Prof. Dr. Karlheinz Küting, Dr. Michael Reuter
Rn. 201
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Weder das HGB noch andere für die Bilanzierung relevante Spezialgesetze enthalten explizite Regelungen, die eine unmittelbare bilanzielle Einteilung von Finanzierungsmaßnahmen nach ihrem EK- oder FK-Charakter erlauben (vgl. ADS (1998), § 246, Rn. 80; Schweitzer/Volpert, BB 1994, S. 821 (823)). Auch dem einschlägigen Schrifttum lässt sich eine griffige Formel nicht entnehmen. Stattdessen wird eine Mehrzahl von Abgrenzungskriterien angeboten, die zudem eine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Einvernehmen besteht immerhin darin, die Abgrenzung zwischen EK und FK weniger an der jeweiligen zivilrechtlichen Einkleidung einer Finanzierungsmaßnahme (formeller Kap.-Begriff) als vielmehr an der Funktion festzumachen, die dem Kap. im UN zukommt (materieller Kap.-Begriff; vgl. BFH, Urteil vom 22.08.1990, I R 119/86, BStBl. II 1991, S. 415ff.; BGH, Urteil vom 21.03.1988, II ZR 238/87, BB 1988, S. 1084f.; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, S. 31 (42); Priester, DB 1991, S. 1917 (1918); Schmidt, in: FS Goerdeler (1987), S. 487 (489ff.)).
Rn. 202
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Für die Unterscheidung zwischen EK und FK kommt es damit – anders als nach IFRS – nicht darauf an, ob das UN durch den Kap.-Geber zu Zahlungen verpflichtet werden kann. Entscheidend ist, ob die überlassenen Finanzmittel als primäres Risikokap. fungieren, mithin dem unternehmerischen Risiko ausgesetzt sind. Ausgehend von diesem allg. Verständnis einer Eigenfinanzierung sind als kumulativ zu erfüllenden Kriterien des materiellen EK-Begriffs zu nennen (vgl. auch HdJ, Abt. III/1 (2019), Rn. 17ff.; Hense (1990), S. 189ff.; Linscheidt, DB 1992, S. 1852 (1853); Schneider (1992), S. 42ff.; Siegel, in: HWR (1993), Sp. 481 (482f.); Vormbaum (1995), S. 35ff.:
(1) |
Übernahme der Haftungs- oder Garantiefunktion, |
(2) |
Nachrangigkeit des gewährten Kap. sowie |
(3) |
Nachhaltigkeit der Mittelzuführung. |
Rn. 203
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die Haftungsfunktion erfordert, dass Verluste eines UN zuerst das EK mindern, bevor die Ansprüche der Gläubiger betroffen werden (vgl. Vormbaum (1995), S. 36). Diese Eigenschaft weisen alle EK-Posten des gesetzlichen Gliederungsschemas auf. Das gilt jedenfalls solange, wie nicht durch Geschäftsführungsmaßnahmen und/oder die Gesellschafter eine (gesetzlich zulässige) Ausschüttung eigener Mittel beschlossen ist. Ein solcher Beschluss begründet in Höhe des auszukehrenden Betrags eine Verbindlichkeit der Gesellschaft, die wie die übrigen Schulden des UN keinem vorrangigen Verlustrisiko ausgesetzt ist.
Mit der Haftungsfunktion des EK nicht zu vereinbaren sind unbedingte Ansprüche der Kap.-Geber auf Verzinsung oder Rückzahlung der überlassenen Mittel (vgl. HFA 1/1994, WPg 1994, S. 419 (420)). Sie stellen eine latente Bedrohung für die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse dar, da sie auch in Verlustjahren zu Mittelabflüssen führen. EK-Charakter kann nur solchen Mittelüberlassungen zugebilligt werden, die allenfalls mit Residualansprüchen Dritter in Form von Anwartschaften auf Anteile am Gewinn bzw. Liquidationserlös belastet sind.
Rn. 204
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Um das Merkmal der Nachrangigkeit zu erfüllen, darf ein Anspruch auf Rückzahlung im Fall der Insolvenz oder Liquidation nur bestehen, wenn die Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger zuvor vollständig befriedigt oder gesichert worden sind (vgl. § 39 InsO). Diese Forderung ergänzt die Haftungsfunktion des EK, die sich auf die während der UN-Fortführung eintretenden Verluste bezieht. Sie ist erforderlich, damit das EK auch im Zerschlagungsfall als Verlustpuffer wirken kann.
Rn. 205
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Das diffuseste Definitionsmerkmal des funktionellen EK-Begriffs stellt die Nachhaltigkeit der Mittelzuführung dar. Danach sollen eigene Mittel in Abgrenzung zum FK, das regelmäßig für einen im Voraus bestimmten Zeitraum bereitgestellt wird, dem UN grds. "auf Dauer" zur Verfügung stehen. Unklar ist, was unter einer dauerhaften Kap.-Überlassung zu verstehen ist. Eine Bereitstellung bis zum Zeitpunkt der Liquidation des UN wird man nicht verlangen können. Das zeigt bereits ein Blick auf die gesetzlichen Bestandteile des bilanziellen EK. Auch sie können in vielen Fällen vor der Liquidation des UN auszahlbar sein (Hense (1990), S. 187). Im Unterschied zum FK unterliegt die Auszahlung von eigenen Mitteln jedoch besonderen Bedingungen bzw. Einschränkungen, die dem Schutzinteresse der Gläubiger Rechnung tragen. So besteht bspw. bei Einzel-UN und PersG die persönliche Haftung der Gesellschafter auch nach einem Abzug von EK durch Entnahme oder infolge eines Ausscheidens aus der Gesellschaft (zumindest für einen gewissen Zeitraum) fort. Sie sichert umfassend die Verlustteilnahme der bereitgestellten Mittel und macht die Forderung nach einer Mindestüberlassungsdauer entbehrlich (vgl. IDW RS HFA 7 (2017), Rn. 14). Bei KapG sind aufgrund des weitestgehenden Haftungsausschlusses der Gesellschafter bestimmte Teile des EK gänzlich gegen eine Ausschüttung bzw. Rückzahlun...