Prof. Dr. Michael Dusemond, Prof. Christoph Hell
Rn. 42
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Stellt der AP im Verlauf seiner Tätigkeit Tatsachen fest, die schwerwiegende Verstöße der gesetzlichen Vertreter oder von AN gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung erkennen lassen, so hat er darüber nach § 321 Abs. 1 Satz 3 (3. Teilsatz) zu berichten. Die Berichtspflicht bezieht sich nur auf Verstöße gegen Gesetze, die das UN oder seine Organe als solche binden; Gesetzesverstöße von gesetzlichen Vertretern und AN in deren Privatsphäre bleiben außer Betracht (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 60; Haufe HGB-Komm. (2022), § 321, Rn. 78; WP-HB (2021), Rn. M 254). Nach dem Gesetzeswortlaut grds. nicht berichtspflichtig sind Verstöße von Mitgliedern des AR und beratender Gremien (vgl. BeckOGK-HGB (2021), § 321, Rn. 46). Der Begriff "AN" ist nicht i. e. S. arbeitsrechtlich zu verstehen; hierunter fallen auch Leih-AN und Praktikanten (vgl. BeckOGK-HGB (2021), § 321, Rn. 45).
Rn. 43
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Über Verstöße gegen RL-Vorschriften ist bereits umfassend nach § 321 Abs. 1 Satz 3 (1. Teilsatz) zu berichten. Die Berichtspflicht aufgrund schwerwiegender Verstöße betrifft deshalb alle gesellschaftsrechtlichen Regelungen außerhalb der RL-Normen, weiterhin etwa auch Verstöße gegen Steuergesetze sowie das Betriebsverfassungs-, Wettbewerbs-, Branchenaufsichts-, Umwelt-, Gleichstellungs- und Strafrecht (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 61; Haufe HGB-Komm. (2022), § 321, Rn. 78; WP-HB (2021), Rn. M 254ff.). Auch wesentliche Verletzungen der gesetzlichen Aufstellungs- und Publizitätspflichten sind nach § 321 Abs. 1 Satz 3 berichtspflichtig (vgl. IDW PS 450 (2021), Rn. 50; WP-HB (2021), Rn. M 266). Hingegen fallen Gesetzesverstöße, die ausschließlich schuldrechtliche Verpflichtungen betreffen, wie etwa Leistungsstörungen innerhalb privatrechtlicher Vertragsbeziehungen, nach h. M. nicht unter die Berichtspflicht des § 321 Abs. 1 Satz 3 (vgl. Staub: HGB (2010), § 321, Rn. 30; ADS (2000), § 321, Rn. 85; WP-HB (2021), Rn. M 258).
Rn. 44
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Verstöße gegen Gesellschaftsvertrag und Satzung betreffen insbesondere die Eingehung zustimmungspflichtiger Geschäfte ohne Genehmigung sowie die Überschreitung des UN-Gegenstands (vgl. ADS (2000), § 321, Rn. 85; Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 62; WP-HB (2021), Rn. M 264). Nach Auffassung des Berufsstands ist auch über schwerwiegende Verstöße gegen die Geschäftsordnung zu berichten (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 62; WP-HB (2021), Rn. M 264; nur u. U. ADS (2000), § 321, Rn. 85).
Rn. 44a
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Art. 11 Abs. 2 lit. k) der AP-VO enthält für PIE eine Berichtspflicht über im Laufe der Prüfung festgestellte bedeutsame Sachverhalte im Zusammenhang mit der tatsächlichen oder vermuteten Nichteinhaltung von Rechtsvorschriften oder des Gesellschaftsvertrags bzw. der Satzung der Gesellschaft, die mit § 321 Abs. 1 Satz 3 (3. Teilsatz) i.W. übereinstimmt (vgl. IDW PS 450 (2021), Rn. P50/1f.). Die Berichtspflicht der Sachverhalte ist an die Relevanz für die Tätigkeit des Prüfungsausschusses geknüpft (vgl. IDW PS 450 (2021), Rn. P50/1).
Rn. 45
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Berichtspflichtig sind festgestellte Tatsachen auch dann, wenn dem UN bzw. Konzern durch den betreffenden Verstoß gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung kein Nachteil entsteht (vgl. WP-HB (2021), Rn. M 265; ADS (2000), § 321, Rn. 86). Ob ein Verstoß als schwerwiegend anzusehen ist, bestimmt sich nach den Informationsinteressen der Kontrollorgane. Kriterien für schwerwiegende Verstöße sind (vgl. IDW PS 450 (2021), Rn. 49; überdies WP-HB (2021), Rn. M 265; Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 63; BeckOGK-HGB (2021), § 321, Rn. 47; ADS (2000), § 321, Rn. 86):
- das finanzielle Risiko, welches dem UN daraus entsteht;
- der Umfang eines dadurch eingetretenen Schadens;
- die Bedeutung der verletzten Rechtsnorm; sowie
- das Gewicht des mit dem Verstoß einhergegangenen Vertrauensbruchs.
Als schwerwiegender Verstoß gilt stets, wenn die von Vorstand und AR einer börsennotierten AG, KGaA oder SE nach § 161 AktG abzugebende Entsprechenserklärung zum DCGK inhaltlich unzutreffend ist (vgl. IDW PS 345 (2021), Rn. 36; überdies Haufe HGB-Komm. (2022), § 321, Rn. 78; WP-HB (2021), Rn. M 261). Der Inhalt der Erklärung ist zwar nicht unmittelbar Gegenstand der AP; es ist lediglich i. R.d. Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Anhangangaben das Vorliegen einer solchen Erklärung und ihre dauernde Verfügbarkeit für die Aktionäre zu verifizieren (vgl. §§ 285 Nr. 16, 314 Abs. 1 Nr. 8; IDW PS 345 (2021), Rn. 17ff.). Sollte der Prüfer jedoch i. R.d. Durchführung der AP Tatsachen feststellen, die auf inhaltliche Fehler der Erklärung – insbesondere auf Abweichungen von Verhaltensempfehlungen ohne entsprechende Angabe – hindeuten, ist darüber zwingend zu berichten.
Rn. 46
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Festgestellte Tatsachen sind bereits dann berichtspflichtig, wenn sie schwerwiegende Verstöße "erkennen lassen". Die Berichtspflicht wird also nicht erst dann ...