritt an die Stelle der handelsrechtlichen Liquidationsschlußbilanz.
Auf den Zeitpunkt der Löschung der Firma im Handelsregister kommt es nicht an.
2. Soweit allerdings vor Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs durch die Gesellschaft feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt, fällt das negative Kapitalkonto des Kommanditisten steuerrechtlich schon zu diesem Zeitpunkt weg. Die Gründe dafür und die Rechtswirkungen für die anderen Gesellschafter sind die gleichen, wie sie oben unter C. l. 6. und C. II. 2. dargelegt sind.
IV. Zur Rechtsfrage Nr. 4.
In den Fällen, in denen das negative Kapitalkonto des Kommanditisten bei Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs durch die Gesellschaft wegfällt (oben C. III. 1.), ist dieser Gewinn ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn (§ 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 34 EStG). Denn er hat seine Ursache in der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs durch die Gesellschaft.
In den Fällen, in denen das negative Kapitalkonto des Kommanditisten schon früher wegfällt, weil ein Ausgleich mit künftigen Gewinnanteilen nicht mehr in Betracht kommt (oben C. III. 2.), ist der Gewinn durch Wegfall des negativen Kapitalkontos ein laufender Gewinn. Denn ihm fehlt ein ursächlicher Zusammenhang mit der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs der Gesellschaft (§ 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG) oder mit der Veräußerung oder Aufgabe des Anteils eines Gesellschafters und Unternehmers (Mitunternehmers - § 16 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 EStG -).
V. Der Große Senat entscheidet somit die vorgelegten Rechtsfragen wie folgt:
1. Einem Kommanditisten, dessen gesellschaftsrechtliche Stellung sich im Innen- und Außenverhältnis nach den Vorschriften des HGB, insbesondere des § 167 Abs. 3 HGB, bestimmt, ist ein Verlustanteil, der nach dem allgemeinen Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel der KG auf ihn entfällt, einkommensteuerrechtlich auch insoweit zuzurechnen, als er in einer den einkommensteuerrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften entsprechenden Bilanz der KG zu einem negativen Kapitalkonto des Kommanditisten führen würde. Dies gilt nicht, soweit bei Aufstellung der Bilanz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt.
2. Beim Wegfall eines durch einkommensteuerrechtliche Verlustzurechnung entstandenen negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten ergibt sich in Höhe des negativen Kapitalkontos ein steuerpflichtiger Gewinn des Kommanditisten.
3. Dieser Gewinn entsteht zu dem Zeitpunkt, in dem der Betrieb der KG veräußert oder aufgegeben wird (§ 16 EStG). Soweit jedoch schon früher feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos des Kommanditisten mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt (Nr. 1 Satz 2), ist dieser Zeitpunkt maßgebend.
4. Dieser Gewinn ist in den Fallen der Nr. 3 Satz 1 ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn (§§ 16, 34 EStG), in den Fallen der Nr. 3 Satz 2 ein laufender Gewinn.
Fundstellen
BStBl II 1981, 164 |
BFHE 132, 244 |
BFHE 1981, 244 |