Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
Rn. 70
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
§ 252 Abs. 1 Nr. 3 enthält neben dem Grundsatz der Einzelbewertung das Gebot, die VG und Schulden zum Abschlussstichtag bewerten zu müssen. Dies bedeutet, dass die jeweiligen Wertansätze aus den Verhältnissen am Abschlussstichtag abzuleiten sind (vgl. Kammann (1988), S. 93ff.). In die Bewertung der einzelnen VG und Schulden dürfen somit keine Wertveränderungen einfließen, die auf Ereignisse nach dem Abschlussstichtag zurückzuführen sind. Daher ist z. B. die Wertminderung eines betrieblichen Fahrzeugs aufgrund eines unfallbedingten Totalschadens kurz nach dem Abschlussstichtag erst in neuer Rechnung zu erfassen. Für Bewertungszwecke sind allein die bis zum Abschlussstichtag eingetretenen Wertveränderungen relevant. Inwieweit Wertveränderungen als bis zum Abschlussstichtag eingetreten gelten und bei der Bewertung berücksichtigt werden dürfen oder müssen, richtet sich nach dem Realisations- bzw. Imparitätsprinzip (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 81ff., 90ff.).
Rn. 71
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Die Bewertung der einzelnen VG und Schulden erfolgt i. R.d. Bilanzaufstellung. Dieser Zeitpunkt ist gewöhnlich nicht mit dem Abschlussstichtag identisch (vgl. grundlegend zum Aufhellungsverständnis Moxter, BB 2003, S. 2559ff.), sondern diesem nachgelagert (zu Fristen für die Bilanzaufstellung vgl. §§ 243 Abs. 3, 264 Abs. 1 Satz 3f.). Sofern der Bewertende innerhalb des Zeitraums zwischen dem Abschlussstichtag und dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung Informationen erhält, die einen Rückschluss auf die Verhältnisse am Abschlussstichtag ermöglichen (sog. wertaufhellende Umstände), muss er diese in seine Bewertung einbeziehen (vgl. Küting/Kaiser, WPg 2000, S. 577ff.). Nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 sind alle "Risiken und Verluste, die bis zum Abschlußstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen Abschlußstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind". Das Wertaufhellungsprinzip verbessert also unter Wahrung des Grundsatzes der stichtagsbezogenen Bewertung den Informationsstand bezüglich der Verhältnisse am Abschlussstichtag. Z. B. könnte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines Schuldners im Zeitraum bis zur Abschlussaufstellung dafür sprechen, dass die betreffenden Forderungen bereits zum BilSt gefährdet waren; die Eröffnung des Insolvenzverfahrens würde dann ein wertaufhellendes Ereignis darstellen und wäre i. R.d. Forderungsbewertung zu berücksichtigen (vgl. Bonner HGB-Komm. (2011), § 252, Rn. 97; dazu ausführlicher auch HdR-E, HGB § 252, Rn. 52, 87).
Rn. 72
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Zur Beurteilung der Verhältnisse am Abschlussstichtag ist somit nicht allein der zu diesem Zeitpunkt gegebene Kenntnisstand des Bewertenden maßgebend. Es sind vielmehr die Kenntnisse relevant, die er i. S. d. Wertaufhellungsprinzips bis zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung hinsichtlich der Verhältnisse am Abschlussstichtag besitzt. Nach der Bilanzaufstellung erworbene Kenntnisse über die Verhältnisse am Abschlussstichtag berühren die Bilanz nicht mehr. Eine Ausnahme hiervon besteht nur insoweit, als die betreffenden Umstände bei sorgfältigem Recherchieren bereits zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung hätten bekannt sein müssen (vgl. H/H/R (1997), § 6 EStG, Rn. 82, m. w. N.).