Dr. Robert Weber, Julia Sieber
Tz. 14a
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Durch das UMAG wurde § 93 Abs. 1 AktG mit Wirkung zum 01.11.2005 um einen Satz 2 ergänzt, der die sog. Business Judgement Rule kodifiziert. Die Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass unternehmerische Entscheidungen zukunftsbezogen und durch nicht justiziable Einschätzungen geprägt sind. Fehler, die i. R.d. unternehmerischen Ermessensspielraums liegen, sollen keine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG darstellen. Die Grenzen unternehmerischer Entscheidungen sind nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erst dann überschritten, wenn das handelnde Vorstandsmitglied vernünftigerweise nicht mehr davon ausgehen durfte, eine Entscheidung beruhe auf einer angemessenen Informationsgrundlage und diene dem Wohl der Gesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2011, II ZR 146/09, WM 2011, S. 752 (753); BGH, Beschluss vom 14.07.2008, II ZR 202/07, NZG 2008, S. 751f.). Bei rechtlich gebundenen Entscheidungen findet die Business Judgement Rule keine Anwendung. Ebenso wenig von deren Anwendungsbereich umfasst sind Beurteilungs- und Ermessensspielräume (vgl. Fuhrmann/Heinen/Schilz, NZG 2020, S. 1368 (1378); Grigoleit-AktG (2020), § 93, Rn. 42). Für die Ausübung unternehmerischen Ermessens durch den Vorstand ist danach erst Raum, wenn er die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig ermittelt und das Für und Wider abgewogen hat. I.R.d. unternehmerischen Ermessens besteht dann aber ein weiter Handlungsspielraum, dessen Grenzen erst überschritten werden, wenn ein hohes Risiko unabweisbar ist und kein vernünftiger Grund besteht, das Risiko gleichwohl einzugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.11.2008, II ZR 236/07, NJW-RR 2009, S. 332; OLG Hamm, Urteil vom 12.07.2012, I-27 U 12/10, WM 2012, S. 2200ff.). Das Vorstandsmitglied muss jedoch gutgläubig sowie frei von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen agieren (vgl. BT-Drs. 15/5092, S. 11). Werden die Grenzen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gewahrt, ist eine Pflichtverletzung ausgeschlossen (sog. sicherer Hafen). Umgekehrt begründet zwar die bloße Überschreitung der durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gesetzten Grenzen für sich noch keine Pflichtverletzung. Zumindest indiziert eine Verletzung der Business Judgement Rule aber eine Pflichtverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 12.10.2016, 5 StR 134/15, NZG 2017, S. 116 (117); OLG München, Urteil vom 24.11.2016, 23 U 3582/16, AG 2017, S. 750 (753)). Außerhalb von unternehmerischen Entscheidungen findet die Vorschrift keine Anwendung. Treuepflichten, Informationspflichten und die Pflicht eines gesetzes- und satzungskonformen Verhaltens werden folglich durch die Business Judgement Rule nicht relativiert (vgl. BT-Drs. 15/5092, S. 11). Illegales Verhalten ist daher auch dann nicht von der Business Judgement Rule erfasst, wenn es vermeintlich zum Nutzen der Gesellschaft war (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 21; AktG-Komm. (2020), § 93, Rn. 15). Die Entscheidung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen ist hingegen jedenfalls bei Ansprüchen gegen andere Personen als Organmitgliedern eine unternehmerische Entscheidung und unterliegt somit grds. dem Anwendungsbereich der Business Judgement Rule (vgl. Bayer/Scholz, NZG 2019, S. 201 (203 f.)). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG trägt das betroffene Vorstandsmitglied.