Prof. Dr. Eberhard Kalbfleisch, Prof. Dr. Sascha Mölls
Rn. 37
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Das Gesetz bezieht sich in § 256 Abs. 2 AktG auf das Verfahren der Feststellung eines JA nach § 172 AktG. Danach ist der JA festgestellt, wenn der AR den ihm vom Vorstand vorgelegten JA billigt. Wenn aber der AR oder Vorstand bei der Feststellung des JA nicht ordnungsgemäß mitgewirkt haben, ist der JA nichtig.
Nicht unter den Anwendungsbereich des § 256 Abs. 2 AktG fallen dagegen die Fälle, in denen der AR oder Vorstand gar nicht oder aber als unzuständige Organe mitgewirkt haben. AR und Vorstand sind dann nicht für die Feststellung zuständig, wenn die HV über die Feststellung entscheidet. Diese Fälle sind namentlich von den §§ 173 Abs. 1, 234 Abs. 2, 235, 270 Abs. 2, 286 Abs. 1 AktG geregelt. Sollten Vorstand und AR kompetenzwidrig über die Feststellung entschieden haben, liegt schon kein wirksamer Feststellungsakt i. S. d. § 172 AktG vor. Da ein solcher aber Voraussetzung für die Anwendung des § 256 AktG ist, stellt sich die Frage, ob der JA nichtig ist, nicht. Wenn der rechtsgeschäftliche Tatbestand der Feststellung nicht vorliegt, hat dies auch zur Folge, dass die Heilungsvorschrift des § 256 Abs. 6 AktG nicht anwendbar ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn anstatt des AR ein Ausschuss des AR die Feststellung des JA beschließt, da die Feststellung des JA gemäß den §§ 107 Abs. 3, 171 Abs. 2 Satz 4 AktG keinem Ausschuss übertragen werden darf (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 16; ADS (1997), § 256 AktG, Rn. 60).
Zur formellen Ordnungsmäßigkeit der Mitwirkung des AR und Vorstands ist notwendig, dass allen Mitgliedern des Vorstands oder AR auch die Gelegenheit zur Mitwirkung gegeben wurde. Wenn also Mängel bei der Einladung festzustellen sind, insbesondere wenn gegen Fristen verstoßen wurde und deshalb einzelne Mitglieder des Organs nicht an der Beschlussfassung teilgenommen haben, liegt keine ordnungsgemäße Mitwirkung vor. Verstöße gegen Geschäftsordnungen des AR sind im Gegensatz dazu unerheblich, weil sich aus der Regelung des § 256 AktG im Gesamtzusammenhang ergibt, dass die Nichtigkeit sich nur aus Verstößen gegen Gesetze oder Satzungsrecht ergeben kann (vgl. ADS (1997), § 256 AktG, Rn. 61).
Rn. 38
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Mitwirkung des Vorstands liegt in der Aufstellung des JA nach § 264 Abs. 1 sowie in seiner Vorlage an den AR gemäß § 170 Abs. 1 AktG. Bei der Aufstellung des JA muss der Vorstand als Kollegialorgan handeln, d. h. in voller Besetzung und unter der Beachtung der bei Beschlussfassungen erforderlichen Mehrheiten. Unterzeichnen entgegen § 245 nicht alle Vorstandsmitglieder den JA persönlich, so tritt die Nichtigkeitsfolge nicht ein, da die Aufstellung des JA nicht von dessen Unterzeichnung abhängt (vgl. BeckOGK-AktG (2021), § 256, Rn. 50). Eine nicht ordnungsgemäße Mitwirkung liegt allerdings vor, wenn der Vorstandsvorsitzende oder Finanzvorstand alleine gehandelt hat (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 18). Die Mitwirkung ist außerdem nicht ordnungsmäßig, wenn der Vorstand vorschriftswidrig besetzt ist, insbesondere die Mindestzahlen des § 76 Abs. 2 AktG nicht erreicht sind, oder wenn der Vorstandsbeschluss auf Stimmen von Mitgliedern beruht, deren Bestellung als Vorstandsmitglied nichtig ist (vgl. MünchKomm. AktG (2021), § 256, Rn. 37).
Rn. 39
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Mitwirkung des AR bei der Feststellung des JA liegt in dem nach § 172 AktG zu fassenden Beschluss über die Billigung des aufgestellten JA. Wenn Beschlussmängel vorliegen, ist die Mitwirkung nicht ordnungsmäßig. Dies ist insbesondere bei Einberufungsfehlern und Beschlussfassung trotz Beschlussunfähigkeit der Fall. Eine fehlerhafte Bestellung des AR kann nur dann die Nichtigkeitsfolge des § 256 Abs. 2 AktG nach sich ziehen, wenn die fehlerhaft vorgenommene Bestellung dazu führt, dass der AR nicht mehr die zur Feststellung erforderliche Mindestzahl an Mitgliedern hat, so dass er beschlussunfähig ist. Dann muss zwischen Nichtigkeit der Bestellung der AR-Mitglieder nach § 241 AktG und dem gemäß § 243 AktG anfechtbaren Bestellungsbeschluss unterschieden werden. Ist die Bestellung nichtig, so ist auch eine Billigung in Bezug auf einen aufgestellten JA nichtig. Liegt dagegen lediglich die Anfechtbarkeit der Bestellung des AR im Ganzen oder einzelner Mitglieder vor, kann die Nichtigkeitsfolge nur dann eintreten, wenn die Bestellung auf eine erhobene Anfechtungsklage hin rechtskräftig für unwirksam erklärt wird (vgl. ADS (1997), § 256 AktG, Rn. 66, sowie darüber hinaus BeckOGK-AktG (2021), § 256, Rn. 52).
Rn. 40
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Im Fall der faktischen Beherrschung einer Gesellschaft durch einen Mehrheitsgesellschafter kann eine ordnungswidrige Mitwirkung des Vorstands vorliegen, wenn sich der Vorstand dem Willen des Beherrschenden bei der Aufstellung des JA ohne eigene Prüfung und Verantwortung unterwirft (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.11.1986, 15 U 78/84, WM 1987, S. 533). Diese Entscheidung ist zutreffend kritisiert worden – mit dem Hinweis darauf, dass eine Beschluss...