Rn. 64
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
§ 17 Abs. 1 AktG definiert abhängige UN als rechtlich selbständige UN, auf die ein anderes UN (herrschendes UN) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Dabei reicht es aus, dass ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann; dass von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht wird, ist nicht erforderlich (vgl. HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 36; Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 4; MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 11). Entsprechend wird bei Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung i. S. d. § 16 AktG die Abhängigkeit des in Mehrheitsbesitz stehenden UN von dem anderen UN nach § 17 Abs. 2 AktG vermutet. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Gleichzeitig ist dies der Anfang eines Systems gesetzlicher Vermutungen i. R.d. Vorschriften zu den verbundenen UN. Neben Mehrheitsbeteiligungen mit Abhängigkeitsverhältnis können demnach sowohl Mehrheitsbeteiligungen ohne Abhängigkeitsverhältnis als auch Abhängigkeitsverhältnisse ohne Mehrheitsbeteiligungen bestehen. Liegt jedoch ein Abhängigkeitsverhältnis vor, besteht nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG wiederum die Vermutung, dass das herrschende UN mit dem abhängigen UN einen Konzern bildet. Auch diese Vermutung kann durch den Nachweis einer fehlenden einheitlichen Leitung widerlegt werden. Dementsprechend kann es auch Abhängigkeitsverhältnisse ohne Konzerntatbestand geben.
Rn. 65
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Damit hat der Gesetzgeber – wie schon bei der Mehrheitsbeteiligung in § 16 AktG – die Abhängigkeit als eine eigenständige Form der UN-Verbindung definiert. Dahinter steht zum einen die Einsicht, dass die Abhängigkeit zwar regelmäßig, aber nicht zwingend einen Konzern begründet, da sie nicht in allen Fällen zur tatsächlichen Beherrschung, also zur einheitlichen Leitung i. S. d. § 18 AktG führt (vgl. KK-AktG (2011), § 17, Rn. 2). Zum anderen wuchs die Erkenntnis, dass sich die "Struktur der idealtypischerweise unabhängigen und vom Vorstand eigenverantwortlich geleiteten Aktiengesellschaft bereits mit der Begründung von Abhängigkeit und nicht erst in Folge tatsächlich ausgeübter Konzernleitungsmacht verändert" (MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 2). Insoweit hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die "konzernrechtlichen Sanktionen i. w. S. nahezu stets schon an das Tatbestandsmerkmal der Abhängigkeit anzuknüpfen, nicht erst an das (weitere Voraussetzungen erfordernde) Vorliegen eines Konzerns i. S. d. § 18 AktG" (MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 2); d. h., entscheidende Rechtsfolgen des AktG gehen von der Abhängigkeit, nicht vom Konzern aus. Koch sieht deshalb in der Abhängigkeit den zentralen Tatbestand für das Konzernrecht in seiner gesamten Ausgestaltung (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 2). Der hier beabsichtigte Schutzgedanke erfordert die Absicherung einer abhängigen Gesellschaft, ihrer Aktionäre und Gläubiger gegen Benachteiligungen durch den Einfluss des herrschenden UN, und zwar nicht erst dann, wenn auch das konzernbegründende Merkmal der einheitlichen Leitung vorliegt. Gleichzeitig lassen sich die in der Praxis zu beobachtenden Gestaltungsmöglichkeiten wirtschaftlicher Beziehungen durch Vertrag, Organisation oder Zwischenformen durch die Abgrenzung der Abhängigkeit i. S. d. § 17 AktG von anderen Erscheinungsformen der Verbundenheit rechtlich konkreter abgrenzen und somit rechtlich gezielter regulieren.
Rn. 66
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
In verschiedenen Vorschriften innerhalb und außerhalb des AktG sowie in der Rspr. wird auf den Abhängigkeitsbegriff Bezug genommen. Daher war die Frage umstritten, ob er differenziert auf den jeweiligen normativen Einzelzusammenhang auszulegen sei, oder davon auszugehen ist, dass der Abhängigkeitsbegriff des AktG ein einheitlich für alle Anwendungsfälle zu definierender Tatbestand ist. Nach heute ganz h. M. ist grds. von einem einheitlichen Abhängigkeitsbegriff auszugehen (vgl. so mitunter auch Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 3; MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 4; WP-HB (2021), Rn. C 90; KK-AktG (2011), § 17, Rn. 11; KonzernR (2019), § 17 AktG, Rn. 4). Der Zweck der Definitionsnorm besteht ja gerade darin, den definierten Abhängigkeitsbegriff einheitlich für alle aktienrechtlichen Vorschriften festzulegen, die ihren Tatbestand hieran anknüpfen; aus § 17 AktG verschiedene Abhängigkeitsbegriffe zu entwickeln, wäre unsystematisch. "Soweit andere Gesetze wie insbesondere das GWB (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 1) auf § 17 verweisen, sollte gleichfalls nach Möglichkeit dasselbe Begriffsverständnis wie im Aktiengesetz zu Grunde gelegt werden" (KonzernR (2019), § 17 AktG, Rn. 4).