Prof. Dr. Gerrit Brösel, Prof. Dr. Michael Olbrich
Rn. 305
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Beim Niederstwerttest für unfertige und fertige Erzeugnisse sind die historischen HK zum BilSt mit dem beizulegenden Wert zu vergleichen. Mit der Schaffung unfertiger und fertiger Erzeugnisse ist eine Veräußerungsabsicht verbunden. Der beizulegende Wert dieser VG ist daher grds. absatzmarktorientiert nach den Grundsätzen der verlustfreien Bewertung zu ermitteln (vgl. HdR-E, HGB § 253, Rn. 286ff.).
Eine beschaffungsorientierte Bewertung kommt nach hier vertretener Ansicht alternativ zur verlustfreien Bewertung insbesondere nur dann infrage, wenn ein Fremdbezug der Halbfabrikate möglich ist. In solchen Fällen können für unfertige Produkte, die auch fremdbezogen werden können, Wiederbeschaffungskosten respektive Wiederherstellungskosten als Vergleichsmaßstab verwendet werden (vgl. Bonner-HdR (2014), § 253 HGB, Rn. 412; a. A. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 297 (allein eine absatzmarktorientierte Bewertung vertretend)). Diese Wertmaßstäbe dürfen jedoch nur angewendet werden, wenn sie einen nach der verlustfreien Bewertung ermittelten Wert unterschreiten (vgl. dazu auch die grundlegenden Gedanken der Diskussion zur absatzmarktorientierten Bewertung von RHB HdR-E, HGB § 253, Rn. 286ff.).
Eine solche beschaffungsmarktorientierte Bewertung ist nach den Grundsätzen der verlustfreien Bewertung indes nicht erforderlich, wenn das unfertige Erzeugnis nach Weiterverarbeitung mindestens kostendeckend veräußert werden kann (vgl. in analoger Anwendung IDW, FN-IDW 2013, S. 500). Ausschlaggebend ist der verlässliche Nachweis einer kostendeckenden Veräußerung des noch zu erstellenden Fertigerzeugnisses. An diesen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. auch HdR-E, HGB § 253, Rn. 293ff.).
Bei Überbeständen wird im Schrifttum teilweise eine Bewertung nach dem Grundsatz der "doppelten Maßgeblichkeit" (Bewertung sowohl beschaffungs- als auch absatzmarktorientiert) vertreten (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 496; Beck Bil-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 517; a. A. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 297 (allein eine absatzmarktorientierte Bewertung vertretend)). Die ergänzende Berücksichtigung des Beschaffungsmarkts (Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungskosten) für unfertige und fertige Erzeugnisse ist nach hier vertretener Ansicht nachvollziehbar, wenn die Absatzmärkte zum Erliegen gekommen sind. In solchen Fällen ist die Überprüfung von Überbeständen auf Werthaltigkeit wegen mangelnder Gängigkeit angezeigt (vgl. analog die Ausführungen zur Gängigkeit bei RHB HdR-E, HGB § 253, Rn. 299ff.). Zudem können sich – je nach Produkt – bei Überbeständen Preisrückgänge auf den Absatzmärkten andeuten, wenn polypolistische Marktstrukturen vorliegen. Die Wiederherstellungskosten sind ein guter Kontrollwert, um solche Risiken rechtzeitig im JA abzubilden (vgl. auch Beck Bil-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 527).
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Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Bei der hier für den Normalfall favorisierten absatzmarktorientierten Bewertung unfertiger und fertiger Erzeugnisse wird der beizulegende Wert nach dem Verfahren der verlustfreien Bewertung ermittelt. Bei der verlustfreien Bewertung ist von einem vorsichtig geschätzten Verkaufspreis auszugehen, der grds. dem voraussichtlich erzielbaren Marktpreis entspricht. Sind Marktpreise nicht feststellbar, ist auf andere Wertmaßstäbe zurückzugreifen (vgl. HdR-E, HGB § 253, Rn. 286ff.).
Von dem vorsichtig geschätzten Verkaufspreis abzuziehen sind die bis zur Veräußerung voraussichtlich noch anfallenden Aufwendungen (vgl. HdR-E, HGB § 253, Rn. 288ff.). Dazu gehören bei unfertigen Erzeugnissen auch die Aufwendungen, die zur Fertigstellung des VG noch notwendig sind (vgl. zu fertigen Erzeugnissen HdR-E, HGB § 253, Rn. 271f.). Diese Aufwendungen sind zu Vollkosten unter der Annahme einer Normalauslastung zu bemessen (vgl. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 299). Dabei gehören zu den Vollkosten die EK und GK, die dem Produktionsbereich zugeordnet werden können und bezüglich der GK auch angemessen sind. Die Bestimmung der so definierten Vollkosten hat unabhängig davon zu erfolgen, wie etwaige Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte ausgeübt werden (vgl. analog IDW RS HFA 4 (2012), Rn. 35). Gewinnzuschläge sind bei der verlustfreien Bewertung nicht zu berücksichtigen (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 526; Beck Bil-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 523; steuerrechtlich ist hingegen ein Gewinnaufschlag abzuziehen (vgl. Schmidt: EStG (2020), § 6, Rn. 258)). Ferner dürfen kalkulatorische Kosten keine Berücksichtigung finden (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 528; NWB HGB-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 232).
Bei der Bemessung der noch anfallenden Aufwendungen sind die Preis- und Kostenverhältnisse zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem die Aufwendungen voraussichtlich anfallen werden (vgl. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253 HGB, Rn. 300). Dabei hat die Schätzung der künftigen Preis- und Kostenverhältnisse unter Beachtung des Stichtagsprinzips (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3), d. h. unter Berücksichtigung von bis zum BilS...