Rn. 53
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Findet die Vorschrift des § 29 Abs. 2 GmbHG mangels abweichender statutarischer Regelung auf die Gesellschaft unbeschränkte Anwendung (bei Altgesellschaften nur nach ausdrücklicher Einbeziehung in den Gesellschaftsvertrag; vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 64), hängt der Anspruch des einzelnen Gesellschafters auf Gewinn völlig vom Willen der Mehrheit der Gesellschafter ab. Die Gesellschaftermehrheit kann – gegen den erklärten Wunsch der Gesellschafterminderheit – sogar ganz von der Verteilung eines ausgewiesenen Jahresüberschusses absehen und diesen in der Gesellschaft belassen.
Rn. 54
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die "Mehrheitsherrschaft" hinsichtlich der Verwendung des Ergebnisses ist nicht völlig schrankenlos und inhaltlich ungebunden (vgl. GmbHG-GroßKomm. (2020), § 29, Rn. 125ff.; Baumbach/Hueck (2022), § 29 GmbHG, Rn. 29ff. (zum Minderheitenschutz)). Sie unterliegt vielmehr den allg. mitgliedschaftlichen Grundsätzen des Gesellschaftsrechts über die Grenzen der Stimmrechtsmacht (vgl. grundlegend Zöllner (1963)). Zwar hat die Mehrheit der Gesellschafter bei ihrer Entscheidung nach den §§ 29 Abs. 2 und 47 Abs. 1 GmbHG grds. einen weiten Ermessensspielraum. Dieser ist allerdings durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht (vgl. Baumbach/Hueck (2022), § 13 GmbHG, Rn. 21ff., m. w. N.; Einhaus/Selter, GmbHR 2016, S. 1177ff.) und die darauf beruhende Bindung an das Gesellschaftsinteresse sowie die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit begrenzt. Eine Gewinnverwendung für satzungsfremde Zwecke (z. B. Abführung des Gewinns an einen gemeinnützigen Verein oder entsprechende Satzungsbestimmung) ist danach rechtswidrig und führt zur Anfechtbarkeit des Mehrheitsbeschlusses.
Ein Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht muss auch dann angenommen werden, wenn z. B. der gesamte Jahresgewinn dazu benutzt wird, um auf einen Schlag eine Rückstellung für eine rückwirkend eingegangene Pensionsverpflichtung zugunsten eines Gesellschafter-Geschäftsführers zu bilden (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1974, II ZR 76/72, DB 1974, S. 716; weitere Fallgestaltungen bei Liebs, DB 1986, S. 2421ff.). Die Mehrheit muss auf die Interessen der Minderheit Rücksicht nehmen. Sie ist – vorbehaltlich abweichenden Satzungsrechts – darüber hinaus grds. an den Gleichbehandlungsgrundsatz (Willkürverbot) gebunden und darf daher einzelne Gesellschafter nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund benachteiligen (vgl. Scholz-GmbHG (2022), § 29, Rn. 53ff.; zum Gleichbehandlungsgrundsatz allg. Baumbach/Hueck (2022), § 13 GmbHG, Rn. 31ff., m. w. N.).
Rn. 55
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Neben diesen allg. Grundsätzen werden in der Literatur im Hinblick auf die Gewinnverwendung i. R.d. § 29 GmbHG außerdem gewisse äußerste Schranken des Mehrheitsrechts zur Rücklagenbildung erörtert, ohne dass es bisher gelungen wäre, hierfür praktikable Maßstäbe zu entwickeln (vgl. GmbHG-GroßKomm. (2020), § 29, Rn. 130ff.; Scholz-GmbHG (2022), § 29, Rn. 55ff.). Hier ist die Entscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung, das in § 42h GmbHG-E (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 47) vorgeschlagene Recht, bei wirtschaftlich nicht notwendiger Rücklagenbildung im Wege der Anfechtungsklage eine Mindestdividende von 4 % der eingezahlten Einlage durchzusetzen, nicht in das Gesetz mit aufzunehmen. Deswegen ist es unzulässig, auf Umwegen über eine entsprechende Anwendung des § 254 AktG diese Mindestdividendenpflicht doch einzuführen (vgl. auch Meyer-Landrut/Miller/Niehus (1987), § 29 GmbHG, Rn. 5). Eine Gewinnthesaurierung wird deshalb in aller Regel nicht zu beanstanden sein, wenn sie "bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung" notwendig ist, um die "Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft" für die Zukunft zu sichern. Eine über diese allg. Grundsätze hinausgehende Regelung stellt Hommelhoff (ZGR 1986, S. 418ff.) zur Diskussion, der die Thesaurierung bis zu einem bestimmten Sockelbetrag (60 %) unangreifbar machen und darüber hinausgehende Gewinnthesaurierungen einer erhöhten Begründungspflicht durch die Geschäftsführer unterwerfen will. Bei einer beabsichtigten Gewinnthesaurierung von mehr als 60 % des Jahresüberschusses führt dieser Vorschlag im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr zu Lasten der Gesellschaftermehrheit. Als Folge könnten die Minderheitsgesellschafter dann im Regelfall davon ausgehen, dass mindestens 40 % des Jahresergebnisses zur Ausschüttung bereitstehen würden (vgl. so auch Hommelhoff, ZGR 1986, S. 418 (433)). Die dadurch sich ergebende Nähe zu einer Mindestdividendengarantie (die im Normalfall die Mindestgrenze des § 254 AktG bei weitem übersteigen würde) lässt jedoch angesichts der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers erhebliche Bedenken an einer solchen Regelung aufkommen.
Der Minderheitenschutz wird sich deshalb auch in Zukunft allein an der allg. Treuepflicht der Gesellschafter auszurichten haben, und ein hiergegen erfolgter Verstoß wird von den Minderheitsgesellschaftern in jedem konkreten Einzelfall nachzuweisen...