Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Boris Hippel
Rn. 18
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Generalnorm des § 243 Abs. 1 verlangt von allen Kaufleuten, dass der JA nach den GoB aufzustellen ist. Für KapG und UN, die ebenfalls § 264 z. B. gemäß § 264a beachten müssen, schreibt § 264 Abs. 2 Satz 1 darüber hinaus vor, dass der JA "unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft" zu vermitteln hat. Diese Forderung des § 264 Abs. 2 Satz 1 wird durch zahlreiche Einzelvorschriften im Zweiten Abschnitt des Dritten Buchs gestützt. Beispielhaft genannt seien hierfür:
(1) |
das Gebot zur Passivierung latenter Steuern gemäß § 274 Abs. 1, |
(2) |
Angabe und Erläuterung nicht vergleichbarer VJ-Beträge nach § 265 Abs. 2 Satz 2, |
(3) |
die Verpflichtung von großen und mittelgroßen KapG zur Darstellung von Geschäftsverlauf einschließlich des Geschäftsergebnisses und Lage des UN sowie zur Beurteilung und Erläuterung der voraussichtlichen Entwicklung mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken im Lagebericht, so dass ergänzend zu Bilanz, GuV und Anhang aber auch zusammenfassend ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der (Gesamt-)Lage vermittelt wird (vgl. § 289 Abs. 1). |
Rn. 19
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Regelung des § 264 Abs. 2 Satz 1 ist die Generalnorm für die Aufstellung des JA von KapG. § 264 Abs. 2 Satz 2 verlangt über die Einblicks-Forderung hinaus: "Führen besondere Umstände dazu, daß der Jahresabschluß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Satzes 1 nicht vermittelt, so sind im Anhang zusätzliche Angaben zu machen." Kleinst-KapG, die auf die Aufstellung eines Anhang verzichten, haben die nach Satz 2 geforderten Angaben gemäß § 264 Abs. 2 Satz 4 unter der Bilanz zu machen. Das in Art. 4 Abs. 4 der Bilanz-R (zuvor: Art. 2 Abs. 5 der 4. EG-R) vorgesehene, viel weitergehende "overriding principle", das eine Nichtbeachtung von Spezialvorschriften sowie GoB und damit eine Nichtbeachtung der Regel "lex specialis derogat legi generali" verlangt, wenn das den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild sonst nicht erreicht werden kann, wurde nicht in deutsches Recht transformiert (vgl. BT-Drs. 10/317, S. 76f.; von Wysocki, WPg 1986, S. 177 (178)). Es ist vielmehr dabei geblieben, dass auch für die Generalnorm des § 264 Abs. 2 die Regel "lex specialis derogat legi generali" gilt und somit die gesetzlichen Einzelvorschriften durch die Generalnorm nicht außer Kraft gesetzt werden können (vgl. HdR-E, Kap. 4, Rn. 113ff.).