Leitsatz (amtlich)
1. Die Möglichkeit, daß bei einer späteren Betriebsprüfung Aufwendungen für zusätzliche Buchführungsarbeiten entstehen können, rechtfertigt nicht die Bildung von Rückstellungen.
2. Werden bei einer objektiven Klagenhäufung ein Hauptantrag und ein Hilfsantrag gestellt und beruhen diese Anträge auf unterschiedlichen Sachverhalten, dann muß das FG über alle Anträge entscheiden.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3; FGO § 43
Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen für Buchführungsarbeiten im Jahr der Auftragserteilung oder in den Jahren, für die sie vorgenommen wurden, gewinnmindernd zu berücksichtigen sind.
Im Anschluß an eine 1964 durchgeführte Betriebsprüfung für 1959-1962, bei der die Buchführung des Klägers und Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen) für nicht ordnungsmäßig befunden und Gewinnschätzungen für alle Jahre vorgenommen wurden, erließ der Beklagte und Revisionskläger (FA) berichtigte Steuerbescheide für 1959-1961 und einen erstmaligen Steuerbescheid für 1962.
Nach Einspruch gegen diese Bescheide beauftragte der Steuerpflichtige am 1. Dezember 1964 einen anderen Steuerbevollmächtigten, seine steuerlichen Interessen wahrzunehmen und nach den vorhandenen Büchern und Aufzeichnungen eine neue Buchführung für die zurückliegenden Jahre 1959-1964 zu erstellen. Alsdann beantragte er im Rechtsbehelfsverfahren, die durch diese Buchführung ausgewiesenen Gewinne der Besteuerung zugrunde zu legen.
Das FA ließ daraufhin eine neue Betriebsprüfung durchführen, die nunmehr auch 1963 und 1964 erfaßte. Dabei wurde u. a. die vom Steuerpflichtigen vorgenommene Verteilung des Aufwands für die Erstellung der Buchführung von insgesamt 18 014,89 DM auf die Jahre 1959-1964 (1959 1 138,60 DM, 1960 2 204,80 DM, 1961 2 603,40 DM, 1962 3 180 DM, 1963 3 990 DM und 1964 4 898,09 DM) nicht anerkannt. Berücksichtigt wurde nur der Aufwand für 1964, die übrigen Aufwendungen gehörten nach Auffassung der Betriebsprüfung in das folgende Jahr. Dementsprechend erließ das FA eine Einspruchsentscheidung für 1959-1962 und erstmalige Steuerbescheide für 1963 und 1964.
Nach Klageerhebung hiergegen berichtigte das FA wegen anderer Punkte die Einspruchsentscheidung und die beiden Steuerbescheide. Diese Verwaltungsakte wurden zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht und nur noch über die Verteilung der Buchführungskosten auf 1959-1963 gestritten.
Die Klage, mit der beantragt worden war, die Buchführungskosten nach den Ansätzen in der neuen Buchführung auf 1959-1963 zu verteilen oder hilfsweise in voller Höhe in 1964 zu berücksichtigen, hatte Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus:
Die vom Steuerpflichtigen in 1959-1963 gebildeten Rückstellungen seien anzuerkennen. Rückstellungen seien nicht nur bei ungewissen Schuldverbindlichkeiten sondern auch bei selbständig bewertungsfähigen Betriebslasten möglich. Deshalb müßten, auch wenn am Bilanzstichtag noch kein Auftrag für Buchführungsarbeiten erteilt worden sei, die ausstehenden Aufwendungen für eine noch zu erstellende ordnungsmäßige Buchführung als konkrete, abgrenzbare Last des gewerblichen Betriebs angesehen werden. Auch ein Erwerber des Betriebs werde mit Sicherheit die Tatsache, daß eine ordnungsmäßige Buchführung noch nicht angelegt ist und dadurch Aufwendungen verursacht werden, bei der Bemessung des Kaufpreises berücksichtigen. Unerheblich sei hier, daß schon eine Buchführung vorgelegen habe. Diese sei unzulänglich gewesen und hätte deshalb zu hohen Steuernachforderungen für den Betrieb führen können. Ohne Belang sei ferner, daß die neue Buchführung während eines Rechtsbehelfsverfahrens erstellt worden sei; die Aufwendungen seien dennoch für Buchführungsarbeiten gemacht worden.
Auf den Hilfsantrag brauche danach nicht mehr eingegangen zu werden. Das FG meine allerdings, daß die Aufwendungen zumindest in 1964 berücksichtigt werden müßten.
Mit der Revision wird unrichtige Anwendung von § 5 EStG gerügt und dazu vorgebracht, an den Bilanzstichtagen für 1959-1963 habe eine rückstellungsfähige Last nicht vorgelegen, weil der Steuerpflichtige mit neuen Buchführungsarbeiten und den damit verbundenen Kosten nicht habe rechnen müssen. Dafür spreche das eigene Verhalten des Steuerpflichtigen, der noch bei der ersten Betriebsprüfung seine damalige Buchfuhrung für ordnungsmäßig und beweiskräftig gehalten habe. Auch in 1964 sei eine Rückstellung unzulässig, da ein am Bilanzstichtag nicht zu erfassendes schwebendes Geschäft vorgelegen habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Der Steuerpflichtige darf für die Aufwendungen, die ihm aus den Buchführungsarbeiten entstanden sind, in den Bilanzen für 1959-1963 keine Rückstellungen bilden.
Rückstellungen dienen der bilanzmäßigen Berücksichtigung ungewisser Verbindlichkeiten, drohender Verluste aus schwebenden Geschäften sowie selbständig bewertbarer Lasten. Sie können gebildet werden, wenn der sorgfältige und gewissenhafte Kaufmann am Bilanzstichtag mit dem Entstehen solcher ungewissen Schulden rechnen muß. Dabei ist Voraussetzung für ihre steuerliche Anerkennung, daß die Ereignisse, die zu ihrer Entstehung führen, dem Geschäftsjahr zuzurechnen sind, für das die Rückstellung gebildet werden soll. Die ungewissen Schulden müssen also zumindest in dem abzuschließenden Geschäftsjahr wirtschaftlich verursacht worden sein (vgl. Urteile des BFH I R 39, 40/70 vom 28. April 1971, BFH 102, 270, BStBl II 1971, 601; IV R 58/70 vom 26. Mai 1971, BFH 102, 504, BStBl II 1971, 704, beide mit weiteren Nachweisen).
Ob im Streitfall die Buchführungskosten eine Verbindlichkeit oder - wie das FG angenommen hat - eine Last waren, kann hier dahingestellt bleiben. Ein Passivposten in den Bilanzen für 1959-1963 war schon deshalb nicht zulässig, weil der Aufwand nicht seine Ursache in diesen Jahren hatte.
Im vorliegenden Falle geht es nicht um Kosten für einen Buchabschluß, eine Prüfung oder eine Steuerberatung, wie sie regelmäßig für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr entstehen. Es handelt sich vielmehr um Aufwendungen für Buchführungsarbeiten, die zusätzlich anfielen und erst dadurch veranlaßt wurden, daß bei einer Betriebsprüfung Streit über die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zurückliegender Jahre entstand. Solche Aufwendungen haben ihr auslösendes Ereignis und damit ihre wirtschaftliche Ursache in der Tatsache, daß eine Betriebsprüfung durchgeführt wird und es dabei zu Auseinandersetzungen über die Buchführung kommt. Dagegen kann die eine Rückstellung rechtfertigende Ursache nicht schon darin gesehen werden, daß die Buchführung fehlerhaft war. Denn selbst bei einer unzulänglichen Buchführung ist am Bilanzstichtag nicht abzusehen, ob bei einer künftigen Betriebsprüfung Ausgaben für zusätzliche Buchführungsarbeiten entstehen werden. Dies hängt vielmehr von einem späteren Entschluß des Kaufmanns ab, wobei die Möglichkeit eines Auftrags zum Überarbeiten der Buchführung nicht wahrscheinlicher ist als die, daß das Richtigstellen der Buchführung der Betriebsprüfung überlassen wird.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch dann nicht, wenn man, wie das FG dies getan hat, darauf abstellt, ob ein Erwerber des Unternehmens in Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Buchführung mit der Möglichkeit späterer Ausgaben für die Buchführung gerechnet und sich dadurch in seinem Gebot hätte beeinflussen lassen. Die Dinge liegen dann nicht anders als beim Veräußerer. Die Möglichkeit eines künftigen Aufwands des Erwerbers für die Buchführung des Veräußerers ist eher geringer. Denn zum einen braucht der Erwerber die Buchführung des Veräußerers nicht fortzuführen und zum anderen kann sich aus der unrichtigen Buchführung für den Erwerber allenfalls eine zeitlich begrenzte Haftung für Betriebssteuern ergeben. Nur dieses Risiko käme für eine Berücksichtigung beim Gebot des Erwerbers in Betracht. Das hat aber nichts mehr mit einem Aufwand für Buchführungsarbeiten zu tun.
Gegen die Zulässigkeit einer Rückstellung für Buchführungsaufwand bei einer späteren Betriebsprüfung können auch die Überlegungen angeführt werden, die im BFH-Urteil IV 51/62 vom 13. Januar 1966 (BFH 84, 517, BStBl III 1966, 189) zur Nichtanerkennung eines Passivpostens für nach einer künftigen Betriebsprüfung zu erwartende Steuernachforderungen führten. In dieser Entscheidung wurde eine solche Rückstellung nicht anerkannt, weil die allgemeine Erfahrung, daß es bei einer Betriebsprüfung zu Steuernachforderungen kommt, allein noch keinen hinreichend konkreten und damit eine Rückstellung nicht rechtfertigenden Sachverhalt schafft.
Die Vorentscheidung, die von anderen Erwägungen ausgegangen ist, war danach aufzuheben. Der Senat entscheidet selbst und erkennt für die Streitjahre 1959-1963 auf Klageabweisung.
2. Soweit die Revision das Streitjahr 1964 betrifft, führt sie nach Aufhebung der Vorentscheidung zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG.
Die Vorinstanz hätte, ausgehend davon, daß sie den Hauptantrag des Steuerpflichtigen für begründet hielt, auch über den Hilfsantrag, und zwar von ihrem Standpunkt aus, klageabweisend entscheiden müssen. Es handelte sich im Streitfall um eine objektive Klagenhäufung, bei der Haupt- und Hilfsantrag in einem Eventualverhältnis zueinander standen. Die Anträge betrafen verschiedene Streitgegenstände mit unterschiedlichen Sachverhalten. Der Hauptantrag ging gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen für 1959-1963 mit der Begründung, es müßten Rückstellungen wegen eines bei einer künftigen Betriebsprüfung anfallenden Buchführungsaufwands gebildet werden. Der Hilfsantrag zielte gegen die Steuerfestsetzung für 1964 mit der Begründung, es müsse eine Rückstellung nach Auftragserteilung für Buchführungsarbeiten zugelassen werden. Bei dieser Sachlage bedurfte es, anders als in den Fällen, in denen Haupt- und Hilfsantrag auf Grund eines einheitlichen Sachverhalts gestellt werden, eines Ausspruchs über das Schicksal des Hilfsantrags.
Die Vorentscheidung läßt indessen nicht eindeutig erkennen, ob das FG auch über den Hilfsantrag entschieden hat. In der Urteilsformel fehlt ein Ausspruch über die Klage gegen den berichtigten Steuerbescheid für 1964. Dies könnte darauf hindeuten, daß der Antrag übergangen wurde. Aus der Aufführung der Einkommensteuersache 1964 im Betreff der Urteilsaufschrift und aus der Erwähnung des Hilfsantrags in den Entscheidungsgründen könnte aber auch entnommen werden, daß das FG die Klage gegen den Steuerbescheid 1964 für entschieden und lediglich einen besonderen Ausspruch darüber für überflüssig hielt. Angesichts der sich daraus ergebenden Unklarheit ist es dem Revisionsgericht nicht möglich, das Urteil des FG auf richtige Rechtsanwendung hin zu überprüfen. Die Sache geht deshalb, soweit sie das Streitjahr 1964 betrifft, zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.
Fundstellen
BStBl II 1973, 55 |
BFHE 1973, 202 |