Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Peter Dittmar
Rn. 57
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Bei analytischen Prüfungshandlungen (Substantive Analytical Procedures) handelt es sich um eine indirekte Prüfungsmethode, bei der plausible Beziehungen zwischen sowohl finanziellen als auch nichtfinanziellen Daten analysiert werden (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. 4ff.). Dies erfolgt regelmäßig auf Basis eines Soll-Ist-Vergleichs, bei dem der AP ausgewählte Abschlussinformationen (Ist-Objekte) mit von ihm entwickelten Soll-Objekten vergleicht (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. 4; Gärtner (1994), S. 9ff. m. w. N.; WP-HB (2023), Rn. L 356ff.; Beck Bil-Komm. (2022), § 317 HGB, Rn. 213). Kennzeichnend für diese indirekten Prüfungsmethoden ist, dass die jeweiligen Soll-Objekte nicht direkt über Prüfungsnormen aus dem zu prüfenden Sachverhalt ermittelt werden können, sondern indirekt über von den Ist-Objekten unabhängigen Ersatzsachverhalte, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zum zu prüfenden Sachverhalt stehen (vgl. Gärtner (1994), S. 12f.).
Insbesondere können hierfür die zu beurteilenden Daten mit Informationen des VJ (wenn möglich mit Durchschnittswerten aus einem Vergleichszeitraum von drei bis fünf Jahren), mit vom UN erwarteten Ergebnissen, mit den vom AP entwickelten Erwartungen über die Fortentwicklung des UN oder mit branchenspezifischen Kennzahlen verglichen werden. Des Weiteren sind Beziehungen zwischen finanziellen Informationen, die nach Erfahrungen des UN einem vorhersehbaren Muster entsprechen (z. B. Bruttogewinnspanne) oder zwischen finanziellen und nichtfinanziellen Informationen (z. B. Beziehung des Lohn- und Gehaltsaufwands zur Zahl der Mitarbeiter) durch den AP zu beurteilen (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. A2). Der AP hat bei identifizierten Schwankungen und Beziehungen, die im Vergleich mit anderen Informationen inkonsistent scheinen oder die wesentlich von entwickelten Erwartungen abweichen, diesen nachzugehen. Er muss versuchen, sachgerechte und angemessene Erklärungen für diese Abweichungen und Inkonsistenzen zu erhalten (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. 7). Hierfür können Erläuterungen seitens des Managements oder die Durchführung anderer Einzelfallprüfungen notwendig sein. Die zur Beurteilung genutzten Erwartungen sowie die dafür getroffenen Annahmen haben stets auf verlässlichen Daten zu basieren. Der AP hat entsprechende Prüfungsnachweise zu erlangen (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. 5, A12ff.).
Rn. 58
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Analytische Prüfungshandlungen sind nur unter der Voraussetzung anzuwenden, dass im konkreten Fall die Zusammenhänge zwischen bestimmten Informationen und Daten vorhanden sind und fortbestehen. Von diesem Zusammenhang kann ausgegangen werden, solange trotz Überprüfung nichts Gegenteiliges bekannt ist (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. A6). Stark veränderte Rahmenbedingungen, bspw. während Finanzmarktkrisen oder Pandemien, können die Ermittlung von Erwartungswerten erschweren. Dies könnte zu einer abweichenden Beurteilung führen und Einzelfallprüfungen erfordern.
Rn. 59
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Gerade durch analytische Prüfungshandlungen können ergänzend zur Prüfung des IKS weitere Gebiete eingegrenzt werden, die evtl. eine erhöhte Fehlerwahrscheinlichkeit besitzen und deshalb i. R.d. Einzelfallprüfung besonders intensiv zu prüfen sind (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. A9; Sperl (1978), S. 218ff.; Meyer zu Lösebeck (1983), S. 231ff.). Durch die Ergebnisse analytischer Prüfungshandlungen können der Umfang und die Intensität der Einzelfallprüfungen, die zur Gewinnung eines hinreichend sicheren und genauen Prüfungsurteils führen sollen, bestimmt werden. Die analytischen Prüfungshandlungen spielen daher sowohl für die Wirtschaftlichkeit als auch die Effektivität einer AP eine bedeutende Rolle (vgl. ISA [DE] 520 (2020), Rn. A4). Vor einer Prüfung einzelner Geschäftsvorfälle sollte sich der AP daher mithilfe von analytischen Prüfungshandlungen einen Überblick über Konsistenz und Plausibilität des JA verschaffen, indem er verdichtete, noch ungeprüfte JA-Informationen, wie Kennzahlenwerte, analysiert (vgl. Knüppe (1984), S. 131; von Wysocki (1988), S. 162ff.). Die Entscheidung, ob zu den analytischen Prüfungshandlungen zusätzlich Einzelfallprüfungen durchzuführen sind, liegt grds. im pflichtgemäßen Ermessen des AP (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 317 HGB, Rn. 218). Bei wesentlichen Geschäftsvorfällen, Kontensalden oder Abschlussangaben des JA reicht es nicht aus, lediglich analytische Prüfungshandlungen zur Gewinnung eines hinreichend sicheren und genauen Prüfungsnachweises vorzunehmen.