Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Nebenberufliche Lehrkräfte an Abendschulen und bei Fachlehrgängen sind in der Regel insoweit nicht Arbeitnehmer.
Unter welchen Voraussetzungen ist Lehrtätigkeit eine wissenschaftliche Tätigkeit?
Für die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG 1955 ist nicht zwischen Einkünften aus einer Haupt- oder Nebentätigkeit zu unterscheiden. Der Senat tritt insoweit der Entscheidung des IV. Senats des Bundesfinanzhofs IV 146/57 U vom 24. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 389, Slg. Bd. 67 S. 297) nicht bei.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 19/1, § 34 Abs. 4
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Diplomingenieur und mit dem Titel Oberbaurat hauptamtlicher Dozent an der Staatlichen Ingenieurschule in D., die vom Lande X. unterhalten wird. Aus dieser Tätigkeit hatte er im Streitjahr 1955 Bezüge von 14.652 DM, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen haben. Außerdem war er 1955 Vortragender an der Technischen Abendschule in D. Seine Vortragstätigkeit dort erstreckte sich auf etwa 600 Stunden; das Honorar betrug etwa 8 DM je Stunde. Die Abendschule wird von einem Verein getragen, dessen Mitglieder vor allem interessierte Wirtschaftskreise sind. Besucher der Abendschule sind hauptsächlich Facharbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung, zum Beispiel Elektriker oder Schlosser. Sie können nach dem Studium von sechs Semestern eine Abschlußprüfung mit Diplom ablegen und bezeichnen sich dann gewöhnlich als Techniker. An der Abendschule finden auch andere Lehrgänge statt, zum Beispiel für Absolventen der Ingenieurschule. Die Vortragenden an der Abendschule werden zu Beginn jedes Semesters beauftragt; sie haben, wenn sie Vorträge gehalten haben, keinen Anspruch darauf, später wieder herangezogen zu werden. Die Dozenten der Ingenieurschule sind nicht verpflichtet, auch an der Abendschule Vorträge zu halten; die Tätigkeit an der Abendschule ist freiwillig. Der Bf. hat Reihen von Vorträgen und übungen aus seinem Lehrgebiet, nämlich Elektrotechnik und Regelungstechnik unter Einbeziehung der dazugehörigen Gebiete der höheren Mathematik, gehalten. Er hat bei der Abendschule eine zweite Lohnsteuerkarte vorgelegt; der Steuerabzug wurde vorgenommen.
Das Finanzamt veranlagte den Bf. für 1955, weil er in mehreren Dienstverhältnissen gestanden habe (§ 46 Abs. 1 Ziff. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1955). In diesem Verfahren beantragte der Bf., seine Bezüge aus der Abendschule als Nebeneinkünfte aus selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit nach dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 4 EStG 1955 zu besteuern. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus: Der Bf. sei wohl Arbeitnehmer der Abendschule gewesen. Er sei in den Lehrbetrieb eingegliedert gewesen; sonst wäre bei der großen Zahl von Dozenten und Hörern ein geordneter Schulbetrieb kaum möglich gewesen. Der Bf. sei auch als Arbeitnehmer angesehen worden; denn sonst wäre von seinen Bezügen nicht die Lohnsteuer einbehalten worden. Die Frage, ob der Bf. an der Abendschule Arbeitnehmer gewesen sei, brauche aber nicht abschließend entschieden zu werden; denn jedenfalls sei seine Lehrtätigkeit dort nicht wissenschaftlich im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1955 gewesen. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 73/52 U vom 30. April 1952 (BStBl 1952 III S. 165, Slg. Bd. 56 S. 425) sei eine Tätigkeit nur wissenschaftlich, wenn für ihre Ausübung bei entsprechender Vorbildung eine hochstehende, qualifizierte Tätigkeit entfaltet werde, die mit einer Forschertätigkeit vergleichbar sei; unterrichtende Tätigkeit sei nur begünstigt, wenn sie gleichzeitig wissenschaftliche Tätigkeit sei. Der Bf. sei bei seiner Ausbildung als Diplomingenieur zwar zu wissenschaftlicher Tätigkeit befähigt. Das bedeute aber nicht, daß seine Unterrichts- oder Vortragstätigkeit auf jeden Fall wissenschaftlich sei; die Lehrtätigkeit einer akademisch vorgebildeten Person sei nicht immer wissenschaftlich. Unterrichts- und Vortragstätigkeit seien nur dann eine wissenschaftliche Tätigkeit, wenn sie die Hörer zu wissenschaftlicher Arbeit und zu wissenschaftlichem Denken befähigen sollten, wie das zum Beispiel bei Universitäten und Technischen Hochschulen der Fall sei. Die Tätigkeit des Bf. an der Abendschule erfülle diese Voraussetzungen nicht. Die Hörer seien überwiegend befähigte Facharbeiter gewesen, die durch den Besuch der Vortragskurse in die Lage versetzt werden sollten, eingehende theoretische Kenntnisse auf technischem Gebiet und dadurch eine bessere Stellung zu erwerben. Es handele sich überwiegend um die Fortbildung zu praktischen Berufen und nicht zu solchen, die gegebenenfalls auch zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit führen könnten. Ob nach diesen Gesichtspunkten die Vortragstätigkeit an einer Volkshochschule eine wissenschaftliche Tätigkeit sei, erscheine zweifelhaft, brauche aber hier nicht entschieden zu werden. Sei aber die Tätigkeit des Bf. an der Abendschule nicht wissenschaftlich, so habe das Finanzamt mit Recht die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG 1955 abgelehnt. Deshalb bedürfe es nicht der weiteren Prüfung, ob bei dem Umfang der Tätigkeit nicht nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 146/57 U vom 24. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 389, Slg. Bd. 67 S. 297) die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 4 EStG 1955 entfalle, weil keine Nebentätigkeit vorliege.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) erstrebt der Bf. weiterhin für die Einkünfte aus der Abendschule die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG 1955.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Nach § 34 Abs. 4 EStG 1955 werden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG nicht begünstigt. Das Finanzgericht neigt dazu, die Einkünfte des Bf. aus der Abendschule als Einkünfte im Sinne des § 19 EStG anzusehen. Dieser Auffassung ist nicht beizutreten. Arbeitnehmer ist, wer in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 3 Satz 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung). Ob ein Steuerpflichtiger Arbeitnehmer ist, muß im einzelnen Fall unter Abwägung aller Gesichtspunkte entschieden werden. Bei der Ingenieurschule ist der Bf. Arbeitnehmer. Hinge seine Lehrtätigkeit an der Abendschule so eng mit der Lehrtätigkeit an der Ingenieurschule zusammen, daß sie ein Teil dieser Tätigkeit wäre, so wären die Bezüge aus der Abendschule ebenfalls solche aus nichtselbständiger Arbeit. Ein solcher Zusammenhang liegt aber offensichtlich nicht vor. Das Finanzgericht hat die Tätigkeit an der Abendschule gesondert beurteilt und hat sie vor allem deshalb als unselbständig angesehen, weil der Bf. zeitlich und mit seinem Lehrgegenstand in die Schulordnung eingegliedert gewesen sei. Stellt man darauf ab, so wäre fast jede nebenberufliche Lehrtätigkeit unselbständig; denn ohne Organisation und Planung können Schulen nicht geführt werden. Wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 101/56 U vom 17. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 360, Slg. Bd. 67 S. 223) ausgeführt ist, nehmen die Steuergerichte und die Verwaltungsbehörden an, daß nebenberufliche Einkünfte in der Regel solche aus selbständiger Tätigkeit sind, es sei denn, daß die Bezieher der Nebeneinkünfte für längere Zeit und in stärkerem Umfang an die Stelle, für die sie nebenberuflich tätig sind, gebunden sind. Das Urteil IV 101/56 U hat deshalb einen Rechtsanwalt, der als Lehrbeauftragter an einer Hochschule lehrte, für selbständig gehalten. Im gleichen Sinn sind in der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 1416/29 vom 4. September 1929 (RStBl 1930 S. 105) Dozenten einer Verwaltungsakademie, die nicht zu den Stammlehrern gehörten, als selbständig behandelt worden.
Die Stellung des Bf. an der Abendschule war, im ganzen betrachtet, die eines freiwilligen Mitarbeiters, der jeweils für ein Semester berufen wurde. Er übte eine gehobene Tätigkeit aus, bei der er in den wesentlichen Punkten, nämlich der Gestaltung der Vorträge, der Auswahl des Lehrstoffs usw., keiner Weisung der Schulaufsicht unterworfen war. Er hatte bei der Abendschule auch nicht die Vorteile, die üblicherweise Arbeitnehmer haben, zum Beispiel Anspruch auf bezahlten Urlaub und auf Beteiligung des Arbeitgebers an den Beiträgen zur Sozialversicherung. Diese Gesichtspunkte sind entscheidend. Wollte man bei Nebentätigkeiten der vorliegenden Art im allgemeinen ein Arbeitsverhältnis annehmen und infolgedessen grundsätzlich den Arbeitgeber zum Steuerabzug verpflichten, so entstünden daraus auch erhebliche Schwierigkeiten. Die Finanzverwaltungsbehörden haben darum für die meisten dieser Fälle auf den Lohnsteuerabzug verzichtet und im Rahmen von § 46 EStG die Veranlagung mit den Bezügen nebenamtlicher Lehr- und Prüfungstätigkeit angeordnet (Abschn. 151 Abs. 2 bis 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1955). Mit dem Umstand, daß in Grenzfällen der Steuerabzug zu Unrecht tatsächlich vorgenommen worden ist, kann allein die Unselbständigkeit nicht begründet werden. Nach allem ist anzunehmen, daß der Bf. bei der Tätigkeit an der Abendschule nicht Arbeitnehmer, sondern selbständig Tätiger war.
Das Finanzgericht lehnt die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG 1955 ab, weil die Tätigkeit des Bf. an der Abendschule keine wissenschaftliche Tätigkeit gewesen sei. Es will als wissenschaftliche Lehrtätigkeit im wesentlichen nur die Lehrtätigkeit an Universitäten und Technischen Hochschulen ansehen, weil dort wissenschaftlich vorgebildete Hörer durch die Lehrtätigkeit zu eigener wissenschaftlicher, der Forschung ähnlicher Tätigkeit befähigt werden sollten. Das ist mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht zu vereinbaren. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 73/52 U vom 30. April 1952 (BStBl 1952 III S. 165, Slg. Bd. 56 S. 425), auf die sich das Finanzgericht gestützt hat, faßt den Begriff weiter. Damals handelte es sich um einen Steueramtmann a. D., der an einer Volkshochschule Vorträge über Fragen der Entwicklung des Steuerwesens und des betrieblichen Rechnungswesens gehalten hatte. Der Bundesfinanzhof bejahte eine wissenschaftliche Lehrtätigkeit, obgleich der Vortragende nicht akademisch vorgebildet war, sondern seine Kenntnisse durch Selbststudium erworben hatte. Entscheidend war damals, daß die Vorträge einen wissenschaftlichen Charakter hatten und einen Stoff behandelten, wie er auch an Hochschulen gelehrt wird; ferner, daß der Vortragende in der Lage war, seine Vorträge in der für wissenschaftliche Vorträge angemessenen qualifizierten Form zu halten. Der Vorbildung der Hörer und der Frage, ob die Hörer durch die Vorträge die Fähigkeit zu eigener wissenschaftlicher Tätigkeit oder Forschung erhalten sollten, wurde keine Bedeutung beigemessen. Der Senat hat in der Entscheidung VI 36/55 U vom 14. März 1958 (BStBl 1958 III S. 255, Slg. Bd. 66 S. 662) ausgesprochen, der Begriff "wissenschaftliche Tätigkeit" in § 34 EStG sei weit auszulegen. Es wäre in der Tat wenig sinnvoll, einerseits den Begriff schriftstellerische Tätigkeit, wie es allgemein geschieht, weit auszulegen (vgl. dazu Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 6. Aufl. 1959, Anm. 21 zu § 34 EStG) und andererseits an den Begriff wissenschaftliche Tätigkeit allzu strenge Anforderungen zu stellen. Damit würden Begriffe, die § 34 Abs. 4 EStG 1955 nebeneinander anführt, ohne Notwendigkeit sehr verschieden ausgelegt. Es ist dem Finanzgericht zuzugeben, daß eine unterrichtende Tätigkeit nicht ohne weiteres eine wissenschaftliche Tätigkeit ist; selbst dann nicht, wenn sie von einem akademisch Vorgebildeten ausgeübt wird. Es kommt auf die Umstände des einzelnen Falles an, vor allem auf den Stoff und die Form der Darbietung. Gibt zum Beispiel ein Diplomkaufmann an einer Schule Unterricht über Kurzschrift und die Grundzüge der Technik kaufmännischer Buchführung, so handelt es sich nicht um wissenschaftliche Tätigkeit, sondern um die Vermittlung mehr handwerklicher und technischer Fertigkeiten.
Der Bf. behandelte in seinen Vorträgen und übungen einen Stoff, der auch an Technischen Hochschulen und an der Ingenieurschule behandelt wird; die Vorbildung des Bf. und sein Beruf als Dozent bieten Gewähr, daß seine Vorträge nach Gegenstand, Form und Niveau wissenschaftlich waren. Unter diesen Voraussetzungen sind, wie gegenüber den Bedenken des Finanzgerichts festgestellt sei, auch Vorträge an Volkshochschulen, Verwaltungsakademien usw. wissenschaftlich. Die Vorbildung der Hörer und das Ziel, die Hörer zu wissenschaftlicher Tätigkeit zu befähigen, sind nicht wesentlich; auch nicht, ob die Hörer mit dem Studium in erster Linie eine Besserung ihrer sozialen Lage erstreben. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts ist also die Lehrtätigkeit des Bf. an der Abendschule als wissenschaftliche Tätigkeit zu würdigen.
Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat in der Entscheidung IV 146/57 U vom 24. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 389, Slg. Bd. 67 S. 297), die das Finanzgericht erwähnt, ausgesprochen, daß nach § 34 Abs. 4 EStG 1955 nur Einkünfte aus Nebentätigkeiten begünstigt würden; für Einkünfte aus einer (zweiten) hauptberuflichen Tätigkeit werde die Vergünstigung nicht gewährt. Die entgegenstehende Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 193/50 U vom 6. April 1951 (BStBl 1951 III S. 106, Slg. Bd. 55 S. 274) hat der IV. Senat aufgegeben. Ob eine Tätigkeit Haupt- oder Nebentätigkeit ist, soll nach dem Umfang der aufgewandten Arbeit bestimmt werden. Welche Bedeutung für die Abgrenzung von Haupt- oder Nebentätigkeit die Höhe der Einkünfte aus der zweiten Tätigkeit hat, ist zweifelhaft; ebenso ob entscheidend war, daß der Steuerpflichtige Pensionär war (vgl. Dr. Ga., Der Betriebs- Berater 1958 S. 1047). Gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 146/57 U sind manche Bedenken erhoben worden (vgl. Brockhoff, Deutsche Steuer-Zeitung (A) 1958 S. 376; Hoffmann bei Loepelmann, Besprechungen von Urteilen, Beschlüssen und Gutachten des Bundesfinanzhofs, und vor allem Vangerow in Steuer und Wirtschaft 1959 Sp. 261 ff. mit weiteren Angaben; dem Urteil zustimmend Grass in Steuerberater-Jahrbuch 1958/1959 S. 178).
Der erkennende Senat tritt der Rechtsauffassung des IV. Senats nicht bei. Der Wortlaut des § 34 Abs. 4 EStG 1955 unterscheidet, wie bereits im Urteil IV 193/50 U a. a. O. betont ist, nicht zwischen Haupt- und Nebentätigkeit; er spricht von Nebeneinkünften aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, die Arbeitnehmer (§ 19 EStG) oder Angehörige eines freien Berufs (§ 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG) beziehen. Die Begriffe "Nebeneinkünfte" und "Einkünfte aus einer Nebentätigkeit" besagen nicht dasselbe. Das Gesetz selbst begrenzt die Begünstigung in mehrfacher Hinsicht: Erstens müssen die Einkünfte aus nichtselbständiger oder selbständiger Arbeit die übrigen Einkünfte überwiegen. Die zweite Einschränkung ergibt sich daraus, daß die Nebeneinkünfte nur bis zur Höhe von 50 v. H. der Einkünfte im Sinne der §§ 18 Abs. 1 Ziff. 1 und 19 EStG begünstigt werden. Die dritte Einschränkung besteht darin, daß die Nebeneinkünfte "von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sein" müssen.
übt der Steuerpflichtige einen Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aus, so sind Einkünfte aus Tätigkeiten, die üblicherweise zu den Aufgaben dieses Berufs gehören, nicht begünstigt. Deshalb hat die Rechtsprechung folgende Einkünfte nicht begünstigt: Honorare aus Rechtsgutachten eines Rechtsanwalts (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 263/53 U vom 5. November 1953, BStBl 1953 III S. 371, Slg. Bd. 58 S. 209); Vergütungen für medizinische Gutachten von ärzten (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 141/55 U vom 5. Juli 1956 - BStBl 1956 III S. 300, Slg. Bd. 63 S. 266 -; IV 104/57 U vom 16. Januar 1958 - BStBl 1958 III S. 205, Slg. Bd. 66 S. 535 -; IV 88/56 U vom 19. April 1956 - BStBl 1956 III S. 187, Slg. Bd. 62 S. 501 -); Honorare eines angestellten Schriftleiters, der vertraglich zu schriftstellerischer Tätigkeit verpflichtet war (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 23/55 U vom 12. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 251, Slg. Bd. 63 S. 140).
Die Rechtsprechung hat ferner allgemein Einkünfte nicht als Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1955 anerkannt, die ein Steuerpflichtiger bei Ausübung eines Berufes im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erzielt hat. übt ein Steuerpflichtiger, ob allein oder neben einer anderen Tätigkeit, zum Beispiel den Beruf eines Arztes, Rechtsanwalts, Wirtschaftsprüfers, Steuerberaters oder dergleichen aus, so genießt er für die dabei erzielten Einkünfte nicht die Vergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG 1955 (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 171/55 U vom 6. Dezember 1956 - BStBl 1957 III S. 129, Slg. Bd. 64 S. 338 -; VI 48/55 U vom 3. Mai 1957 - BStBl 1957 III S. 227, Slg. Bd. 64 S. 604 -). Deshalb ist dem angestellten Chefarzt eines Krankenhauses (Arbeitnehmer) die Steuervergünstigung nicht für die Einkünfte als selbständiger Fachchirurg gewährt worden; denn die Chirurgie ist ärztliche Tätigkeit (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 245/56 U vom 21. Juni 1956, BStBl 1956 III S. 247, Slg. Bd. 63 S. 130). Steuerpflichtige, die einen Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ausüben, treten gewöhnlich wirtschaftlich in Wettbewerb mit anderen Berufsträgern. Es würde der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen, einigen Berufsangehörigen für bestimmte Einkünfte Steuerermäßigung zu gewähren und die anderen Berufsangehörigen mit denselben Einkünften voll zu besteuern. Ob ein Steuerpflichtiger einen Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ausübt, ist leicht festzustellen, wenn es sich um Berufe mit bestimmten Zulassungsvoraussetzungen handelt, also zum Beispiel um die Berufe als Rechtsanwalt, Arzt, Wirtschaftsprüfer usw. Bestehen wie bei manchen neueren freien Berufen solche Voraussetzungen für die Berufsausübung nicht, so muß im einzelnen Fall festgestellt werden, ob der Steuerpflichtige eine Tätigkeit ausübt, die üblicherweise als freier Beruf ausgeübt wird. Der Senat nimmt an, daß im Fall der Entscheidung IV 146/57 U a. a. O. der Steuerpflichtige den üblichen Beruf eines Betriebsberaters und Betriebsorganisators ausübte.
Wird § 34 Abs. 4 EStG 1955 in dieser Weise einengend ausgelegt, so besteht - abgesehen davon, ob der Wortlaut der Bestimmung das überhaupt zulassen würde - kein Bedürfnis, noch weiter zwischen Haupt- und Nebentätigkeit zu unterscheiden. Am Schluß der Entscheidung IV 146/57 U a. a. O. wird ausgeführt, daß, wenn man die Unterscheidung nicht mache, zum Beispiel ein angestellter Arzt oder Syndikus für die Einkünfte aus daneben ausgeübter Tätigkeit als selbständiger Arzt oder Rechtsanwalt die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG 1955 verlangen könnte. Für solche Fälle war aber in den Entscheidungen IV 171/55 U a. a. O., IV 245/56 U a. a. O. und VI 48/55 U a. a. O. die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG 1955 bereits abgelehnt worden, ohne daß zwischen Haupt- und Nebentätigkeit unterschieden wurde. Haupt- und Nebentätigkeit kann man auch kaum gegeneinander abgrenzen (vgl. dazu Brockhoff in Der Betriebs-Berater 1958 S. 588). Welchen Umfang die Tätigkeit eines Steuerpflichtigen hat, ist schwer festzustellen. Der Umfang müßte gewöhnlich aus der Höhe der Einkünfte abgeleitet werden. Welchen Einfluß aber die Höhe der Einkünfte bei Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG 1955 haben soll, hat das Gesetz selbst festgelegt. Wollte man den Umfang der Tätigkeit maßgebend sein lassen, so könnte das auch zur steuerlichen Benachteiligung der Fleißigen und Strebsamen führen, die der Gesetzgeber durch § 34 Abs. 4 EStG 1955 aber offenbar begünstigen wollte. Hätte im Streitfall zum Beispiel der Bf. 50 Stunden Vorträge gehalten, so würde das wahrscheinlich als Nebentätigkeit anerkannt werden. Es wäre aber ungerechtfertigt, ihn steuerlich zu benachteiligen, weil er in höherem Masse Zeit und Kraft für eine gute Sache geopfert hat. Der Umfang der Tätigkeit kann im übrigen jahrweise wechseln. Würde der Bf. zum Beispiel in einem Jahr 100 Stunden, im nächsten Jahr 300 Stunden und im übernächsten Jahr 200 Stunden Vorträge halten, so spräche nichts dafür, die Ausübung derselben Tätigkeit in einem Jahr als Nebentätigkeit und im anderen Jahr als Haupttätigkeit zu behandeln. Schließlich hängen die Höhe der Einkünfte und der Umfang der Tätigkeit in einem Jahr nicht immer voneinander ab. Beispiel: Ein Rechtsanwalt schreibt in vierjähriger Arbeit einen Fachkommentar; im Jahr des Erscheinens erhält er ein hohes Umsatzhonorar; in den nächsten Jahren sind die Honorare geringer. Es wäre offensichtlich unrichtig, in einem solchen Fall die Höhe der Einkünfte im Jahr des Erscheinens des Buches mit dem Umfang der Arbeit, die der Autor in diesem Jahr für das Buch geleistet hat, in Beziehung zu setzen. Die Unterscheidung des IV. Senats könnte auch dazu führen, die Tätigkeit eines Pensionärs immer als Haupttätigkeit anzusehen. Es ist aber nicht gerechtfertigt, dieselben Nebeneinkünfte vor und nach der Pensionierung verschieden zu behandeln. Für Nebeneinkünfte eines Pensionärs aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit ist die Vergünstigung nur zu versagen, wenn diese Tätigkeit im Rahmen eines Berufs im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ausgeübt wird, wenn also zum Beispiel ein pensionierter Beamter als Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater usw. tätig wird. So aber lag nach Auffassung des erkennenden Senats der Fall in der Entscheidung IV 146/57 U, so daß auch vom Standpunkt des erkennenden Senats dem Ergebnis des IV. Senats zuzustimmen ist.
Da es auf den Umfang der Tätigkeit nicht ankommt und im übrigen die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 EStG 1955 erfüllt sind, steht dem Bf. für die Nebeneinkünfte aus der Abendschule die Steuerermäßigung zu. Die angefochtene Entscheidung und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts waren wegen unrichtiger Anwendung von § 34 Abs. 4 EStG 1955 aufzuheben. Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung im Einspruchsverfahren an das Finanzamt zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 409365 |
BStBl III 1959, 193 |
BFHE 1959, 504 |
BFHE 68, 504 |