Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine notwendige Beiladung bei Gesamtschuld; Einzelhandelsfilialen in der Regel keine Teilbetriebe
Leitsatz (NV)
1. Erhebt ein Gesamtschuldner gegen einen zusammengefaßten Steuerbescheid Klage, so ist allein auf Grund der Gesamtschuldnerstellung keine notwendige Beiladung der übrigen Gesamtschuldner erforderlich.
2. Bei Einzelhandelsfilialen reichen die äußeren Merkmale - räumliche Trennung, eigenes Personal, eigenes Anlagevermögen, eigene Kassenführung, eigener Kundenstamm - nicht aus, um die einzelne Filiale als Teilbetrieb zu werten. Die hier notwendige Selbständigkeit gegenüber der Zentrale muß sich - zur Abgrenzung gegenüber der unselbständigen Verkaufsstelle, die regelmäßig dieselben äußeren Merkmale aufweist - auch in der auf der internen Unternehmensorganisation beruhenden Führung der Geschäfte der Filiale ausdrücken. Erschöpft sich diese Geschäftsführung in der Durchführung des Verkaufs der von der Zentrale zugewiesenen Waren und einer eigenen Kassenführung, so fehlt der Filiale die notwendige Eigenständigkeit. Darüber hinaus ist ein Einzelhandelsbetrieb ohne eigene Einkaufsbeziehungen für sich nicht lebensfähig (Anschluß an BFH-Urteil in BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690).
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1; FGO §§ 48, 60 Abs. 3, § 155 Abs. 3; AO 1977 § 184 Abs. 1 S. 3
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist einer der beiden Erben nach seinem im Jahre 1980 verstorbenen Vater (V). Dieser war Inhaber eines Lebensmittelgroß- und -einzelhandels. Letzteren betrieb er in 22 Filialen. Innerhalb der Buchführung des Gesamtunternehmens des V wurden die Bareinnahmen und -ausgaben (= Kassenvorgänge) der einzelnen Filialen jeweils getrennt aufgezeichnet. Auch die Geschäftsausstattung der einzelnen Filialen war getrennt gebucht. Ob auch deren Warenbestand getrennt erfaßt und eine getrennte Ergebnisrechnung der Filialen durchgeführt wurde, ist nicht bekannt. Die Finanzbuchhaltung war einheitlich für den Gesamtbetrieb.
Mit Kaufvertrag vom . . . veräußerte V die 22 Filialen zum 1. Februar 1978 an die Firma X. Diese hatte für die Übertragung der Mietverträge, die Geschäftsausstattung und -einrichtung und den Warenbestand . . . DM zu zahlen. X übernahm auch die Arbeits- und Anstellungsverträge für das Personal der Filialen; die weitere Verwendung des Namens V war ausgeschlossen. Der Gewinn des V aus der Veräußerung der 22 Filialen betrug . . . DM.
Die Filiale im Stammhaus des Unternehmens wurde zunächst von V im Rahmen seines Unternehmens, später von einer GmbH weiterbetrieben. Zu diesem Zweck hatten V und der Kläger mit notariell beurkundetem Vertrag vom 25. Juli 1978 durch Mantelkauf die Anteile einer GmbH erworben und diese in ,,V"-GmbH (GmbH) umbenannt. Die GmbH-Bilanz zum 31. Dezember 1978 weist per 15. März ein Anlagevermögen von 0 DM und danach Zugänge von . . . DM aus.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte V zunächst nach Erklärung zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1978. Das FA behandelte dabei den Gewinn aus dem Verkauf der 22 Filialen als Veräußerungsgewinn i. S. der §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und ließ ihn gewerbesteuerfrei. Die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheide sind sowohl an den Kläger als auch an seine Schwester - jeweils als Gesamtrechtsnachfolger - ergangen. Nach einer Außenprüfung änderte das FA die Bescheide. Es versagte nunmehr die Steuervergünstigung nach §§ 16, 34 EStG und unterwarf den erzielten Gewinn der Gewerbesteuer. Die Bescheide ergingen gegen den Kläger als Rechtsnachfolger des V. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Veräußerung des Teilbetriebs Einzelhandel erfülle die Voraussetzungen des § 16 EStG. Das Zurückbehalten einer Filiale im Stammhaus stehe dem nicht entgegen. Sie sei in die am 1. Juli 1978 zwischen ihm und V gegründete GbR eingebracht und mit dieser auf die GmbH übertragen worden. V habe am 10. Juli 1978 die Verkaufstätigkeit in dieser Filiale aufgegeben.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage hinsichtlich der Einkommensteuer stattgegeben und sie hinsichtlich des Gewerbesteuermeßbetrags abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, Teilbetrieb werde in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) als ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig sei, definiert, wobei die Rechtsprechung vornehmlich auf die funktionale Verselbständigung des Betriebsteils abstelle, nicht auf die quantitative Zusammenballung bei der Aufdeckung stiller Reserven. Maßgebend sei im Hinblick auf die Veräußerungsobjekte Betrieb, Teilbetrieb, Gesellschaftsanteil an einer Personengesellschaft, ob die Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit von außen für einen Dritten erkennbar sei. Es komme für die Begriffsbestimmung des Teilbetriebs auf dessen äußere Abgrenzungsmerkmale, nicht auf die interne Organisation, getrennte Buchführung, getrennte Finanzierung etc. an. Danach erfüllten die von V veräußerten Filialen jede für sich den Begriff des Teilbetriebs. Sie seien örtlich getrennte Betriebsteile, die unter Einsatz verschiedenen Personals geführt worden seien. Jede Filiale habe ihr eigenes Anlagevermögen besessen. Außerdem dürfte sie ihren eigenen Kundenstamm gehabt haben. Daß alle Filialen durch den einheitlichen Firmennamen V als Teil des Gesamtbetriebs erschienen seien, falle nicht entscheidend ins Gewicht. Der Gewinn aus der Veräußerung der einzelnen Teilbetriebe sei gewerbesteuerpflichtig. Nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sei Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des EStG zu ermittelnde Gewinn. Dieser enthalte auch den Gewinn aus der Veräußerung der Filialen. Eine Rechtsgrundlage, in Abweichung vom Wortlaut des Gesetzes diesen Gewinn unberücksichtigt zu lassen, sei nicht vorhanden.
Auf Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch das FG haben sowohl das FA wie auch der Kläger Revisionen eingelegt.
Das FA rügt Verletzung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Es trägt im wesentlichen vor, nach der Rechtsprechung des BFH sei für die Annahme eines Teilbetriebs das Gesamtbild der Verhältnisse entscheidend, wobei die einzelnen Abgrenzungsmerkmale unterschiedliches Gewicht hätten, je nachdem, ob es sich um einen Fertigungs-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb handle. Einzelhandelsfilialen seien grundsätzlich nur dann ein Teilbetrieb, wenn ihnen der Wareneinkauf obliege oder wenn sie bei einer zentralen Einkaufsorganisation auf die Preisgestaltung Einfluß nehmen könnten. Selbst wenn der streitige Gewinn als Veräußerungsgewinn zu qualifizieren sei, gehöre er gleichwohl zum Gewerbeertrag.
Der Kläger trägt im wesentlichen vor, die Gewerbesteuer erfasse als Objektsteuer nur den werbenden Betrieb. Deshalb seien bei der Ermittlung des Gewerbeertrags die Gewinnteile auszuscheiden, die nicht aus der werbenden Tätigkeit des Betriebs erzielt wurden. Selbst wenn man nicht jede der Filialen als Teilbetrieb einordne, so stellten jedenfalls die Filialbetriebe insgesamt einen Teilbetrieb dar. Da die Filiale im Stammhaus im Juli 1978 auf die GmbH übertragen worden sei, sei spätestens zu diesem Zeitpunkt der Teilbetrieb ,,Lebensmitteleinzelhandel" insgesamt ausgegliedert worden. Der Abwicklungszeitraum von rd. 5 ‹ Monaten liege unterhalb des durch die BFH-Rechtsprechung entwickelten kurzen Aufgabezeitraums von 6 Monaten.
Entscheidungsgründe
1. Die Vorentscheidung ist nicht schon von Amts wegen aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Zutreffend hat das FG die Notwendigkeit einer Beiladung der Schwester des Klägers gemäß § 60 Abs. 3 FGO als Miterbin nach dem verstorbenen V verneint. Der Kläger und seine Schwester waren als Gesamtrechtsnachfolger des V Gesamtschuldner sowohl der Einkommensteuer wie auch der Gewerbesteuer des V (§ 45 der Abgabenordnung - AO 1977 - i. V. m. § 2058 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Jeder der Gesamtschuldner wird durch einen Steuerbescheid in Anspruch genommen; diese können zusammengefaßt ergehen (§ 155 Abs. 3, für Gewerbesteuermeßbescheid i. V. m. § 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Da das Gesetz keinen einheitlichen Bescheid gegenüber den Gesamtschuldnern vorsieht und ihnen gegenüber auch verschiedene Entscheidungen denkbar sind (vgl. §§ 421 f. BGB), braucht die Entscheidung ihnen gegenüber nicht einheitlich zu ergehen, wie dies die notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO voraussetzt.
2. Auf die Revisionen des FA und des Klägers wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
a) Einkommensteuer
Die Revision des FA ist begründet, weil das FG zu Unrecht die Veräußerung der Lebensmittelläden als Veräußerung von einzelnen Teilbetrieben i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG beurteilt hat.
Unter einem Teilbetrieb ist ein organisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebs zu verstehen, der für sich allein lebensfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFH-Urteile vom 2. August 1978 I R 78/76, BFHE 126, 24, BStBl II 1979, 15; vom 24. April 1980 IV R 61/77, BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690; vom 3. Oktober 1984 I R 119/81, BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245; vom 23. November 1988 X R 1/86, BFHE 155, 521, BStBl II 1989, 376, und von 14. März 1989 I R 75/85, BFH/NV 1991, 291). Es muß eine Untereinheit des Gesamtbetriebs, ein selbständiger Zweigbetrieb im Rahmen eines Gesamtunternehmens vorliegen (vgl. BFH-Urteile vom 13. Februar 1980 II R 14/77, BFHE 130, 384, BStBl II 1980, 498; in BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245, und in BFHE 155, 521, BStBl II 1989, 378). Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit besitzt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse - beim Veräußerer - zu entscheiden (Urteile in BFHE 130, 384, BStBl II 1980, 498, und vom 15. März 1984 IV R 189/81, BFHE 140, 563, BStBl II 1984, 486). Den Abgrenzungsmerkmalen - z. B. räumliche Trennung vom Hauptbetrieb, gesonderte Buchführung, eigenes Personal, eigene Verwaltung, selbständige Organisation, eigenes Anlagevermögen, ungleichartige betriebliche Tätigkeit, eigener Kundenstamm - kommt je nachdem, ob es sich um einen Fertigungs-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb handelt, unterschiedliches Gewicht zu. Die Annahme einer gewissen Selbständigkeit von Einzelhandelsfilialen setzt u. a. voraus, daß das dort beschäftigte leitende Personal nicht nur die Waren zu dem von der Zentrale vorgeschriebenen Preis verkauft, sondern beim Wareneinkauf und bei der Preisgestaltung mitwirkt (Urteile in BFHE 126, 24, BStBl II 1979, 15; vom 12. September 1979 I R 146/76, BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51, und in BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690). Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Er vermag nicht der Auffassung des FG zu folgen, daß die Gestaltung der internen Organisation für die Abgrenzung ungeeignet sei, weil sie durch den Unternehmer kurzfristig abgeändert werden könne. Abgesehen davon, daß der Unternehmer auch vom FG als ausschlaggebend angesehene äußere Merkmale wie den Einsatz verschiedenen Personals und die Ausstattung mit eigenem Anlagevermögen ,,manipulieren" kann, ist der Besteuerung der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen. Hierbei ist für Fälle der vorliegenden Art regelmäßig von der Unternehmensstruktur auszugehen, wie sie auf Dauer angelegt ist.
Bei Einzelhandelsfilialen reichen die vom FG aufgezeigten äußeren Merkmale - räumliche Trennung, eigenes Personal, eigenes Anlagevermögen, eigene Kassenführung, eigener Kundenstamm - nicht aus, um die einzelne Filiale als Teilbetrieb zu werten. Die hier notwendige Selbständigkeit gegenüber der Zentrale muß sich - zur Abgrenzung gegenüber der unselbständigen Verkaufsstelle, die regelmäßig dieselben äußeren Merkmale aufweist - auch in der auf der internen Unternehmensorganisation beruhenden Führung der Geschäfte der Filiale ausdrücken. Erschöpft sich diese Geschäftsführung in der Durchführung des Verkaufs der von der Zentrale zugewiesenen Ware und einer eigenen Kassenführung, so fehlt der Filiale die notwendige Eigenständigkeit. Darüber hinaus ist ein Einzelhandelsbetrieb ohne eigene Einkaufsbeziehungen für sich nicht lebensfähig (vgl. BFH-Urteil in BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690).
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG allerdings entscheiden, daß die verkauften 22 Filialen nur unselbständige Verkaufsstellen waren; denn Wareneinkauf und Warenbelieferung erfolgten zentral und die einzelne Filiale kalkulierte nicht eigenständig. Ihr fehlte mithin die erforderliche Selbständigkeit. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Filialen insgesamt - möglicherweise im Hinblick auf die räumliche Verbindung mit dem Hauptbetrieb ausschließlich der dort befindlichen Filiale - die Merkmale eines Teilbetriebs erfüllten. Dazu gehört außer einer organisatorischen Verbundenheit der einzelnen Filialen, daß sich der Einzelhandel in der internen Organisation des Gesamtunternehmens des V von der übrigen gewerblichen Tätigkeit deutlich abhob. Insoweit könnte den getrennten Aufzeichnungen von Bareinnahmen und -ausgaben der Filialen sowie der besonderen Erfassung des Anlagevermögens der Filialen Bedeutung zukommen. Die Sache wird an das FG zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Dabei wird für den Fall, daß auch die beim Stammhaus befindliche Filiale einem Teilbetrieb Einzelhandel zuzuordnen wäre, das FG auch zu prüfen haben, ob insoweit eine Betriebsaufgabe anzunehmen ist.
b) Gewerbsteuer
Auf die Revision des Klägers ist die Vorentscheidung aufzuheben, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichen, um beurteilen zu können, ob eine Teilbetriebsveräußerung gegeben ist. Ist sie anzunehmen, so unterliegt der Gewinn daraus nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, an der der Senat festhält, nicht der Gewerbesteuer (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1987 IV R 93/85, BFHE 151, 181, BStBl II 1988, 374, und in BFHE 155, 521, BStBl II 1989, 376 m. w. N.). Die Sache wird zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen und zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen