Dr. Eberhard Mayer-Wegelin, Prof. Dr. Harald Kessler
a) Grundsatz der Unternehmensfortführung
Rn. 289
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Eine wesentliche Grundannahme für die Ermittlung des Erfüllungsbetrags von Rückstellungen liefert die in § 252 Abs. 1 Nr. 2 enthaltene Fortführungsprämisse. Danach ist die Höhe einer Verpflichtung unter der Annahme ihrer planmäßigen Erfüllung i. R. d. zukünftigen UN-Tätigkeit zu schätzen (vgl. Fülbier/Kuschel/Selchert, HdR-E, HGB § 252; Winkeljohann/Büssow, in: Beck Bil-Komm. 2014, § 252, Rn. 17). Im Umkehrschluss heißt das: Eine Verpflichtungsbewertung unter Anwendung einer zerschlagungsstatischen, d. h. die Liquidation des UN am BilSt unterstellenden Sichtweise wird den gesetzl. Vorgaben nicht gerecht (vgl. zu den Ausnahmen vom Grundsatz der UN-Fortführung und ihren bilanziellen Konsequenzen Fülbier/Kuschel/Selchert, HdR-E, HGB § 252).
Rn. 290
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Diese Bewertungsprämisse ist immer dann von Bedeutung, wenn der zur Erfüllung einer Verpflichtung aufzuwendende Betrag vom Zeitpunkt ihrer Begleichung abhängt. Ein wichtiger Anwendungsfall sind Sachleistungsverpflichtungen, bei denen sich Änderungen im Mengengerüst der zu erbringenden Leistung oder Kostensteigerungen (bzw. Kostensenkungen) im Zeitablauf ergeben können. Die Bestimmung des für sie anzusetzenden Rückstellungsbetrags erfordert eine zweistufige Schätzung (vgl. Herzig, N. 1990, S. 1352). Im ersten Schritt sind die zur Erfüllung der Verpflichtung zu ergreifenden Maßnahmen und die einzusetzenden technologischen Verfahren zu ermitteln. Nach der Fortführungsprämisse ist dabei auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der voraussichtlichen Erfüllung abzustellen. Das macht es etwa bei der Bewertung von Rückstellungen für Umweltschutzverpflichtungen erforderlich, die Auswirkungen sich am BilSt konkret abzeichnender strengerer gesetzl. Vorschriften (vgl. Weigl, R./Weber, H.-G./Costa, M. 2009, S. 1064) oder die künftige Verfügbarkeit neuer Verfahren zu berücksichtigen (vgl. Naumann, K.-P. 1993, S. 279). Dies gilt auch dann, wenn die Verpflichtung entgegen den betrieblichen Planungen bereits am BilSt oder unmittelbar danach erfüllt werden könnte. Aus Gründen der Bilanzobjektivierung dürfen allerdings nur solche erwarteten Änderungen des Mengengerüsts in die Rückstellungsbemessung einfließen, für die nachvollziehbare Anhaltspunkte vorliegen (vgl. IDW RS HFA 34, Rn. 4).
Im zweiten Schritt sind sodann die Kosten zu beziffern, die zur Durchführung der zuvor ermittelten Erfüllungshandlungen voraussichtlich anfallen werden. Auch sie sind nach dem Preis- und Kostenniveau im Erfüllungszeitpunkt zu ermitteln (hierzu vgl. HdR-E, HGB § 249, Rn. 321ff.).
b) Vorsichtsprinzip
aa) Überblick
Rn. 291
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Dem Vorsichtsprinzip wird bei der Bewertung von Rückstellungen in der HB traditionell ein hoher Stellenwert eingeräumt. Von den unterschiedlichen Ausprägungen, die dieser Grundsatz annimmt (vgl. Fülbier/Kuschel/Selchert, HdR-E, HGB § 252), erweist sich das Prinzip der Bewertungsvorsicht als eine wichtige Entscheidungsregel für die Auswahl einer bestimmten Schätzgröße aus dem Spektrum der denkbaren Wertansätze für eine zu passivierende Verpflichtung.
Vorsichtige Bewertung als Leitgedanke bei der Festlegung einer Schätzgröße bedeutet allg., das Vermögen in der Bilanz im Zweifel eher zu niedrig als zu hoch darzustellen. Damit verbietet sich in erster Linie eine zu optimistische Betrachtung bei der Abwägung der den Wert einer ungewissen Verpflichtung bestimmenden Chancen und Risiken. Umgekehrt findet das Prinzip der Bewertungsvorsicht seine Grenze im Verbot der bewussten Legung stiller Reserven (vgl. Fülbier/Kuschel/Selchert, HdR-E, HGB § 252; Moxter, A. 1988, S. 941). Es berechtigt nicht dazu, aus mehreren zur Verfügung stehenden Schätzwerten stets den Ungünstigsten zu wählen.
Das Vorsichtsprinzip wirkt sich nicht nur auf die Schätzung des Zugangswerts einer ungewissen Verpflichtung aus (vgl. HdR-E, HGB § 249, Rn. 292). Es beeinflusst auch die Fortschreibung des ursprünglich angesetzten Erfüllungsbetrags im Zeitablauf. Dabei geht es um die Frage, inwieweit das HWP ein Unterschreiten des Zugangswerts aufgrund der zu jedem BilSt vorzunehmenden Neubewertung von Rückstellungen zulässt.
bb) Schätzung des Erfüllungsbetrags
Rn. 292
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Was vorsichtige Bewertung bedeutet, lässt sich nur in Abhängigkeit von der jeweiligen Bewertungssituation konkretisieren (vgl. zum Folgenden Bertram/Kessler 2013 § 253, Rn. 52). Kann bei einer einzeln zu bewertenden Verpflichtung für einen künftigen Ausgabenanfall ein Punktwert mit hoher Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit angegeben werden, ist dieser der Rückstellungsbewertung zugrunde zu legen. Das betrifft Verpflichtungen, die der Höhe nach bekannt sind, deren Entstehen dem Grunde nach allerdings noch ungewiss ist. Beispiele sind Rückstellungen für voraussichtlich zu zahlende Vertragsstrafen, Urlaubsrückstellungen oder Steuerrückstellungen. Das Prinzip der Bewertungsvorsicht wirkt sich bei diesen praktisch nicht aus (vgl. Wohlgemuth, in: Bonner Handbuch 1994, § 253, Rn. 92).
Rn. 293
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Als problematisch erweist sich ...