Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
Rn. 81
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 sind "alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlußstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen". Vorhersehbare (und bereits eingetretene) Risiken und Verluste finden zum einen i. R.d. Prinzips der allg. Bewertungsvorsicht bei Schätzungen Beachtung (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 77ff.). Zum anderen schlagen sie sich insofern im JA nieder, als "erwartete negative Erfolgsbeiträge aus der Abwicklung eingeleiteter Geschäfte" (Leffson (1987), S. 249) bereits vor ihrer Realisierung erfasst werden müssen (z. B. die Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung nach § 253 Abs. 3f. oder die Bilanzierung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften nach § 249 Abs. 1 Satz 1). Im Gegensatz zu Gewinnen, die erst bei ihrer Realisierung im JA erscheinen – also vom Realisationsakt am Markt und dem damit einhergehenden Gefahrenübergang abhängen (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 90ff.), ist für die ergebniswirksame Erfassung von Risiken als Verlust somit der Zeitpunkt ihrer Verursachung und Vorhersehbarkeit maßgebend (vgl. Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 34). Insoweit liegt hier eine ungleiche und asymmetrische (imparitätische) Behandlung von (zukunftsbezogenen) Chancen und Risiken und damit von Gewinnen und Verlusten vor (vgl. ausführlicher zur terminologischen Abgrenzung von Risiken und Verlusten MünchKomm. HGB (2020), § 252, Rn. 48ff.; Baetge/Knüppe, in: HWuR (1986), S. 394ff.). Das so verstandene Imparitätsprinzip wird wegen der Betonung der Verlustwirkung gelegentlich auch als "Verlustantizipationsprinzip" bezeichnet (vgl. stellvertretend Beck-HdR, B 161 (2011), Rn. 23, 160, wonach der allg. Begriff des Imparitätsprinzips dergestalt (weiter) ausgelegt wird, als hierunter sowohl das (Gewinn-)Realisations- als auch Verlustantizipationsprinzip zu subsumieren sind; ähnlich auch ADS (1995), § 252, Rn. 93).
Rn. 82
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Wenn Leffson ((1987), S. 340) von erwarteten negativen Erfolgsbeiträgen aus der Abwicklung eingeleiteter Geschäfte spricht, zielt er in einer Nettobetrachtung auf die Erfolgsüberschüsse, die sich aus einer Gegenüberstellung von (höheren) insgesamt zu erwartenden Aufwendungen und (geringeren) insgesamt zu erwartenden Erträgen bei schwebenden Geschäften ergeben. Ohne Bezug zu schwebenden Geschäften lassen sich auch Wertminderungen von VG den negativen Erfolgsbeiträgen zurechnen, denen in einer Nettobetrachtung keine zusätzlichen zukünftig zu erwartenden Erträge gegenüberstehen müssen. Nach dem Imparitätsprinzip sind sie bereits vor dem Abgang der VG zu berücksichtigen (= verlustfreie Bewertung), und zwar, sofern vorhersehbar, im Jahr ihrer Verursachung (vgl. Beck-HdR, B 161 (2011), Rn. 161).
Vorhersehbar oder zu erwarten sind negative Erfolgsbeiträge, "wenn eine vernünftige kaufmännische Beurteilung sie als mögliche künftige Wertminderungen, Verluste oder Schulden erkennen muß und wenn für ihren Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht" (ADS (1995), § 252, Rn. 74). Demnach ist für eine vernünftige kaufmännische Beurteilung die subjektive Einschätzung des Bilanzierenden alleine nicht ausreichend. Vielmehr muss eine sachlich begründete und damit nachprüfbare Wahrscheinlichkeit für den Eintritt künftiger Wertminderungen, Verluste oder Schulden sprechen (vgl. HdR-E, HGB § 253). Dennoch besitzt der Kaufmann im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht bei der Bestimmung der Vorhersehbarkeit von Risiken und Verlusten einen Spielraum, der im Zweifel nach dem Prinzip der allg. Bewertungsvorsicht (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 77ff.) auszufüllen ist.
Rn. 83
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Nicht nach dem Imparitätsprinzip zu berücksichtigen sind solche negativen Erfolgsbeiträge, die aus der Aufnahme neuer Geschäfte späterer Perioden erwartet werden. Derartige, künftige Geschäfte sind bis zum Abschlussstichtag noch nicht eingeleitet, die negativen Erfolgsbeiträge insofern nach dem Grundsatz der stichtagsbezogenen Bewertung noch nicht verursacht. Als verursacht gelten negative Erfolgsbeiträge schwebender Geschäfte bei Vertragsabschluss bzw. bereits bei Einreichung eines bindenden Vertragsangebots, mit dessen Annahme ernsthaft zu rechnen ist (vgl. HdR-E, HGB § 249, Rn. 63; ferner IDW RS HFA 4 (2012), Rn. 7, 10). Im Hinblick auf VG sind negative Erfolgsbeiträge (Wertminderungen) bereits verursacht, wenn der Wert der VG unter ihre (ggf. fortgeführten) AHK gefallen ist (vgl. HdR-E, HGB § 253, Rn. 193ff., 268ff.).
Rn. 84
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Nicht nach dem Imparitätsprinzip zu berücksichtigen sind auch Risiken und Verluste, die als Bestandteil des allg. Unternehmerrisikos gelten (vgl. ADS (1995), § 252, Rn. 74). Im JA niederschlagen dürfen sich vielmehr nur diejenigen negative Erfolgsbeiträge, die einzelnen Aktiv- und Passivpositionen zuzuordnen sind oder die aus einzelnen, konkreten schwebenden Geschäften resultieren (vgl. Bonner-HdR (2012), § 252 HGB, Rn. 46). Anderenfalls läge auch ein Verstoß insbesondere gegen den Grundsatz...