Dr. Matthias Heiden, Dr. Christian F. Bosse
Rn. 92
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Die sich mit dem KonTraG entwickelte Diskussion im Schrifttum wurde um Aspekte der Wirtschaftsprüfung sowie der beteiligten Institutionen, die bei Umsetzung der Normen mitwirken sollten, bereichert, wobei traditionelle Elemente der Betriebswirtschaftslehre diskutiert und in einen neuen Kontext gestellt sowie ganze betriebliche Abteilungen legitimiert wurden (vgl. Schäfer (2001), S. 3). Vielerorts wird dabei dem Gesetzgeber die Forderung nach Einrichtung eines umfassenden Risikomanagementsystems unterstellt. Ein wesentlicher Auslöser hierfür dürfte sein, dass der Gesetzgeber in seiner RegB und anschließend weite Teile des Schrifttums den Begriff "Risikomanagement" verwendet haben, grds. aber lediglich ein Risikofrüherkennungssystem verlangt wird. Letzteres ist jedoch nur ein Bestandteil des umfassenderen betriebswirtschaftlichen Risikomanagements, welches i. d. R. auch die Risikobewältigungsmaßnahmen einschließt (vgl. HdJ, Abt. VI/9 (2001), Rn. 12; Schulze (2001), S. 145). Seibert erläutert, dass es für den Vorstand nicht darum ginge, "existenzgefährdende Risiken auszuschließen, sondern nur darum, sicherzustellen, dass er sie kennt" (Seibert (1999), S. 10).
Rn. 93
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Die Wortwahl des Gesetzgebers, nämlich bestandsgefährdende Entwicklungen und nicht statische Risikozustände zu identifizieren (vgl. auch Pelz, WM 2000, S. 1566 (1572)), deutet auf ein Verständnis des Risikomanagements hin, welches von dem umfassenderen der traditionellen Betriebswirtschaftslehre abweicht. Das KonTraG wird nicht vom Risikoverständnis im betriebswirtschaftlichen Sinn, welches aus UN-Sicht allg. auf die Möglichkeit ungünstiger zukünftiger Entwicklungen abstellt, sondern von einem engeren Risikobegriff i. S.e. verlustorientierten Sichtweise geleitet (vgl. Bitz, BFuP 2000, S. 231 (235f.)). Dabei umfasst das Risikoverständnis nach KonTraG sowohl die Ungewissheits- als auch die Risikosituation der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie (vgl. Wall (2001), Rn. 114f.; ferner Krämer, StB 2002, S. 176 (177ff.); Krämer, StB 2002, S. 307ff.). Kromschröder/Lück (DB 1998, S. 1573) ergänzen, dass i. S. d. KonTraG nur solche Verlustpotenziale als wesentlich zu betrachten sind, die eine "kritische Grenze überschreiten (können), wobei allerdings weder der Verlustbegriff noch die kritische Grenze determiniert" sind. Dabei bezieht sich der Umgang mit Risiken primär auf reine (bestandsgefährdende) Einzelrisiken i. R.d. sog. speziellen Risikomanagements, aber auch auf die Gesamtrisikoposition des UN als Element des generellen Risikomanagements (vgl. Mikus (2001), S. 9ff.). Dies führt zur Betrachtung des ebenfalls nicht näher erläuterten Begriffs der Bestandsgefährdung bzw. der bestandsgefährdenden Entwicklung. Hierzu führt die RegB lediglich aus, dass Letztere durch "risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken" (BT-Drs. 13/9712, S. 15), hervorgerufen werden kann (vgl. auch LG München (I), Urteil vom 10.12.2013, 5 HK O 1387/10, NZG 2014, S. 345f.; Schwintowski, in: FS Schimansky (1999), S. 761 (765ff.)). Hierauf aufbauend können für konkretisierende Tatbestände zunächst die (drohenden) Insolvenztatbestände gemäß der §§ 16ff. InsO herangezogen werden (vgl. etwa Baetge/Linssen, BFuP 1999, S. 369 (374ff.); Emmerich, ZfbF 1999, S. 1075 (1082); Ludewig/Olbrich, WPg 1999, S. 381 (382ff.)). Diese führen jedoch nicht notwendigerweise zur Beendigung der UN-Existenz, so dass in Anlehnung an die evolvierende h. M. unter Zugrundelegung der Vorstandspflichten gemäß der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG solche Entwicklungen als bestandsgefährdend zu bezeichnen sind, welche die Rentabilität der Gesellschaft dauerhaft gefährden (vgl. Hüffer, in: FS Imhoff (1998), S. 91 (100); Zimmer/Sonneborn (2001), Rn. 182; speziell aus Sicht der Lageberichterstattung Dörner/Bischof, WPg 1999, S. 445 (448f.); Lange, DStR 2001, S. 227 (229f.)). Durch diese dem betriebswirtschaftlichen Verständnis der UN-Krise vergleichbare Begriffsinterpretation wird die zuvor genannte Interpretation jedoch nicht völlig negiert, da insolvenzrechtliche Krise und u. U. strafrechtliche UN-Krise Folge derartiger bestandsgefährdender Entwicklungen sein können (vgl. auch Bauer, ZInsO 2002, S. 153). Diese Risiken scheinen somit zwischen den Extremen des (täglichen) operativen Risikos sowie des ignorierten Risikos des UN zu liegen: "Es handelt sich offenbar um Risiken, die quantitativ, vor allem monetär bestimmt sind, die aus regelmäßiger Geschäftstätigkeit nachhaltig erwachsen, die also nicht einmaliger Natur sind und die bedeutsam sind, also eine Größenordnung erreichen, die den Bestand des Unternehmens gefährdet" (Hauschildt/Heldt, in: FS Otte (2001), S. 167 (172)).
Rn. 94
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Das einzurichtende Risikofrüherkennungssystem, auch Frühwarnsystem genannt, i...