Prof. Dr. Michael Dusemond, Dr. h.c. Armin Pfirmann
Rn. 145
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Für die Festlegung der Abschreibungshöhe ist zu bestimmen, über welche ND der Ausgangswert (AHK) zu verteilen ist. Die ND ist der Zeitraum, über den ein VG voraussichtlich von einem UN genutzt werden kann. Die ND kann grds. in die technische ND, die wirtschaftliche ND und die rechtliche ND unterschieden werden (vgl. zu den ND-Kategorien im steuerrechtlichen Kontext Schmidt: EStG (2020), § 7, Rn. 155ff.).
Die technische ND umfasst den Zeitraum, in dem ein VG technisch einwandfrei genutzt werden kann. Durch Instandhaltungsmaßnahmen (insbesondere in Form von Wartungen und Inspektionen) kann die technische ND verlängert werden. Die wirtschaftliche ND umfasst dagegen den Zeitraum, in dem es unter Rentabilitätsgesichtspunkten sinnvoll ist, den VG zu nutzen.
Die wirtschaftliche ND ist regelmäßig kürzer als die technische ND. Ein Grund für diese Beobachtung sind bspw. im Bereich des Sach-AV die mit zunehmendem Alter einer Maschine steigenden Reparaturaufwendungen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt ein unverhältnismäßiges Maß erreichen. Obwohl eine Maschine technisch noch weiter genutzt werden könnte, ist die Stilllegung und Anschaffung einer dem technischen Fortschritt angepassten Maschine wirtschaftlicher, da mit ihr effizienter und ggf. qualitativ hochwertiger produziert werden kann als mit dem im UN vorhandenen Aggregat. Auch Marktgründe (z. B. Geschmackswandel, neue Wettbewerber) und rechtliche Gründe (z. B. CO2-Regulierung) können dazu führen, dass die wirtschaftliche ND hinter der technischen ND zurückbleibt (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 368).
Zudem ist in bestimmten Fällen die vertragliche Situation in die Bemessung der ND einzubeziehen (rechtliche ND). So können Nutzungsmöglichkeiten für VG auch durch vertragliche Befristungen auslaufen. Die rechtliche ND ist v.a. für immaterielle VG (z. B. Lizenzvereinbarungen) relevant, kommt aber auch im Bereich des Sach-AV in Betracht (z. B. begrenzter Mietvertrag bei Mietereinbauten).
Rn. 146
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Aus dem Gesetzeswortlaut, nach dem der Zeitraum zu bestimmen ist, in dem ein VG "voraussichtlich genutzt werden kann" (§ 253 Abs. 3 Satz 2), lässt sich die betriebsindividuelle ND, d. h. die ND unter Berücksichtigung der spezifischen im Betrieb geplanten Nutzung, als der für den Bilanzierenden relevante Maßstab ableiten (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 369; Beck Bil-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 229). Ordnet man die betriebsindividuelle ND in die drei o. g. ND-Kategorien ein, ist sie – unter Beachtung des Vorsichtsprinzips (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4) – mit der kürzeren ND aus technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher ND gleichzusetzen (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 369, die ein Überschreiten der wirtschaftlichen ND als möglich erachten). Im Ergebnis wird damit i. d. R. – je nach Sachlage – die rechtliche oder die wirtschaftliche ND zur Anwendung kommen.
Rn. 147
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Während sich die rechtliche ND generell aus vertraglichen Vereinbarungen ergibt (z. B. zeitlich determinierte Nutzungsrechte), ist die wirtschaftliche ND meist im Wege der Schätzung zu ermitteln. Grds. kann die Schätzung der betriebsindividuellen ND auf internen Auswertungen des UN über Wertminderungsverläufe vergleichbarer VG, die sich bereits im UN befinden, basieren (vgl. Federmann/Müller (2018), S. 467). Eine gute Orientierungshilfe bieten zudem Erfahrungswerte, die in der jeweiligen Branche beobachtet werden können (vgl. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 171).
Die Praxis orientiert sich häufig an den vom BMF originär für steuerrechtliche Zwecke herausgegebenen (branchengebundenen) AfA-Tabellen. Sie enthalten für viele WG Vorgaben zur Konkretisierung der in § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG festgelegten betriebsgewöhnlichen ND (kürzere ND sind auch steuerrechtlich möglich, wenn die Notwendigkeit belegt werden kann (vgl. BMF, Schreiben vom 06.12.2001, IV D 2 – S 1551–498/01, BStBl. I 2001, S. 860 (860)). Dabei stellen die steuerrechtlichen AfA-Tabellen aber teilweise auf die technische ND ab (vgl. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 172; ferner BMF, Schreiben vom 15.12.2000, IV D 2 – S 1551–188/00, BStBl. I 2000, S. 1532 (1532)) bzw. sind aufgrund ihres Alters ggf. nicht mehr zeitgemäß. Eine unreflektierte Übernahme der in den steuerrechtlichen AfA-Tabellen angegebenen betriebsgewöhnlichen ND ist für handelsrechtliche Zwecke daher nicht zulässig. Aus AfA-Tabellen übernommene ND sind vielmehr stets daraufhin zu überprüfen, ob sie auch dem handelsrechtlichen Maßstab der betriebsindividuellen ND gerecht werden (vgl. Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 171f.).
Bei Gebäuden existiert zudem im steuerrechtlichen Bereich eine gesetzlich kodifizierte Typisierung der Abschreibungsregeln (vgl. § 7 Abs. 4ff. EStG). Liegen die steuerrechtlichen ND für Gebäude innerhalb einer vertretbaren Bandbreite für eine periodengerechte Aufwandsverteilung (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 5), können sie auch handelsrechtlich für die Berechnung der planmäßigen Abschreibungen verwendet werden (vgl. Beck...