Leitsatz (amtlich)
1. Die in Einspruchsverfahren über einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid unterlassene Verbindung mehrerer Rechtsbehelfe kann im Verfahren vor dem Finanzgericht grundsätzlich ebenso wie eine unterlassene Zuziehung durch eine Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO geheilt werden.
2. Ein einheitlicher Feststellungsbescheid kann auch dann nach § 225 AO geändert werden, wenn der nach § 100 Abs. 2 AO in vollem Umfang vorläufige Bescheid nur einem der Beteiligten wirksam bekanntgegeben worden war.
Normenkette
AO § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 2, §§ 215, 225, 241; FGO § 60 Abs. 3
Tatbestand
Streitig ist insbesondere, ob ein gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) für vorläufig erklärter Gewinnfeststellungsbescheid, der nach Auflösung einer OHG nur einem der ehemaligen Gesellschafter bekanntgegeben worden war, noch mit Wirkung für alle ehemaligen Gesellschafter nach § 225 AO geändert werden durfte.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) sowie die Beigeladene E W und K W waren Gesellschafter der W-OHG. Die Klägerin und E W sind am 31. Dezember 1960 aus der OHG ausgeschieden; das Unternehmen wurde von K W ab 1. Januar 1961 als Einzelunternehmen fortgeführt.
Am 14. Dezember 1966 hat das FA den gemäß § 100 Abs. 2 AO für vorläufig erklärten Gewinnfeststellungsbescheid erlassen; über einen Veräußerungsgewinn enthielt dieser Bescheid, der unter der Anschrift "K W-KG" ergangen und lediglich K W zugestellt worden ist, keine Feststellungen. Bei einer im Oktober 1967 bei der OHG durchgeführten Betriebsprüfung, die sich u. a. auch auf die Gewinnfeststellung 1960 erstreckte, wurde ein Veräußerungsgewinn von 153 167 DM ermittelt, der in Höhe von 76 583 DM der Klägerin und in Höhe von 76 584 DM E W zugerechnet werden sollte. Der Gewinnanteil des K W wurde nicht geändert.
Entsprechend diesen Feststellungen des Betriebsprüfers hat das FA am 22. April 1968 einen "gemäß § 222 AO in Verbindung mit endgültiger Feststellung gemäß § 225 AO" berichtigenden Gewinnfeststellungsbescheid für 1960 erlassen. Er ist laut Abschn. F Nr. 5 des Berechnungsbogens unter der Anschrift der OHG je an K W, die Klägerin und E W abgesandt worden. Neben den Namen enthält diese Rubrik auch noch den Vermerk: "BStBl 1960 III 96". Weiter befindet sich in den Betriebsprüfungsakten ein am 22. April 1968 zur Post gegebenes Schreiben des FA an die Klägerin, in dem u. a. folgendes ausgeführt ist:
"Im Hinblick auf die BFH-Rechtsprechung (Urteil in BStBl 1960 III, 96) übersende ich Ihnen als ehemaliger Miteigentümerin und Gesellschafterin - auch mit Wirkung für und gegen die damalige Teilhaberin E W - eine Abschrift (der) des Betriebsprüfungsberichtes, den berichtigten und endgültigen Feststellungsbescheid 1960 sowie den Bescheid über die Aufhebung des betrieblichen Einheitswertes ab 1.1.1961."
Nach erfolglos gebliebenen Einsprüchen der Klägerin und der E W, die das FA in getrennten Einspruchsentscheidungen jeweils am 13. Dezember 1971 (zugestellt am 15. Dezember 1971) beschieden hat, hat lediglich die Klägerin gegen den Gewinnfeststellungsbescheid vom 22. April 1968 Klage erhoben.
Das Finanzgericht (FG) hat E W, gestützt auf § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), beigeladen. Das FA hat den angefochtenen Bescheid vom 22. April 1968 während des Klageverfahrens an E W zugestellt.
Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat in der in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 633 (EFG 1976, 633) teilweise veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei wirksam erlassen worden. Daran ändere weder der im Anschriftenfeld enthaltene Name der - zwischenzeitlich aufgelösten - Gesellschaft etwas noch die Tatsache, daß seine Bekanntgabe gegenüber E W erst während des Klageverfahrens erfolgt sei. Unschädlich sei auch, daß der vorläufige Bescheid vom 14. Dezember 1966 nur K W bekanntgegeben worden sei. Das FA habe weiter ohne Rechtsverstoß einen nach § 225 AO berichtigenden Bescheid erlassen dürfen, zumal die auf dem Feststellungsbescheid beruhenden Steueransprüche noch nicht verjährt gewesen seien.
Unbeachtlich sei schließlich, daß das FA getrennte Einspruchsentscheidungen erlassen habe. Ein darin möglicherweise zu erblickender Verfahrensfehler sei durch die Beiladung der E W geheilt worden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klängerin mit der Revision. Sie macht geltend, daß der Verfahrensmangel der getrennten Einspruchsentscheidungen durch die Beiladung der E W im gerichtlichen Verfahren nicht in vollem Umfang geheilt worden sei. Weiter rügt sie die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe insbesondere den dem Feststellungsverfahren zugrunde liegenden Gedanken der Einheitlichkeit unzutreffend gewürdigt. Die fehlende Bekanntgabe des vorläufigen Feststellungsbescheides (vom 14. Dezember 1966) sowie die Formulierung im berichtigten Einkommensteuerbescheid 1960 vom 9. Februar 1967 und die besonderen Umstände des Streitfalles hätten eine Änderung nach § 225 AO nicht mehr erlaubt.
Die Klägerin und E W beantragen, die Vorentscheidungen sowie den einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheid 1960 vom 22. April 1968 aufzuheben.
Das FA beantragt die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Entscheidungsgründe
I.
Es ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, daß das FG in der getrennten Bescheidung der Einsprüche der Klägerin und der E W durch das FA keinen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens gesehen hat.
Da die Entscheidung, ob der Veräußerungsgewinn zu Recht angesetzt worden ist, gegenüber der Klägerin und E W nur einheitlich ergehen kann (§ 215 Abs. 2 AO), hätte das FA die beiden Einsprüche zu gemeinsamem Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbinden müssen. Dem steht nicht entgegen, daß die in den § 239 Abs. 3, § 240 Abs. 2 AO i. d. F. vor der Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 (AO i. d. F. vor FGO) enthaltenen Bestimmungen über die Verbindung mehrerer Rechtsbehelfe vom Gesetzgeber nicht in § 241 AO aufgenommen worden sind. Die gleichen Grundsätze ergeben sich bereits aus der Notwendigkeit des einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahrens. Kann nur eine einheitliche Entscheidung ergehen, so ist die Verbindung der Verfahren erforderlich; die Verbindung ersetzt insoweit die Zuziehung zum Verfahren (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 233 AO Anm. 12). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an.
Gleichwohl stellt die Unterlassung der Verbindung der Einsprüche keinen unheilbaren Verfahrensmangel des Einspruchsverfahrens dar. Im Streitfall ist dieser Mangel durch die Beiladung der E W zum finanzgerichtlichen Verfahren geheilt worden. Für den Fall einer unterlassenen Zuziehung hat dies der BFH bereits entschieden (vgl. z. B. das Urteil vom 25. November 1970 III R 122/69, BFHE 101, 28, BStBl II 1971, 272). Gleiches gilt aber auch für die unterlassene Verbindung. Zuziehung und Verbindung haben insoweit das gleiche Ziel. Es soll die Gefahr abweichender Entscheidungen vermieden werden. Dem ist auch dann Genüge getan, wenn das FG - nach unterlassener Verbindung der Rechtsbehelfe im Einspruchsverfahren - im Klageverfahren nach § 60 Abs. 3 FGO beilädt.
II.
Mit dem FG ist der Senat auch der Auffassung, daß der umstrittene Gewinnfeststellungsbescheid ohne Rechtsverstoß erlassen werden konnte und sowohl der Klägerin als auch E W gegenüber wirksam geworden ist.
1. Wie bereits in dem das Aussetzungsverfahren abschließenden Beschluß vom 23. Oktober 1974 I B 33/74 ausgeführt, ist der Bescheid nicht etwa deswegen unwirksam, weil er im Anschriftenfeld an die OHG adressiert worden ist. Da sämtliche früheren Gesellschafter im Abschn. B des Bescheids genau bezeichnet sind und auf sie dann auch der Gesamtgewinn verteilt worden ist, richtet sich der Bescheid auch an die Klägerin und E W (siehe auch das BFH-Urteil vom 6. Mai 1977 III R 19/75, BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783).
Beiden Beteiligten ist der Bescheid - wenngleich mit zeitlicher Verschiebung - auch wirksam bekanntgegeben worden. Es braucht dabei nicht entschieden zu werden, ob die ursprünglich unterbliebene Bekanntgabe an E W erst mit der Zustellung durch das FA während des finanzgerichtlichen Verfahrens am 23. Januar 1976 nachgeholt worden ist, oder ob eine Bekanntgabe bereits in der Beiladung der E W zum finanzgerichtlichen Verfahren oder gar schon in der Zustellung der Einspruchsentscheidung an sie am 15. Dezember 1971 zu sehen ist.
Ohne Einfluß auf die Wirksamkeit des Bescheides (gegenüber beiden ehemaligen Gesellschafterinnen) ist auch der Umstand, daß er - obwohl ein einheitlicher Feststellungsbescheid - den Adressaten zu verschiedenen Zeitpunkten bekanntgegeben worden ist. Ein an mehrere Beteiligte gerichteter Bescheid wird zwar gegenüber den einzelnen Beteiligten jeweils erst mit seiner Bekanntgabe an sie wirksam. Die Bekanntgabe zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten hat aber nicht die Unwirksamkeit des Bescheids zur Folge (BFH-Urteil vom 26. April 1963 III 233/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 219, Rechtsspruch 7).
2. Weiter konnte der angefochtene Bescheid auch mit Wirkung gegenüber der Klägerin und E W erlassen werden, obwohl der durch ihn geänderte Bescheid nur K W bekanntgegeben worden war. Die fehlende Bekanntgabe (des vorläufigen Bescheides vom 14. Dezember 1966) hat die Klägerin und E W nicht etwa in ihren Rechten beschnitten. Sie konnten gegen den (mit anderen Gründen angefochtenen) endgültigen Bescheid alle Einwendungen erheben, die gegen den Erstbescheid hätten geltend gemacht werden können (vgl. z. B. das BFH-Urteil vom 19. August 1969 VI R 261/67, BFHE 96, 458, BStBl II 1970, 11).
3. Der Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides hatte in § 225 AO auch eine ausreichende Rechtsgrundlage. Daß der Bescheid zusätzlich auf § 222 AO gestützt wurde, obwohl die Voraussetzungen dieser Vorschrift möglicherweise nicht erfüllt waren, ist unerheblich. Es genügt, wenn er durch eine der angezogenen gesetzlichen Vorschriften materiell gedeckt ist (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 6. Oktober 1976 I R 238/74, BFHE 120, 540, BStBl II 1977, 217).
a) Unbestritten hat das FA die ursprüngliche einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung für das Streitjahr 1960 (am 14. Dezember 1966) lediglich vorläufig i. S. des § 100 Abs. 2 AO durchgeführt. Da es sich um einen in vollem Umfang vorläufigen Bescheid handelte, durfte er in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich unbeschränkt berichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 1. April 1966 VI 122/64, BFHE 85, 437, BStBl III 1966, 519).
Dem steht auch nicht entgegen, daß der Bescheid lediglich K W bekanntgegeben worden ist. Wie bereits ausgeführt, wurden die Klägerin und E W dadurch nicht etwa in ihren Rechten beschnitten (siehe Ziff. I 2). Auch wird ein einheitlicher Feststellungsbescheid, der an mehrere Beteiligte gerichtet ist, aber nicht allen bekanntgegeben wird, dadurch nicht selbst unwirksam (siehe oben Ziff. II 1). Mit der Bekanntgabe an einzelne Beteiligte ist der betreffende Verwaltungsakt vielmehr als entstanden anzusehen; er hat gegenüber diesen Beteiligten Wirksamkeit eilangt und kann insgesamt nicht mehr frei (nach § 92 Abs. 1 AO) geändert werden (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 1971 III R 116/68, BFHE 104, 123, BStBl II 1972, 157). Wird er aber nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften - hier gemäß § 225 AO - geändert, so wird der geänderte Bescheid mit seiner Bekanntgabe an die einzelnen Beteiligten diesen gegenüber wirksam. Wollte man im übrigen der Argumentation der Klägerin folgen, hätte der angefochtene Bescheid ohne weiteres - ohne daß die Voraussetzungen des § 225 AO vorgelegen haben müßten - erlassen werden können.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der vorläufige Bescheid vom 14. Dezember 1966 auch nicht wegen des Grundgedankens der §§ 215 f. AO unbeachtet bleiben. Die §§ 100 Abs. 2 bzw. 225 AO werden von den §§ 215 f. AO über den dargestellten Umfang hinaus nicht berührt. Das Gebot der Einheitlichkeit der Gewinnfeststellung bewirkt hier nur, daß ein einheitlicher Feststellungsbescheid, sobald er einem der Beteiligten bekanntgegeben worden ist, auch den anderen Beteiligten gegenüber nicht mehr frei geändert werden darf.
b) Auch § 225 Satz 3 AO stand dem Erlaß des Berichtigungsbescheides nicht entgegen. Zur Zeit seines Ergehens (am 22. April 1968) waren die auf dem nachträglich festgestellten Veräußerungsgewinn beruhenden Steueransprüche gegen die früheren Gesellschafterinnen noch nicht verjährt. Die Verjährung war mehrfach unterbrochen bzw. gehemmt worden ...
Fundstellen
BStBl II 1978, 600 |
BFHE 1979, 332 |