Prof. Dr. Gerrit Brösel, Prof. Dr. Michael Olbrich
aa) Vorbemerkung
Rn. 285
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Zentral für die Ermittlung des beizulegenden Werts ist die Frage, aus welchem Markt (Beschaffungs- oder Absatzmarkt) er abzuleiten ist. Die Beantwortung dieser Frage richtet sich nach dem Charakter des VG, der zu bewerten ist. Für VG, die noch in den Produktionsprozess eingehen, ist eine beschaffungsmarktorientierte Bewertung durchzuführen, da der Verkauf dieser VG in absehbarer Zeit nicht vorgesehen ist. Darüber hinaus ist eine verwertungsorientierte Überprüfung eines beschaffungsmarktseitig festgestellten Abwertungsbedarfs unter bestimmten Voraussetzungen geboten (vgl. HdR-E, HGB § 253, Rn. 293ff.).
Zur Veräußerung bestimmte VG sind dagegen absatzmarktorientiert zu bewerten. Dieses Vorgehen ergibt sich aus dem Grundsatz der UN-Fortführung (vgl. Bonner-HdR (2014), § 253 HGB, Rn. 395) und wird von der h.M. in Literatur und Praxis folgendermaßen operationalisiert (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 488; Beck Bil-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 516; Haufe HGB-Komm. (2019), § 253, Rn. 285):
(1) |
absatzmarktorientierte Bewertung für
- unfertige Erzeugnisse und Leistungen sowie Fertigerzeugnisse;
- Überbestände an RHB (inkl. nicht mehr verwendbarer Rohstoffe);
- Wertpapiere;
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(2) |
beschaffungsmarktorientierte Bewertung für
- RHB;
- unfertige Erzeugnisse, soweit auch ein Fremdbezug möglich ist;
- Wertpapiere;
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(3) |
beschaffungs- und absatzmarktorientierte Bewertung (sog. doppelte Maßgeblichkeit) für |
Die Bestimmung des relevanten Markts spielt bei der Bewertung von Forderungen und sonstigen VG grds. keine Rolle (vgl. zur Bewertung von Forderungen HdR-E, HGB § 253, Rn. 312ff.).
bb) Absatzmarkt
Rn. 286
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Bei einer absatzmarktorientierten Bewertung ist das Verfahren der verlustfreien Bewertung (auch als retrograde Bewertung bezeichnet) zugrunde zu legen. Nach diesem Verfahren hat eine Abschreibung auf einen VG des UV zu erfolgen, wenn die AHK den voraussichtlichen Veräußerungserlös abzgl. noch anfallender Aufwendungen übersteigen. Der jeweilige VG soll unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips zum BilSt so weit abgewertet werden, dass nach dem BilSt eine verlustfreie Veräußerung möglich ist.
Rn. 287
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Bei der verlustfreien Bewertung von Fertigfabrikaten ist zur Bestimmung des beizulegenden Werts am BilSt nach dem folgenden Schema vorzugehen (vgl. auch Beck Bil-Komm. (2020), § 253 HGB, Rn. 521):
Vorsichtig geschätzter Verkaufserlös ./. Erlösschmälerungen ./. Verpackungs- und Frachtkosten ./. Sonstige Vertriebskosten ./. Allg. Verwaltungskosten ./. Kap.-Dienstkosten |
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= Beizulegender Wert |
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Übersicht: Verlustfreie Bewertung
Rn. 288
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Zur Ermittlung des beizulegenden Werts am BilSt sind von dem vorsichtig geschätzten Verkaufserlös sämtliche bis zum Absatzzeitpunkt noch anfallenden Aufwendungen zu subtrahieren. Dabei sind die Verkaufserlöse als Nettogröße zu berücksichtigen, da die USt an das Finanzamt abzuführen ist und keinen Ertrag darstellt (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 526). Die Schätzung des Verkaufserlöses ist bei fest vereinbarten Entgelten (Auftragsfertigung) i. d. R. unproblematisch. Schwieriger stellt sich die Ermittlung dar, wenn eine Fertigung ohne konkreten Auftrag erfolgt. In diesem Fall sind die Verkaufserlöse zugrunde zu legen, die üblicherweise zu erzielen sind. Sofern bestimmten Produktgruppen aufgrund kundenspezifischer (z. B. Großhändler, Endkunde) oder geografischer Differenzierungen (z. B. Inland, Ausland) unterschiedliche Verkaufspreise zuzuordnen sind, ist ein Mischverkaufserlös zu kalkulieren.
Rn. 289
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Zu den Erlösschmälerungen zählen alle Arten von Preisnachlässen (z. B. Rabatte, Skonti, Sondernachlässe bei zweifelhafter Qualität), die sich dem zu bewertenden VG sachlich zuordnen lassen. Die noch anfallenden Verpackungs- und Frachtkosten sind vorsichtig zu schätzen. Zu den sonstigen Vertriebskosten gehören neben den Sonder-EK des Vertriebs (z. B. Vertreterprovisionen) auch anteilige Vertriebs-GK, soweit ein sachlicher Zusammenhang zur Veräußerung des jeweiligen VG besteht. Auch bei den noch anfallenden allg. Verwaltungskosten muss ein sachlicher Zusammenhang zum Veräußerungsobjekt vorhanden sein. Eine Verwaltungsgemeinkostenumlage wird bspw. i. d. R. nicht zulässig sein. Die Kap.-Dienstkosten umfassen schließlich die FK-Zinsen, die – soweit die Bestände erst einige Zeit nach dem BilSt veräußert werden – durch die Kap.-Bindung entstehen (vgl. ADS (1995), § 253, Rn. 526).
Rn. 290
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Die verlustfreie Bewertung verfolgt das Ziel, den VG am BilSt mit einem Wert auszuweisen, der künftige Verluste aus der Veräußerung des VG buchungstechnisch vorwegnimmt. In der Folgeperiode soll der Verkauf erfolgsneutral (d. h. verlustfrei) durchgeführt werden können. Allerdings darf das Prinzip kaufmännischer Vorsicht nicht dazu missbraucht werden, durch bewusste Unterbewertungen in einer Periode, Gewinne in eine andere Periode zu verschieben bzw. geplante Gewinne buchungstechnisch entstehen zu lassen. ...